16. Nun gehen wir weiter bis zum Ende der Wilhelm-Loewe-Straße (Querstraße). An der Ampelkreuzung und der Tankstelle befindet sich der Friedensplatz. Bevor man von hier in die "Magazinstraße" einbiegt, sieht man rechts ein  Gebäude aus dem 18.Jahrhundert stehen, das Wollmagazin für die damals ansässigen über 100 bis zeitweilig 180 selbständigen Weber in Calbe.

Ehemaliges Wollmagazin, später Schnitterkaserne

Der Beginn des großen Aufschwungs der Calbeschen Tuchproduktion wurde von der Einwanderung verfolgter und geschädigter Tuchmacherfamilien aus Frankreich und der Pfalz (vgl. Station 1) wesentlich mit initiiert. Die Schutzbriefe und Vergünstigungen zogen immer mehr Tuchmacher in die Stadt. Die erste Welle der Tuchmachereinwanderung erfolgte wahrscheinlich 1710 (vgl. Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 67). [Im folgenden beziehen sich die meisten Angaben mit den entsprechenden Jahreszahlen auf dieses Werk von Reccius.] 1733/34 waren unter 58 Neubürgern 25 Tuchmacher, unter ihnen der Stammvater der legendären Calber Tuchfabrikanten-Familie Nicolai. Den königlichen Privilegienbrief erhielten die Tuchmacher der Stadt von Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1738. 1746 war ein erster Boom des Tuchgewerbes zu verzeichnen: 123 Meister stellten zusammen mit 140 Gesellen jährlich 8000 bis 9000 Stück Tuchprodukte, fast nur Friese (99,9%), her, das Stück zu 10 Talern (vgl. Hertel, S. 90). 1779 gab es in Calbe 134 Tuchmacher und 386 Spinner(Innen), die hauptsächlich Friese im Wert von 65 756 Talern herstellten. Calbe lag in Bezug auf die Anzahl der im Tuchmachgewerbe Tätigen an der Spitze aller Städte im Magdeburger Land. 1754 hatte sich der Begriff Tuchmacherstraße für die alte Öl- bzw. Judenstraße durchgesetzt.

Je stärker die Tuchproduktion in Calbe aufblühte, desto mehr geriet der Wollhandel in die Hände von spekulierenden Kaufleuten. Trotz königlicher Verordnungen von 1747 und 1774 zum Schutz der Tuchproduzenten, die die Wollausfuhr und die Spekulation der Kaufleute verboten, kam die Tucherzeugung durch Verteuerung der Wolle und durch Verlag seitens der Händler zeitweilig ins Stocken. Krisen schüttelten die Branche, die erste schwere war die von 1740-1743. Die Geister des Kapitalismus, die von den preußischen Königen gerufen worden waren, zeigten nun auch ihre hässlichen Seiten. 1740 waren von 174 Tuchmachern 46 arbeitslos (26,4%). Das bedeutete damals Not und Elend für Leute, die als Weber, Walker und Scherer oft nicht gerade zum wohlhabenderen Handwerkertum gehörten. Auch die vielen Zuarbeiter, z. B. die Spinnerinnen, wurden dann brotlos. Um ihre Beschäftigung zu sichern, zahlten einige Spinnerinnen von ihrem ohnehin nicht üppigen Lohn Schutzgelder, und Tuchmacher verkauften Wolle, obwohl das verboten war (1714). Auf den Leipziger Messen zu Beginn der 1740er Jahre erreichten die Calber Tuchmacher nur noch die Hälfte ihres bisherigen Absatzes, und die Tuchproduktion ging zeitweise stark zurück. 1770 würgte die Preisschere die Calbesche Tuchproduktion. Da das Gewerbe stark von der Armeeausstattung abhängig war, wirkten sich auch ausbleibende Kriege verheerend auf die Wirtschaftslage aus. Als die Meister in Erwartung des Bayrischen Erbfolgekrieges 1778 (vgl. Station 18) zu viel produziert hatten, und beim Ausbleiben der großen Schlachten auf ihren Waren sitzen blieben oder sie verschleudern mussten, führte das zum Ruin vieler Meister (vgl. Hertel, ebenda). Eine abstruse Situation: Während die einfachen Soldaten sich freuten, dass der Krieg nahezu friedlich im Sande verlaufen war, brachte das vielen Tuchmachern Verlust und Bankrott.

