11. Wir entfernen uns wieder von der Grabenstraße, östlich von uns befindet sich eine Kaufhalle und dahinter das Schiller-Gymnasium. Bevor die Schiller-Schule 1954 erbaut wurde, stand fast an der gleichen Stelle, nur geringfügig weiter südwestlich, vom 14. bis zum 20. Jahrhundert der alte Residenzbau "Schloss und Veste Calbe". Unter einer Feste bzw. Veste verstand man im Mittelalter eine kleinere Befestigungsanlage.

1313/14 war unter Erzbischof Burchard III. der Bau eines Repräsentations- und Schutzgebäudes begonnen worden. Im Spätmittelalter entstanden allmählich in den einzelnen Territorien fürstliche Residenzen. Calbe war für die Magdeburger Erzbischöfe Nebenresidenz geworden, nachdem schon im 12.Jahrhundert Erzbischof Wichmann begonnen hatte, Calbes ehemaligen Königshof, ab 965 im Besitz der Magdeburger kirchlichen Herrscher (vgl. Station 8), zu einem seiner Sitze auszuerwählen. Die Erzbischöfe lobten die "liebliche Landschaft" um Calbe. Es waren aber auch sehr praktische Gründe für den Bau einer Nebenresidenz ausschlaggebend: Calbe war eine wichtige Reisestation der Erzbischöfe auf dem Weg zwischen Magdeburg und Giebichenstein geworden. Außerdem lag dieser Sitz nahe an den anhaltischen Grenzen, an den Besitzungen der Askanier, sowie dicht bei Sachsen-Barby - durchaus günstig für Verhandlungen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts schließlich war es für einen befestigten Hof der Erzbischöfe innerhalb der rasch anwachsenden Stadt zu eng geworden, und so begann man mit dem Bau einer Veste am nordöstlichen Rand der Stadt. Von dort wurde jetzt ein Teil der Regierungsgeschäfte getätigt, von dort aus beaufsichtigte jetzt der Vogt die Stadt. Aus den Vögten wurden nun Schlosshauptmänner, seit Ende des 16. Jahrhunderts Amtmänner.

Ein gut ausgebautes und befestigtes Schloss konnte auch als Zufluchtsort in Krisenzeiten dienen. Dazu musste man sich allerdings der Loyalität der Calber Bürger versichern. Genau das tat Erzbischof Burchard nicht. Wegen seiner Verschwendungssucht und selbstherrlichen Regierungsweise lag er ständig im Streit mit seinen Städten und wurde am 21.September 1325 von aufgebrachten Bürgern im Magdeburger Rathaus-Kerker ermordet. Der Schlossbau des verhassten Herrschers verfiel wieder. Calbe verbündete sich damals mit Führungsstädten wie Magdeburg und Halle im antifeudalen Kampf um frühbürgerliche Freiheiten. Dabei wurde es auch einige Male in den Bann getan, was erhebliche wirtschaftliche Einbußen bedeutete. Einige Zeit später, 1361, kam mit Dietrich Portitz, genannt Kagelwit oder Kugelweit, (1300 bis 1367) ein sehr viel geschickterer und besonnenerer Landesherr als Burchard III. auf den Erzbischofsitz in Magdeburg. Dieser Erzbischof war für Calbe ein ebenso bedeutender Förderer wie Wichmann von Seeburg.

