Eduard Imroth (1819 - 1904)

(Reproduktion: Archiv Jochen Rolcke)

 

Die Imroth'sche Seifenfabrik in der Tuchmacherstraße

 

1845 kam Eduard Imroth (1819 - 1904), Mitglied einer großen Handwerker-Familie aus Calbe auf die Idee, eine Seifensiederei in der Querstraße (Haus Nr. 95), heute Wilhelm-Loewe-Straße 8, einzurichten. Zu diesem Zweck hatte er das Fachwerk-Haus eines Schmiedes gekauft. Imroth gehörte zum wohlhabenden Kleinbürgertum und nicht zur Kaufmannselite, die damals mit den Brückners, Grobes, Nicolais u. a. die aufblühende Industrie in der Kleinstadt dominierte. Der Magistrat stellte den Antrag Eduard Imroths in der „Beilage zum öffentlichen Anzeiger Nr. 51 vom 20. Dezember 1845“ zur Diskussion, zumal die Einrichtung einer Siederei im Zentrum der Stadt auch mit Geruchs- und Ungezieferbelästigung verbunden war. Es kamen keine Einwände, und der tatkräftige Jungunternehmer, verheiratet mit Marie geb. Hasse (1820 - 1903), begann (9 Tage nach seiner Hochzeit) am 25. April 1846 in der umgestalteten Schmiede an der Ecke Querstraße/Tuchmacherstraße mit der Seifenproduktion. Die junge Frau Marie unterstützte das hoffnungsvolle Unternehmen, indem sie die eigenen Seifenerzeugnisse mit einer großen Kiepe auf dem Rücken in den Dörfern ringsumher anbot - eine damals auch in anderen Branchen übliche Form des Produktvertriebs.

Im "Calbeschen Kreisblatt" vom 25. April 1846 war folgende "Etablissementsanzeige" zu lesen:

"Einem hochgeehrten hiesigem und auswärtigem Publico die ganz ergebenste
Anzeige, daß ich mir hier als Seifensieder niedergelassen habe und von
jetzt ab geehrten Abnehmern mit allen in mein Fach schlagenden Artikeln
dienen kann. Calbe, den 24. April 1846, Eduard Imroth, Querstraße 95."
(Zitat von Herrn J. Rolcke, s. unten)
 

Die alte Seifenfabrik (ehemalige Schmiede) Querstraße 8 kurz vor ihrem Abriss 1895 (im Kinderwagen Käthe Imroth) (Reproduktion: Archiv Jochen Rolcke)

 

Imroth hatte die ca. 5 mal 6 Meter große Schmiedewerkstatt mit vorhandener Schmiede-Esse in dem etwa 10 mal 12 Meter im Grundriss großen Eckhaus zur Seifensiederei umfunktioniert, indem er sie mit entsprechenden Geräten ausstattete. Das war der eher bescheidene Anfang.

Aber er hatte auf das richtige Pferd gesetzt. War noch das 17. und 18. Jahrhundert durch die auch von anerkannten Medizinern vertretene Meinung beherrscht, dass Wasser und Waschen für den Körper eher schädlich sei, weil dadurch die natürliche Schmutz-Schutz-Schicht zerstört werde, setzte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine konträre Auffassung dazu durch. Dieses Jahrhundert wurde – besonders durch die Erkenntnisse der sich entwickelnden Mikrobiologie - zu einer neuen Blütezeit der Hygiene. Sorgfältiges Reinigen mit Wasser war ein Grundgebot der neuen Hygieneanschauungen.

Bereits 1819 gab der Magistrat für die Anlage einer Badestelle in der Saale 10 Taler aus. Als 1846 der Kreisarzt (Kreisphysikus) öffentlich für das Baden in der Saale eintrat, gab es ein vermehrtes Interesse  für diese Neuerung. Ratsmann und Färberei-Fabrikant Schotte hatte schon seit einiger Zeit eine Strombadestelle für sich und seine Familie angelegt und gestattete nun den anderen Interessenten dort ebenfalls das Baden. 1855 richtete die Stadt selbst einen Badeplatz auf dem „Mönchsheger“ ein. Zur Verbesserung der Volkshygiene hielten Ärzte, so auch 1846 der politisch engagierte Dr. Loewe im „Schwarzen Adler“, regelmäßige Vorträge über Gesundheit. Seit 1827 sorgten in Calbe zwei Ärzte (Physici) und ein Stadtchirurg für die Gesundheit der Einwohner.

Die duftende Seife gehörte schließlich zum Biedermeier wie der Zylinder und die Krinoline. Diesen Bedarf hatte Eduard Imroth erkannt und wollte darauf seine Firma begründen. Und das wurde ein voller Erfolg.