Staatshilfe war vonnöten, um das Tuchmachergewerbe in Calbe am Leben zu erhalten. Zu Beginn des Jahres 1786 schickten die Calber Tuchmacher an den zuständigen Kriegs- und Domänenrat Avenarius in Magdeburg einen Brief mit der Bitte um Rettung ihrer Existenzen. Darin hieß es, dass etwa zwei Drittel der 122 Meister als Knechte der Kaufleute anzusehen seien, „da sie gegen die Vorschüsse zu ihrem Wollankauf die fabrizierten Friese um solche Preise abliefern mußten, daß sie kaum das trockene Brot dabei verdienen und jährlich an 100 Taler verlieren, welche sie dann borgen und in Armut geraten mußten, so daß sie schließlich die Profession gar nicht mehr betreiben konnten.“ (vgl. Hertel, ebenda) Avenarius leitete den Hilferuf schleunigst nach Potsdam weiter, und am 17. Mai 1786 bewilligte der schwer kranke Friedrich II. 6000 Taler zum Wollkauf.

Um die Calbeschen Tuchmacher von den Spekulationen und dem Verlagssystem der Kaufleute zu befreien, wurde 1792 ein staatliches königliches Wollmagazin vor dem Brumbyer Tor (heute: Friedensplatz/Magazinstraße) errichtet. Ein Ratmann und ein Obermeister fungierten als Verwalter. Durch den Aufkauf der Wolle seitens des Staates und das Verhindern des Vorkaufs durch die Händler bzw. deren Verlagspraktiken konnten die Meister nun mit Gewinn auf eigene Rechnung arbeiten. Auch die neue Erlaubnis (1789), mit einem amtlichen Genehmigungsschein die Wolle selbst in den Dörfern einkaufen zu dürfen, führte zu einem Aufschwung in der Friesproduktion. Aber schon 1795 gab es eine erneute Krise, bei der 27% der Tuchmacher arbeitslos wurden. Als man merkte, dass durch staatlichen Protektionismus die Sache nur verschlimmert wurde, gab Friedrich Wilhelm II. den Wollhandel 1802 gänzlich frei. Nun konnte das kapitalistische System voll greifen. Die Wollproduktion stieg zwar in den nächsten Jahren an, aber eine heftige Konkurrenz der Produzenten untereinander und auf dem Binnenmarkt führte zu einem verstärkten Ruin vieler Tuchmacher, die man später als Lohnarbeiter in den entstehenden Fabriken wieder fand. Die innovativsten Tuch-Produzenten aber, wie die Familien Ritter, Grobe (seit 1780) und Nicolai, wurden dabei wirtschaftlich immer leistungsfähiger und reicher. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts setzten die staatlichen Stellen mehr auf eine Steigerung der Produktion durch Verbesserung der Wollqualität, d. h. durch Züchtung edlerer Schafrassen.

Ab 1806 benutzte man das "Magazin" als Getreidelager, danach als Pferdestall der Kavallerie und seit der Mitte des 19.Jahrhunderts als "Schnitterkaserne" für die "Sachsengänger" genannten Saisonarbeiter aus den östlichen Gebieten des Reichs und aus Polen, die auf der Schlossdomäne benötigt wurden. Die Idee, das Magazin als militärisches Pulverlager zu nutzten, war klugerweise abgewiesen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Magazin als menschliche Behausung gesperrt und nur noch zeitweilig als Lager eingerichtet.

Das Magazin war direkt vor dem Westausgang der Stadt, vor dem Brumbyer Tor, errichtet worden. Neben diesem Tor hatte der Rat einen städtischen Gasthof erbaut, den "Schwarzen Adler".

Die preußischen Könige bzw. ihre Beamten achteten streng auf die Benutzung der vorgeschriebenen Verkehrswege, dass ihnen auch keine einzige Zoll- und Steuerabgabe entging. Zur Versorgung der Fuhr- und Handelsleute erging 1697 der kurfürstliche Befehl, entlang dieser Magistralen „gute Gasthöfe“ zu bauen.