Teil der südwestlichen Schlossmauer

Südwestliche Schlossmauer am "Wassertor" mit eingefügten ehemaligen Wirtschaftsgebäuden

Erzbischof Dietrich Portitz (Schlussstein im s. g. Kagelwitt-Zimmer [jetzt Zimmer des OB] des Stendaler Rathauses, Bildnachweis: Archiv Rathaus Stendal, s. Homepage)

Dietrich Portitz stammte aus einer Stendaler Patrizierfamilie. Der Sohn eines reichen Kaufmanns wurde Zisterzienser-Mönch. Mit 46 Jahren, nachdem die Kurfürsten den Böhmen Karl IV. zum König gewählt hatten, begann seine Staatskarriere. Er erhielt verschiedene Bischofsämter und wurde 1347 vom König in den Staatsdienst aufgenommen. Er leitete seit 1352 maßgebend und erfolgreich die Verhandlungen des Königtums mit der päpstlichen Kurie in Avignon, vor allem wegen der Kaiserkrönung. Als der gebürtige Böhme, sein Geburtsname war "Wenzel" (Vaclav), 1355 in Rom zum Kaiser Karl IV. gekrönt wurde, erhielt Erzbischof Dietrich Portitz eine ungeheure Machtfülle. 1355 bis 1361 wurde er mit der Aufsicht über die Finanzverwaltung Böhmens betraut, 1360 Kanzler von Böhmen und gleichzeitig der Stellvertreter des Kaisers im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Nicht nur in dieser Funktion stützte sich Dietrich als eifriger Verfechter der Zentralgewalt auf die Städte im Reich. 1361 wurde er zugleich Erzbischof von Magdeburg und 1362 auf drei Jahre Mitregent des Markgrafen von Brandenburg. Damit war er nach dem Kaiser der wichtigste und mächtigste Mann im Reich. Am 17. oder 18. Dezember 1367 starb dieser bedeutende Politiker, Wirtschaftsfachmann und Förderer Calbes. In den sechs verbleibenden Jahren seit seinem Antritt als Magdeburger Landesherr hat Dietrich Portitz mehr für Calbe getan als die Erzbischöfe in hundert Jahren vor ihm.

1360, also noch ein Jahr vor seiner Einsetzung als Magdeburger Erzbischof, wurde der angefangene, aber inzwischen wieder verfallene Bau des Schlosses im Norden der Stadt unter Dietrich erneut eingeleitet und zügig vorangetrieben.

Mit dem von Kaiser Karl IV. als Nachfolger Dietrichs eingesetzten Albrecht II., Graf von Sternberg (Regierung 1367-1372 ), wurde der Aufschwung Calbes und des Schlosses leider unterbrochen. Albrecht führte eine entsetzliche Misswirtschaft zu seinen eigenen Gunsten, innerhalb dieser kurzen Zeit wurden 3000 Höfe im Erzstift wüst, und das Schloss brannte - aus welchen Gründen auch immer - ab. Als er abdankte, nahm Albrecht noch eine Reihe wertvoller Reliquien mit (vgl. Reccius, Chronik ..., S. 21). Auch nach ihm hatte Calbe mit den Erzbischöfen wenig Glück: Erzbischof Peter lag in Fehde mit den starken Bürgern von Magdeburg, Ludwig kam bekanntlich beim Fastnachtstanz und Feuer im Rathaus 1382 ums Leben (s. Station 2), Albrecht III. musste das Schloss wiederholt verpfänden, und der 1403 an die Regierung gelangte Günther aus dem Geschlecht der Grafen von Schwarzburg führte blutige Fehden mit den traditionell mit seinem Hause verfeindeten Askaniern. Dabei wurde das Kloster "Gottes Gnade" nur um Haaresbreite durch den Abwehrkampf unter dem Schlosshauptmann Balthasar von Wenden vor einer Plünderung durch die Anhaltiner bewahrt (vgl. Reccius, Chronik ..., S. 21ff.).

Erzbischof Günther, der Schwarzburger, war übrigens eine recht eigenwillige Gestalt. Er trug statt der für Geistliche vorgeschriebenen Tonsur eine prachtvolle blonde Lockenfrisur und war wahrscheinlich ohne klerikale Bildung, denn in den 42 Jahren seiner Regierung las er niemals die Messe (vgl. ebenda).