Anfänglich wurde Imroths Einrichtung von den Behörden noch „Seifensiederwerkstatt“ genannt, und er gehörte nicht zu den „Fabrikanten“. Aber das Geschäft ging gut, schon 1849 betrug der Umsatz 3526 Reichstaler, 6 Silbergroschen und 6 Pfennige. Seit diesem Jahr wurde sein Gegenüber-Nachbar, der Tuchunternehmer Eduard Grobe, sein größter Abnehmer, denn für den Walkprozess brauchte man unter anderem erhebliche Mengen Seife (vgl. "Geschichte der Tuchmacherei in Calbe an der Saale" als PDF-File in: http://de.geocities.com/tuchmachereicalbes/).
Eduard Imroth investierte immer wieder in neue Geräte, Kesselanlagen usw. Außerdem konnte der rührige Seifensieder neue Gebäude, zunächst Stallungen, dann Wohnhäuser, aufkaufen. Seine Anlage umfasste außer der Querstraße 8 auch die Gebäude Tuchmacherstraße 1 und 2. So erweiterte und modernisierte er die Produktion Schritt für Schritt. 1857 gehörte das Haus Tuchmacherstraße 3 zu seinen Siede-Einrichtungen. Nach mehr als 30 Jahren seiner Tätigkeit wurde Eduard Imroth in den Akten „Seifen-Fabrikant“ genannt. Er war als nunmehr Stadtrat und Magistratsmitglied in die städtische Oberschicht der "Honoratioren" aufgenommen worden.

Imroth-Seifenfabrik und -Wohnhaus um 1920 Imroth-Wohnhaus und -Seifengeschäft um 1910 (Reproduktionen: Archiv Jochen Rolcke)
Imroth-Seifenfabrik und -Wohnhaus 2008 Imroth-Wohnhaus 2008

1889 hatte Rudolf Imroth (1855 - 1921), der Sohn des Firmen-Gründers, das Unternehmen übernommen. Nun ging es im Sinne des Aufschwunges nach der Reichsgründung weiter aufwärts. 1889 ließ Rudolf Imroth die kleine Siederei in der Tuchmacherstraße 3 modern ausstatten und auch äußerlich wie eine Fabrik umbauen. Seine resolute Frau Marie (1862 - 1939), geborene Uhlig, hatte mit großem Erfolg zu dieser Zeit an der Querstraße im alten Schmiedegebäude ein Seifen-Ladengeschäft eingerichtet. Aber immer noch wirkte alles gegenüber den großen Tuch- und Mühlenfabriken eher bescheiden, zumal in einer Zeit des großen Bau-Booms in Calbe. 1895 schließlich ließ Rudolf Imroth die alten Häuser der Tuchmacherstraße 1 und 2 sowie das Schmiede-Fachwerkhaus abreißen und ein „zeitgemäßes“ Wohnhaus im großzügigen Backsteinstil errichten. In dessen spitzer Ecke hatte Imroth einen modernen Seifen-Laden eingerichtet, nun die Domäne seiner Frau Marie. Das Haus hatte 40.000 Goldmark (heute: 712.800 €) gekostet und war von Rudolfs Bruder, Oberbaurat Hermann Imroth, und von seinem Schwiegervater, Stadtbaurat Heinrich Uhlig, geplant worden. Während die Unternehmerfamilie im Erdgeschoss wohnte, war die erste Etage an den Kreisarzt Dr. Eisold vermietet worden, der dort auch seine Arztpraxis führte.

In Magdeburg verkaufte Rudolfs Bruder Richard in dem Filial-Geschäft in der Straße "Zur Tischlerbrücke" Seifenprodukte aus Calbe. Die Tischlerbrücken-Straße, die im Bombeninferno des Zweiten Weltkriegs unterging, lag in der Magdeburger Altstadt, etwa im Bereich des heutigen "Alleecenters". Seit 1889 konnten auch in Calbe und Umgebung die Kunden mit Hilfe von Kutschen und zwei Pferden beliefert werden.

1895 produzierte die Firma Imroth 10.000 Zentner Seife pro Jahr und beschäftigte zwei kaufmännische Angestellte, zwei Verkäuferinnen, sieben Arbeiter und zwei Kutscher.

Bürgerliche Rechtschaffenheit und Unternehmerstolz -

Familie Eduard Imroths und seiner Frau Marie geb. Hasse (vorn Mitte) im August 1890, links sitzend Rudolf und Marie Imroth geb. Uhlig, rechts sitzend Elise Imroth geb. Zillger und ihr Mann Richard Imroth, die das Zweigstellen-Seifengeschäft in Magdeburg betrieben, dahinter stehend der oben erwähnte Oberbaurat Hermann Imroth mit seiner Frau Josephine geb. Birnbaum
(Reproduktion: Archiv Jochen Rolcke)


1916 war nördlich neben diesem Haus in der Tuchmacherstraße 3 ein neues Fabrikgebäude mit einer an den Klassizismus erinnernden Fassade und Ornamentik angefügt worden, das eine Reminiszenz an die Zeit der Firmen-Gründung darstellen sollte. Hier wurden noch 1921 einige Anbauten vorgenommen.