Vor dem Brumbyer Tor wurde im gleichen Jahr für 858 Taler der „Rote Adler“ gebaut, der an einen Posthalter und Gastwirt verpachtet wurde. Das Brumbyer Tor war also auch Poststation. Später wurde der Gasthof nach dem preußischen Wappentier „Schwarzer Adler“ genannt. Hier hielt auch Wilhelm Löwe (vgl. Station 14) in der Vormärzzeit seine volksaufklärerischen Vorträge. Im 19. Jahrhundert baute man das Gebäude zu einem Hotel um und nutzte es nach 1945 als Geschäfts- und Wohnhaus.

Auch der Schießgraben der städtischen Schützengesellschaft (vgl. Station 15) befand sich gleich südlich neben dem Brumbyer Tor. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit hatten die Schützenwettbewerbe und -übungen noch nördlich vor der Stadt "bei der Vogelstange" an der Radelbreite in der Nähe des Mägdesprunges stattgefunden (heute: Nähe Ärztehaus) (vgl. Station 13). Der neue Schießgraben war ein Teil des ehemaligen westlichen Stadtgrabens. Die alten Stadtbefestigungen waren im 18. Jahrhundert überflüssig geworden.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Calber Schützenwesen zum Erliegen gekommen. Die neue Staatszugehörigkeit zu Brandenburg-Preußen und ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung machten den Bürgern Mut, den Schützenverein wieder ins Leben zu rufen. Am 9. Mai 1684 baten die Bürger von Calbe den Großen Kurfürsten, Waffenübungen, Scheiben- und Vogelschießen anstellen zu dürfen. Als sie jedoch darum baten, dass der Fürst ihnen eine gewisse Summe aus den städtischen Akzise-Einnahmen für die „Exercitia“ bewillige, wurde ihr Ansinnen abgelehnt. Erst unter seinem Sohn, dem späteren König Friedrich I., der Calbe von seinen Besuchen besonders wegen des guten Bieres in erfreulicher Erinnerung hatte, wurde dem Stadtkämmerer 1693 bewilligt, 30 Taler für die Bürgerschützen aus der Akzisekasse zu nehmen, wovon 15 Taler für die Errichtung einer Schützenbaracke und 15 Taler für Preise verwendet wurden. Die Statuten gab sich die neue Schützengesellschaft am 25. Mai 1694. Bei der Erneuerung der Statuten 1698 schafften sich die Schützen eine Fahne an. Schützenübungen und Schützenfeste bewegten sich jetzt in militärischen Formen. Vom 24. Juni (Johannistag) bis 29. September (Michaelistag) fanden nun regelmäßig montags um 13 Uhr Preisschießen statt. 1700/01 wurde die Baracke durch ein Schützenhaus aus Holzbohlen mit steinernem Fundament ersetzt. Es stand auf der südlichen Seite  vor dem Brumbyer Tor. Der ehemalige Stadtgraben war zum Schießgraben umfunktioniert worden. Der aus der Akzisekasse gezahlte Zuschuss war auf 20 Taler jährlich reduziert worden (vgl. Hertel, S. 94f.). Das letzte Preisschießen fand 1712 statt (vgl. Reccius, S. 74). 14 Jahre bestand die inaktive Schützengesellschaft unter dem Soldatenkönig noch, dann löste sie sich 1727 auf. Waren behördliche Schikanen unter einem König, der mehr Interesse an einem stehenden Heer als an einem Verein bürgerlicher Selbstbestätigung hatte, der Grund dafür? Das Schützenhaus kaufte 1727 ein Bürger und baute es zu einem Wohnhaus aus. Erst unter Friedrich II. entstand erneut eine Schützengesellschaft. 1742, nach dem in Calbe mit einem großem Fest gefeierten siegreichen Ende des ersten Schlesischen Krieges (vgl. Station 18), erließ Bürgermeister Haacke einen Aufruf zum Preisschießen, der zur Gründung des neuen Vereins mit zwei Schützenkompanien führte, der auch wieder ganz militärisch ausgerichtet war. Die Schießübungen und –wettbewerbe fanden wie früher im Schießgraben vor dem Brumbyer Tor statt. Friedrich gewährte keinen Zuschuss aus der Akzisekasse mehr, und die Bürger mussten ihre Preisschießen selbst finanzieren. Der König erlaubte ihnen aber ganz im kameralistischen Sinne, einen Viehmarkt abzuhalten und sich aus dessen Ertrag Preise anzuschaffen. Der neue Viehmarkt wurde jährlich zu Mariä Geburt (8. September) innerhalb der Stadt auf der Breite durchführt (vgl. Hertel, S. 95). Aber als der Calber Verein 1770 und 74 wegen Privilegierungen - besonders für junge Bürgerschützen -  beim Magistrat vorstellig wurde, lehnte dieser alle Anträge ab (vgl. Reccius, S. 78f.). Die preußische Schützengesellschaft fand ihr Ende in der Zeit der napoleonischen Besatzung.