1414 kam auf das Schloss ein "prominenter Gast" von schlimmer Berühmtheit: Johann (Hans) von Quitzow, ein Angehöriger der berüchtigten Raubritterfamilie, die den brandenburgischen Ritteraufstand gegen den ersten vom deutschen König Sigismund in der Mark eingesetzten Hohenzollern, den ehemaligen Burggrafen von Nürnberg Friedrich VI., initiierte und anführte. Allerdings war der "Aufstand" des Quitzow-Klans gegen den neuen fremden Herrscher oft nichts anderes als ein Morden und Brennen gegenüber friedlichen und fleißigen Bürgern und Bauern. König Sigismund hatte Friedrich aus dem fernen Hohenzollern aber nicht nur wegen dessen Unterstützung bei der Königswahl, sondern in erster Linie deshalb als Verwalter in der Mark Brandenburg eingesetzt, weil er ihm eine starke Hand gegen das dort herrschende Ritter-Chaos zutraute. In des Königs Urkunde für Friedrich stand: "Er soll mit seiner Arbeit, Mühe und Macht die Mark, die leider seit langer Zeit durch Krieg und aus anderen Ursachen schwer verfallen und ins Verderben gekommen, wieder aufbringen."  Übrigens trieben die Quitzow-Brüder ihr Unwesen, u. a. gegen die Bürger Berlins, schon lange vor der Einsetzung des Hohenzollern, nur - danach steigerte sich ihre Wut und Frechheit ins Maßlose.

Wappen der Quitzows

Zur Seite hatten sie eine große Schar von anderen unzufriedenen brandenburgischen Landadligen, die mit ihren Kriegsknechten zusammen eine beachtliche Adelsfronde mit einer starken Streitmacht darstellten. Die Leidtragenden waren am meisten die Bauern, die stellvertretend für ihre Herren von der Friedrichs-Partei von den Quitzow-Banditen drangsaliert,  verschleppt und ermordet wurden. Friedrich, der spätere Kurfürst von Brandenburg, war klugerweise Bündnisse mit dem Magdeburger Erzbistum und mit den Herzogtümern Mecklenburg und Sachsen eingegangen. Immer wieder unternahmen nun die Quitzows mit den Verbündeten Plünderungszüge ins Magdeburgische. 1413 hatte Johann von Quitzow das Aufgebot der Magdeburger besiegt, doch im Februar 1414 ging er in Plaue bei Brandenburg den Kriegsknechten Heinrichs von Schwarzburg, des Bruders des Magdeburger Erzbischofs Günther, ins Netz, "um dann andren Tages als Gefangener des Erzbischofs von Magdeburg nach Schloß Calbe hin abgeführt zu werden." (Th. Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg).

Bild (20.Jh.) von der Gefangennahme Hans von Quitzows (nach: Brandenburgs Geschichte - Website des Brechtgymnasiums Brandenburg