Das stattliche Eckhaus mit seinen gelben Backsteinen reiht sich ein in die Gründerzeit-Bauten, die sich die Stadt auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte leistete und die nur wenige Meter von der Imroth-Fabrik entfernt lagen: das Rathaus von 1876, das Königliche Postamt und das Königliche Amtsgericht von 1888 bzw. 1879 sowie die Mädchen-Volksschule von 1880. Und nicht zu vergessen die riesige Anlage der Grobe’schen Tuchfabrik in der Tuchmacherstraße/Kanalgasse, geradezu vor der eigenen Haustür. Obwohl die neuen Gebäude den Stolz darüber dokumentierten, dass man es auch ohne Kaufmannskapital in wenigen Jahren zu Reichtum und Wohlstand gebracht hatte, waren sie doch nicht mit prunkhaften Accessoires ausgestattet, wie beispielsweise die Villen der neuen Gemüseverarbeitungs-Fabrikanten in der Bahnhofstraße (s. Station 17), und atmeten bürgerliche Solidität. Das lässt sich durchaus auch mit der weltanschaulichen Grundhaltung der Unternehmer erklären: Rudolf Imroth und sein Sohn Hermann (1890 -1947) waren Mitglieder der Freimaurerloge "Zur festen Burg an der Saale" (s. Station 15) und als solche zu persönlicher Bescheidenheit und Zurückhaltung bereit.

1922 wurden neue Anbauten in östlicher Richtung, u. a. der Bau des heute noch sichtbaren Fahrstuhlturms, vorgenommen. Inzwischen besaßen die Imroths ein beachtliches Areal im Bereich der Quer- und Tuchmacherstraße.

Nach dem Tod von Rudolf Imroth 1921 trat 1922 Ferdinand Strothmann (1881-1972), der Ehemann von Käthe Imroth, in die nun "Offene Handelsgesellschaft", d. h. von mehreren Personen geführte Firma, ein. Marie Imroth geb. Uhlig und Käthe Strothmann geb. Imroth schieden aus dem Unternehmen aus. In dieser Zeit wurde der Seifenladen geschlossen. Ferdinand Strothmann war nun zusammen mit Hermann Imroth Geschäftsführer der Firma und blieb dies auch bis zum 31.12.1963.
Es ist beeindruckend, dass das Imroth-Unternehmen in einer Zeit expandieren konnte, als die calbische Tuchindustrie nach dem Ersten Weltkrieg und in den nachfolgenden Krisenjahren mehrheitlich in den Bankrott ging. Hygiene-Artikel sind wohl gefragter und wertlukrativer als Militärdecken und Uniformtuch. Die Produktion von Haushaltseifen, Feinseifen und Seifenpulver scheint auch in den folgenden Zeiten gut gelaufen zu sein, denn 1947 wollte Hermann Imroth kurz vor seinem frühen Tod die Wohnhaus-Fassade renovieren lassen, was allerdings zunächst an einem Verbot der Sowjetischen Militär-Administratur scheiterte. 1961 war inzwischen aus dem Betrieb die „Rudolf Imroth KG, Waschmittelfabrik mit staatlicher Beteiligung, Spezialbetrieb für hochwertige Handwaschmittel“ geworden, die dann im Rahmen der so genannten Vollendung der sozialistischen Umgestaltung in der späten DDR zum „VEB Cito Calbe (Saale) – Betrieb für Hand- und Körper-Pflegemittel“ ernannt worden war. Nachfolger als Geschäftsführer für den aus Altersgründen ausscheidenden Ferdinand Strothmann war 1963 der langjährige Entwickungschef Karl Heise geworden, bis Ursula Völkel geb. Imroth (1924-2005), die schon seit 1957 als Geschäftsführerin mitbestellt worden war, nach dem Ausscheiden von Karl Heise die alleinige Geschäftsführerin wurde.
Nach dem allgemeinen Umschwung seit den 1990-er Jahren ist die Produktion in dem traditionsträchtigen Betrieb eingestellt worden, und das Wohnhaus stand kurze Zeit später leer.

(Nach: Acta der Polizei-Verwaltung zu Calbe an der Saale die auf dem Gehöfte des Seifensieders Eduard Imroth Nr. 95 vorgenommenen Bauten betr: Querstraße Nr. 8, in: Bauverwaltung Calbe/S.

Acta der Polizei-Verwaltung zu Calbe an der Saale. Die auf dem Grundstück Tuchmacherstr. 1-2 aufgeführten Bauten betreffend. In: Bauverwaltung Calbe/S.

Acta der Polizei-Verwaltung zu Calbe an der Saale die auf dem Gehöfte des Schuhmachermstr. Göde Nr. 96 vorgenommenen Bauten betr: Jetzt Wittwe Meyer. Tuchmacherstraße Nr. 3 jetzt Tischlermstr. Wilh. Wiese hier, in: Bauverwaltung Calbe/S.

Für die Fülle von ergänzendem und vertiefendem Faktenmaterial danke ich herzlich Herrn Jochen Rolcke, einem Urenkel von Rudolf Imroth.)