Als man im 18. Jahrhundert die Stadtmauern abtrug, wurde Neusiedlern vom Rat gestattet, nördlich und südlich vor dem Brumbyer Tor, also an der ehemaligen Westmauer, Häuser zu bauen.

1756 gab der Magistrat den ehemaligen Stadtgraben in südlicher Richtung vor dem Brumbyer Tor als Baugelände für Neusiedler frei. 1770 hatten hier bereits 30 Familien ihr Haus gebaut. Nach Süden zu entstand vor dem Westtor in den 1770er/80er Jahren ebenfalls ein Neubaugebiet. Die beiden Siedlungen, die auch zur Stadt gehörten, nannten die Calbenser die Alte (nördlich) und die Neue Sorge (südlich). In etwa entsprachen sie Teilen der Arnstedt- und der Magdeburger Straße. Der Begriff „Sorge“ hat sich aus dem mittel- und frühneuhochdeutschen Wort „Zarge“ herausgebildet und bedeutet „Rand“, in dem Falle „Stadtrand“.

Auf der Westseite vor der Alten Sorge erstreckten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Maulbeerplantagen. Zuvor hatte direkt vor dem Brumbyer Tor eine stattliche Anzahl Salweiden gestanden. Die Anpflanzung von Salweiden hatte der Soldatenkönig für Calbe an allen morastigen Stellen, z. B. am versumpften Bett seines gescheiterten Kanals (vgl. Station 20) sowie an der Schlöte und am Solbrunnen, zur Verbesserung des Bodens angeordnet (1719/1727). Sein Sohn Friedrich II. war von der Idee besessen, um die Stadt herum weiße Maulbeerbäume zur Seidenraupenzucht anzupflanzen.

Da die Raupe, welche die im Rokoko so beliebte Seide produzierte, sich ausschließlich von Maulbeerblättern ernährte, wurden um Calbe große Plantagen dieses subtropischen Baumes angelegt. 1750 wurde von der Regierung eine gute Belohnung für den Anbau dieser Pflanzen ausgesetzt, denn Friedrich der Große wollte Preußen in Sachen Seide zum Selbstversorger machen. Überall in Preußen, vor allem an Straßenrändern und anderen freien Flecken ließ der Monarch die exotische Pflanze anbauen.

1770 betrieb der hugenottische Kolonist (vgl. Station 1) Jean Jeannavelle neben seinem Strumpfwirker-Gewerbe eine Seidenraupenzucht, wofür er eine Maulbeerplantage von 2,5 Morgen angelegt hatte. Die vom Magistrat an den Gärtner Steinhäuser verpachtete Maulbeerplantage auf der Wunderburg (vgl. Station 22) war wenig erfolgreich, 1771 verkümmerte eine Reihe von Bäumen. 1785 waren 14 Morgen um Calbe mit Maulbeerbäumen bepflanzt. Trotz geringer Erfolge wurden immer wieder neue Versuche gestartet, und noch 1804 war von einer Maulbeerplantage auf der Alten Sorge links vor dem Brumbyer Tor (heute: Westseite der Magdeburger Straße) die Rede. Obwohl die Versuche bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts liefen, erwies sich die damals mit zwei Millionen Talern geförderte königliche Initiative als Fehlschlag. Sowohl der Weiden- als auch der Maulbeerbaum-Anbau waren wohl bei einigen Calbensern nicht beliebt, denn wiederholt beschwerten sich Plantagenbesitzer über das mutwillige Ausreißen von Setzlingen.