Von der Gefangennahme gibt es drei Chronisten-Versionen, aber allen drei (Engelbert von Wusterwitz, Magdeburger Schöppenchronik und Peter Becker) ist gemeinsam, dass Johann (Hans) von Quitzow gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Henning, der in Paris studiert hatte, und einem ihrer Knechte aus dem Gefängnis ("Stock") im Schloss Plaue am 26. Februar 1414 entfliehen konnte. Nachdem die drei ein ganzes Stück über die Havel im Schutze des Schilfrohres - wahrscheinlich über das Eis - entkommen waren, wurden sie von aufmerksamen Bürgern oder Soldaten der Magdeburger Streitmacht entdeckt, - entkräftet wie sie waren - gefangen genommen und den Erzbischöflichen übergeben. Tags darauf wurde Hans von Quitzow, der sich in "Oberacht" befand, als Schwerverbrecher gegen den Landfrieden in die erzbischöfliche Sommerresidenz "Schloss und Feste Calbe" verbracht. Hier kam er aber nicht, wie man denken sollte, ins Verlies oder wurde enthauptet, sondern verbrachte zwei Jahre sozusagen im Hausarrest. Nüchtern schrieb der zeitgenössische Chronist Engelbert von Wusterwitz: "Johann von Quitzow brauchte nur zwei Jahre in Gefangenschaft auf dem Schlosse zu Calbe, und nicht etwa in dessen Kerker, zubringen. Dann machte er seinen Frieden mit dem Kurfürsten und konnte, neu belehnt mit seinen Gütern, in die Prignitz zurückkehren." So einfach war das! Und das mit einem notorischen Landfriedensbrecher. Trotz seines Abbitte-Schwures konnte der Raubritter das Morden, Rauben und Plündern auch in den folgenden Jahren nicht lassen. 1429 stieg der Bandit, der dem Kurfürsten bei der Niederhaltung der Bürger und Bauern behilflich sein sollte, zum Landeshauptmann auf. Selbst in dieser Funktion unternahm er noch laufend Plünderungszüge gegen reiche norddeutsche Städte wie Hamburg und Lübeck. Auch kleinere mecklenburgische Orte fielen der Quitzowschen Gier zum Opfer. Der Bürgermeister von Grabow berichtete 1433: "Sie hebben dar genomen de gantze her tzschap , koge und ossen und pferdt und vele unser Bogher hebben ze gemordet ander dod deschlagen." [Sie haben die ganze Schafherde, die Kühe, Ochsen und Pferde geraubt, und viele unserer Bürger haben sie gemordet und totgeschlagen.] 1437 starb Hans von Quitzow unbehelligt im Alter von 67 Jahren in seinem Bett. Seine wohlhabende Witwe Agnes durfte auf Anordnung des Kurfürsten Friedrich I. von dem geraubten Reichtum und den Gütern leben. Der andere adlige Hauptverbrecher, Johanns Bruder Dietrich von Quitzow wurde auch verschiedene Male im Verlauf seiner "Fehden" gefangen genommen und stets wieder auf Ehrenwort und mit Hilfe von Lösegeld freigelassen. Er führte im Alter das unstete Leben eines besoldeten Kriegsherren in fremden Diensten. Chronist Wusterwitz berichtet: "Im Jahre 1417 ist Dietrich von Quitzow, so der Mark mancherlei Schaden zugefügt und sie heftig beleidigt hat, in dem der Familie von Veltheim zuständigen Schlosse Harpke [heute: Harbke bei Helmstedt - D. H. St.] gestorben und zu Kloster Marienborn [deren Priorin eine Tochter Heinrichs von Veltheim war - Th. Fontane] begraben worden."

Romanische Kirche und Nonnen-Kloster in Marienborn bei Helmstedt. Hier wurde Dietrich von Quitzow beerdigt.

Eine Schwester der Quitzows, Mathilde, hatte den Herrn des Gutes Harbke, jenen schon erwähnten Veltheim geheiratet. Sie bot dem Bruder Dietrich vor seinem Tode Asyl in Harbke. Auch später gab es immer wieder Heiraten zwischen den Veltheims und den reichen Quitzows. So ist es nicht zu verschweigen, dass die Heldin der 5. und 8. Rundgangsstation dieser Website, die schöne Anna Margareta von Haugwitz, mütterlicherseits auch entfernt mit dem berüchtigten Raubritterklan verwandt war.

Auffällig ist für uns heute Lebende die damalige feudale Rechtsauffassung:

Ein anderer Landfriedensbrecher, der bürgerliche Kaufmann Hans Kohlhase (bei Kleist: Michael Kohlhaas), der etwa hundert Jahre später (ebenfalls im Brandenburgischen) von einem Ritter seiner zwei Reisepferde beraubt wurde und der nach vergeblichen Klagen gegen ihn die Fehde eröffnete, wurde nach seiner Ergreifung gerädert. Ein Bürgerlicher, der den Kampf nicht wegen Reichtum, sondern wegen Gerechtigkeit führte, wurde kategorisch anders beurteilt als adlige Räuber.

Beide Vertreter gingen in die Literatur ein: die Quitzows bei Theodor Fontane in die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" und bei Karl May in "Ritter und Rebellen", Kohlhase bei Heinrich von Kleist in "Michael Kohlhaas".

 

Wappen der in Harbke ansässigen Ritterfamilie von Veltheim an der Orgelempore der Stiftskirche St. Marien des Nonnenklosters Marienborn. Hier waren einige Töchter der Familie Priorinnen (Vorsteherinnen), auch die Nichte Dietrichs von Quitzow. (Aufnahme des Verfassers mit freundlicher Genehmigung von Frau Kiwit)

Grabplatte des Ritters Dietrich von Quitzow im Kreuzgang des Nonnenklosters in Marienborn (Nur schwer sind noch die eingemeißelten,  stark verwitterten Umrisse der Figur in voller Körper-, Arm- und Bein-Rüstung, mit Schwert und nackenlangem Haar zu erkennen, oben rechts das Wappen) (Aufnahme des Verfassers, elektronisch verstärkt, mit freundlicher Genehmigung von Frau Kiwit)

Ansicht des Augustinerinnen-Klosters Marienborn mit einer West-Apsis  der Marien-Stiftskirche (Westapsiden stellen eine Seltenheit dar. Die erste romanische Basilika mit Westapsis im deutschen Raum ist die Wigbert-Kirche aus dem 8. Jahrhundert, die heutige St.-Petri-Kirche in Fritzlar.)


 

Zurück zum Schloss in Calbe! Trotz der Rückschläge Ende des 14. und im 15. Jahrhundert wurde es ein beeindruckender Prachtbau mit Mauer, Graben, 7 Türmen und vielen gotischen Erkern. Im 16. Jahrhundert wurde "Schloss und Veste" durch einen Westflügel erweitert und bildete nun ein uneinnehmbares Viereck, das den Wirren des 16. und 17.Jahrhunderts trotzte. Nach Abbildungen des 17.Jahrhunderts handelte es sich um einen quadratischen um einen Innenhof gelagerten Gebäudekomplex. Über dem Erdgeschoß befanden sich zwei Obergeschosse, die im 18. Jahrhundert, also nach der Säkularisation und dem Beginn der Preußenzeit, als Kirche für die reformierten Exilanten (vgl. Station 1) diente, darüber zwei Dachgeschosse mit Zwerchhäusern. In der nordöstlichen Ecke des Gebäudes lag die Schlosskapelle. In diesem befestigten Schloss versteckte sich u. a. auch der damals mächtigste Mann im Reich, der Kurfürst von Mainz, Kardinal Albrecht IV. von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, Erzbischof von Mainz und Magdeburg (1513-1545) in der Zeit des Bauernkrieges, als es für ihn recht bedrohlich wurde.