Nicht weit vom Brumbyer Tor und dem ehemaligen Wollmagazin entfernt befindet sich gleich zu Beginn der Hospitalstraße eine der ältesten Gesundheitseinrichtungen aus der Bismarckzeit.

Krankenhaus von 1868 im neogotischen Stil

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war der Baustil der Neogotik sehr beliebt

Schon im 18. Jahrhundert waren in den europäischen Großstädten städtische Krankenhäuser aufgekommen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Krankenhäuser auch in den deutschen Ländern, insbesondere seit der Gründung des Deutschen Reiches, errichtet. Dies hing hauptsächlich mit der Entwicklung der Anästhesie und aseptischer Operationstechniken zusammen.
In Calbe waren die ärmlichen Hütten des Elendenstiftes hinter der Kirche zum Heiligen Geist (Hospitalkirche, vgl. Station 10) in einer Zeit des deutschen Aufschwunges und wegweisender medizinischer Erkenntnisse von Virchow, Pasteur, Semmelweis u. a., besonders aber nach den Cholera-Attacken, als „Krankenhaus“ untragbar geworden.

Seit 1817 wurden die Menschen in Europa von dem Gespenst einer neuen Pandemie, der aus Asien vorrückenden Cholera, bedroht. In Asien, besonders in Indien und China, war sie schon seit Jahrhunderten bekannt. Aber durch den Kolonialismus der Europäer, verbunden mit großen Truppenbewegungen, und durch Voraussetzungen in Europa selbst, die erst im 19. Jahrhundert gegeben waren, konnte die schreckliche Seuche, auf welche die Ärzte völlig unwissend reagierten, auf Europa übergreifen. Für die plötzliche Ausbreitung der Cholera bei uns waren besonders die Zunahme der Menschen- und Warenströme Richtung Europa und in Europa selbst die Industrialisierung und ihre Begleiterscheinungen bedingend. Insbesondere die Entstehung von Großstädten mit unzureichender sanitärer Ausstattung und die Armut in den überbevölkerten Arbeitervierteln europäischer Städte boten der Seuche einen idealen Nährboden. Die Cholera ist eine durch das im Wasser lebende Bakterium Vibrio cholerae hervorgerufene Infektions-Erkrankung, die zu permanentem Erbrechen und zu wässrigen Durchfällen führt. Der stetige Wasserverlust bewirkt die innere Austrocknung und den Verlust lebenswichtiger Mineralien. Ohne Behandlung sterben bis zu zwei Drittel aller Erkrankten innerhalb von ein bis sechs Tagen. Die Welle von 1817 kam noch vor den Grenzen Preußens und der anderen deutschen Staaten zum Stehen, aber schon 1829 wurde aus der am Ural gelegenen Stadt Orenburg erneut das Auftreten der Cholera bekannt, die sich seit 1830 schnell in Richtung St. Petersburg und Polen bewegte. In Warschau forderte sie mehr als 2600 Tote. Da aus Unkenntnis die gleichen, wenn auch sehr streng gehandhabten Maßregeln (Militärkordons, Räucherungen, Quarantänen) wie bei den früheren Pestseuchen ergriffen wurden, die Wurzeln der Seuche aber nicht bekannt waren, war die Ausbreitung über die deutschen Länder einschließlich Österreich und nach Frankreich und England nicht zu verhindern. Im Sommer ergriff die Cholera die preußische Hauptstadt Berlin. Wie eine zeitgenössische Karte zeigt, ereigneten sich zu Beginn der Epidemie die meisten Cholerafälle in der Nähe von stehenden oder kaum bewegten Gewässern; insgesamt waren die Armenviertel stärker als andere Stadtteile betroffen. Die Epidemie forderte in Berlin 1.462 Menschenleben, rund 0,6 % der damaligen Berliner Bevölkerung, auch der Philosoph Hegel fiel ihr zum Opfer. In Calbe traten die ersten Fälle ebenfalls 