Begonnen hatte alles, als Albrecht, der all das verkörperte, was Luther angriff, nämlich Orthodoxie, Ablasshandel und Reliquienkult, am 31.August 1513 Erzbischof von Magdeburg wurde. Das Amt hatte er sich mit der unerhörten Summe von 21.000 Dukaten, die er bei dem Bankhaus Jacob Fugger geliehen hatte, beim Papst erkauft. Für die Rückzahlung mussten die Stände, besonders die Städte, aufkommen, denen Albrecht dafür aber Zugeständnisse machte. Alle Menschen, die bei der erzbischöflichen Stuhlfeier Albrechts dabei waren, wurde Ablass aller ihrer Sünden versprochen. Als dann im Juni 1517 auch noch der berüchtigte Ablass-Mönch Tetzel in Magdeburg sein bereits von Teilen des Bürgertums angefeindetes Unwesen trieb, schickte Martin Luther dem Kurfürsten und Erzbischof Albrecht am historischen 31. Oktober 1517 nach Calbe einen Brief mit seinen 95 Thesen und bat diesen, nicht den Ablass, sondern das Evangelium predigen zu lassen. Der Brief wurde am 16. November im Schloss Calbe von den erzbischöflichen Räten geöffnet, weil Albrecht zu diesem Zeitpunkt gerade in Mainz weilte.  Später antwortete er Luther mit bösen Beschimpfungen. Nachdem der Reformator durch die Verbrennung der päpstlichen Bulle den endgültigen Bruch mit Rom vollzogen hatte, schrieb er noch einmal am 4. Februar 1520 an den inzwischen zum Kardinal erhobenen wichtigsten Vertreter der Gegenpartei im Reich und bat ihn, von den Argumenten des Evangeliums auszugehen und nicht von denen der Verleumder. Diesmal erreichte der Brief Albrecht im Schloss Calbe. Von dort aus antwortete er auch auf den zweiten Brief Luthers sehr bösartig, dass Luther den Ton des Kardinals als hart, unartig und unchristlich bezeichnete. Nachdem sich Magdeburg zu einer Hochburg der protestantischen Bewegung entwickelt hatte und sich Kleriker ebenso wie Bürger sogar im Magdeburger Dom zu Luther bekannten, wurde es für Albrecht immer brenzliger. Als auf Befehl des äußerst unbeliebten Erzbischofs Verteiler von Flugschriften mit Luthers Ideen verhaftet worden waren, wurde der Zorn der Volksmassen so bedrohlich, dass diese sofort wieder freigelassen werden mussten. Immer mehr Gemeinden wählten sich protestantische Pfarrer, und Albrecht bat beim Papst darum, Magdeburg in den Bann zu tun. Als das nicht geschah, überzog der Kardinal die Stadt selbst mit kriegerischer Gewalt.

Nun aber näherte sich im Februar 1525 das Bauernheer Thomas Münzers dem Erzstift Magdeburg, und der Kardinal verschanzte sich schleunigst in der Feste (Veste) Calbe. Auch hier schlug ihm eine Atmosphäre der Wut und des Hasses entgegen. Albrecht konnte erst wieder aufatmen, als die Bauern auch mit Hilfe seiner Soldaten am 15.Mai 1525 bei Frankenhausen geschlagen worden waren.

Das Calbesche Schloss war auch, entsprechend seiner Funktion als Nebenresidenz, für die Abhaltung ständischer Landtage genutzt worden. 1541 fand hier in Calbe ein für das Magdeburger Land sehr bedeutender ständischer Landtag statt, der als Weichensteller für die konfessionelle Zukunft der Region anzusehen ist. Ob der ständische Landtag von 1541 tatsächlich die Einführung der Reformation gegen eine Geldzusage zur Tilgung seiner enormen Schulden abtrotzte, ist bei einigen Fachhistorikern eine ungeklärte Frage. 1542 wurde auch Calbe offiziell protestantisch.

Nachdem er die Einführung der Reformation gewährt hatte, zog sich Albrecht nach Mainz zurück, wo er vier Jahre später starb.

Ansicht des barocken Schlosses (Ausschnitt aus dem berühmten Merian-Stich von 1645)

Das Schloss um 1700 (Ausschnitt aus dem Stich "Calegia" von dem Kaufmann Walther in der Hävecker-Chronik von 1720)

Mühlgraben-Promenade und Schloss um 1840 (nach: Archiv Fam. Zähle)

 

Schloss um 1940 (nach: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Halle/Saale)

1556 fand der nächste für das Land Magdeburg so wichtige ständische Landtag statt, auf dem der Beschluss gefasst wurde, in der gesamten Region die Reformation durchzuführen und das Kloster- und Kirchengut zu säkularisieren. Aus den einstmals katholischen Erzbischöfen des Erzbistums Magdeburg wurden somit plötzlich im Jahre 1566 durch Glaubenskonvertierung (1561) der aus ökonomischen und machtpolitischen Gründen "einsichtig" gewordenen hohen Herren protestantische "Administratoren" des Magdeburger Landes (vgl. Wappen des protestantischen Administrators Joachim Friedrich des Erzstifts Magdeburg von 1595 an einem Gebäude der Saalemühle, Station 3).

Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloss schwer in Mitleidenschaft gezogen, selbst in der Schloss-Kirche fanden blutige Gemetzel statt (vgl. Station 6).
Als das Magdeburger Land 1680 Teil Preußens wurde, hörte das Schloss auf, ein politisches Machtzentrum zu sein. Die ersten brandenburgisch-preußischen Landesherren besuchten "Schloß und Feste Calbe" noch einige Male, der Große Kurfürst dreimal, Kurfürst Friedrich III. einmal und als König Friedrich I. einmal 1708 bei einer feuchtfröhlichen Festlichkeit. Friedrich I. war übrigens der erste und einzige Fürst, der das Calbesche Bier nachweislich lobte.

Schlossinnenhof um 1900 -  Blick nach Nordenosten (nach: Foto-Wurbs-Archiv)

Schlossarkaden um 1935 - Blick nach Osten (nach: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Halle/Saale)
 

Inneres der Schlosskapelle (nach: Foto-Wurbs-Archiv)

Kanzel der Schlosskapelle um 1935 (nach: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Halle/Saale)

Blick in den "Goldenen" oder "Ritter-Saal" um 1910 (nach: Foto-Wurbs-Archiv)

Nur die Schlosskapelle wurde noch für die eingewanderten Hugenotten, die französischen und pfälzischen Aussiedler-Neubürger, genutzt (vgl. Station 1). Das Schloss selber, das nun Verwaltungsgebäude des preußischen Staatsgutes (Domäne) in Calbe wurde, verfiel immer mehr, und die auf dem Merian-Stich aus dem 17.Jahrhundert (s. oben) noch sichtbaren barocken Verzierungen verschwanden. Übrig blieb ein schmuckloses Viereck, das in den letzten Kriegstagen durch Brand stark beschädigt und dessen Trümmer nach dem Zweiten Weltkrieg weggeräumt wurden.

Ungefähr so hätte es ausgesehen, wenn das "Schloss Calbe" nicht abgerissen worden wäre (Simulation; links vorn: Sporthalle des Schiller-Gymnasiums)

Über den Mühlgraben führt eine Brücke in Richtung des Hauptarmes der Saale. Die Saale war von altersher ein wichtiger deutscher Fluss. Der erste "prominente" Saale-Reisende, der an Calbe vorbei flussabwärts fuhr, war der süddeutsche Bischof und Missionar Otto von Bamberg (um 1060-1139) auf seinen Pommern-Polen-Missionen.

Dieser - besonders für seine Zeit - außergewöhnliche Mensch und Politiker verdient es, kurz erwähnt zu werden. Er war nicht nur der Bauleiter des Bamberger Doms, uns Heutige beeindruckt auch sein ausgeglichenes Wesen, seine Nächstenliebe und Solidarität, seine Toleranz und Einfühlsamkeit. Wenn in seinem Bistum Missernten und Hungersnöte auftraten, ließ er Lebensmittel aus seinem Besitz verteilen. Die Pomorjanen bekehrte er, indem er nicht - wie andere Missionare - ihre Heiligtümer zerstörte, sondern durch das eigene Vorbild. Er ließ ihnen ihre alten Symbole und wandelte deren Sinn. Der kompromissbereite Politiker vermittelte auch im Investiturstreit und war wesentlich am Wormser Konkordat beteiligt.

Auf der Saale, die Teil einer Wasser-Nord-Süd-Achse ist, wurden wichtige Güter transportiert, im Nahbereich die lebenswichtigen Handelsgüter für Calbe, wie Holz, Salz, Bausteine, Getreide usw. Die nächsten Handelsstationen waren Staßfurt, Schönebeck, Magdeburg und Halle. Es gab nicht nur Schifffahrt, sondern auch Flößerei, die aber bald verboten wurde, als wertvolle Hafen- und Mühleneinrichtungen von den Baumstämmen zerstört wurden.
Die Schiffsanlegestelle befand sich von altersher am Schlossanger. Der untere Teil des Mühlgrabens, in den die Schiffe hineinfahren mussten, war zu diesem Zweck so weit vertieft, dass er Lastkähne tragen konnte.

 

Hier am Anger legten einst die Lastkähne mit wichtigen Handelsgütern an.

Auf der alten Elbe-Saale-Handelswasserstraße wurden seit alter Zeit die Lastkähne zurück stromaufwärts getreidelt, das heißt mit Seilen per Hand gezogen. Wenn die Salz- und Holzlasten stromabwärts in den großen Handelszentren entladen worden waren, wurden die leeren Kähne auf 1,50 Meter breiten "Lein-" oder "Treidel-Pfaden" von "Saalebuffern", wie man die Schifferknechte auch nannte, an über die Schulter gelegten Gurten gegen die Strömung flussaufwärts gezogen. Reste dieser Treidelwege oder Schifferstiege, die erst vor 110 Jahren durch die dampfgetriebene Kettenschifffahrt überflüssig geworden waren, kann man heute noch entdecken.
Nach der Zerstörung der Brücke nach Gottesgnaden (vgl. Station 6) wurde hier nur kurzzeitig ein Fährbetrieb eingerichtet. Bald wurde die Fähre für zwei Jahrhunderte an die "Heydereuthey nach Tippelskirchen verlegt. Erst als hier die Prinz-Wilhelm-Brücke 1880 errichtet worden war, wurde wieder der Fährbetrieb in der Nähe des Schlosses nach Gottesgnaden aufgenommen.

Ab und zu kann man noch die vor 110 Jahren zuletzt benutzten Treidelpfade erkennen

 

Die Fähre bei Tippelskirchen (nach: Archiv Fam. Zähle)

Die Saale war nicht nur ein bedeutender Verkehrsweg, sondern auch eine reiche Nahrungsquelle. Hier waren Generationen von Fischern zu Hause, die den Fischreichtum abschöpften.
Der Fluss hatte aber seine gefährlichen Seiten. Besonders in der nach dem mittelalterliche Optimum (vgl. Station 19) auftretenden "kleinen Eiszeit" kam es im 18. Jahrhundert immer wieder zu starkem Eisgang auf der Saale und/oder zu verheerenden Überschwemmungen. Überfahrten auf den Thie zum täglichen Melken der Kühe waren immer wieder mit Gefahren verbunden, es wird berichtet, dass auch Mägde dabei ertranken.

Der Thie von Calbe, jenseits der Saale gegenüber der Fischerei und östlich der alten Schleuse gelegen, war allgemeines Nutzungsland der Kernstadt-Ackerbürger (- nicht der Vorstädter -). Als der Rat der Stadt den Versuch unternahm, Gras vom Thie zu verkaufen und damit die Allmende-Rechte der Bürger zu untergraben, kam es zu drastischen und erfolgreichen Protestaktionen. In alten Quellen wird dezidiert vom Bürger-Thie gesprochen.

Blick von Osten auf den Calbeschen Bürger-Thie

Fährbetrieb um 1840 (nach einem zeitgenössischen Stich von Julius Fleischmann in: Münnich, a. a. O., S. 118)

Um auf dem Weg von der Schlossstraße nach Gottesgnaden zu gelangen, müssen wir jetzt die Gierfähre benutzen, da seit dem Dreißigjährigen Krieg hier keine Brücke mehr existiert (vgl. Station 6). Eine Gierfähre funktioniert dadurch, dass sie den Druck des strömenden Wassers, an Seilen um einen festen Punkt drehbar, durch Schrägstellung zur Strömung in einem effektiven Winkel ausnutzt.

Gierfähre zwischen dem Sandhof und Gottesgnaden