1831 auf. Die Hauptwelle ergriff unsere Stadt 1832, mit 80 Cholera-Toten lag die Rate sogar bei 1,3% (- bezogen auf die Einwohner der Stadt und der Vorstädte). Im gleichen Jahr erreichte sie auch England. Bei einem erneuten Vorrücken von Süden her kam die Krankheit nicht bis Preußen. Die dritte Pandemie erreichte Europa 1847 und kam 1855 nach Calbe. Diesmal lag die Seuchen-Sterblichkeit mit 200 – besonders in den Monaten August und September (allein am 31. August 17 Cholera-Tote) - bedeutend höher (2,2%). Von der vierten Pandemie (1863-1875) wurde Calbe gleich zweimal getroffen. 1866 war die Sterblichkeit am höchsten (3,5%). Zwischen dem 16. August und 17. Oktober erkrankten in Calbe an der Cholera 639 Menschen, von denen 388 (59,5%) starben. 1873 fielen der Seuche noch einmal 266 Calbenser zum Opfer (2,4%). Besonders aus der Seuchenwelle von 1848 in London hatten die Ärzte gelernt, dass die Epidemie etwas mit einer hohen Bevölkerungsdichte, mit schlechten Wohnverhältnissen, mangelhafter Ernährung und vor allem mit verseuchtem Trinkwasser zu tun hatte. So trug die Seuche auch entscheidend mit zur Verbesserung der sozialhygienischen Verhältnisse in den Städten bei.
In Calbe holten die Menschen immer noch das Trinkwasser wie in den meisten deutschen Städten aus Brunnen mit Schwengelpumpen. Zwar hatte sich seit dem 18. Jahrhundert für jedes Haus die Anlage einer Gemeinschafts-Latrine durchgesetzt, und Nachttöpfe wurden nicht mehr einfach auf die Straße entleert, aber die Sickergruben der Aborte waren oft nicht gegenüber dem Erdreich isoliert. Fäkalien sickerten in den Untergrund und damit in das Grundwasser. Abwasserentsorgung geschah in jener Zeit noch nicht durch eine unterirdische Kanalisation, sondern durch ein stinkendes Grabensystem, das schließlich in den Mühlgraben mündete. Rocke setzte sich in seinen Publikationen dafür ein, dass Calbe eine Leitung mit sauberem Wasser und eine Kanalisation erhielt, was aber erst Jahrzehnte später geschah. Die zahlreichen landwirtschaftlichen Gehöfte inmitten der Stadt mit ihren Misthaufen trugen ebenfalls zur Grundwasserverunreinigung bei (vgl. Rocke, S. 154).
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich konträr zur Auffassung im Zeitalter der Renaissance und des Barocks die Meinung der Mediziner durch, dass Reinlichkeit und Baden vor Seuchen und anderen Krankheiten schützen könnte. Noch im 17. Jahrhundert fiel ein gebildeter Mann wie der Licentiat Christoph Deutschbein aus Calbe durch sein schmutziges Äußeres auf (vgl. Kinderling, Nachricht von Christoph Deutschbeins milden Stiftungen …, a. a. O., S. 443). Dieser reiche und wohltätige Mann war nicht etwa in die Asozialität abgeglitten, sondern stand lediglich auf der Höhe des medizinischen Erkenntnisstandes seiner Zeit, nach dem eine Schmutzschicht auf Körper, Kleidung und Bettwäsche vor Krankheitserregern schützen sollte. Als besonders gefährlich wurde Wasser angesehen, und die „Reinigung“ geschah durch vorsichtiges Abstauben der von Kleidung unbedeckten Teile des Körpers (vgl. Geschichte der Hygiene [Institut Pasteur]– http://www.hygiene-educ.com/de/histoire/sci_data/temps.htm). Da konnten die Gelehrten über die „Dummheit“ der einfachen Menschen, die sich doch tatsächlich manchmal wuschen, nur erhaben den Kopf schütteln.
Seit dem 19. Jahrhundert änderten sich diese Auffassungen grundlegend. Sorgfältiges Reinigen mit Wasser wurde ein Grundgebot der neuen Hygieneanschauungen. Das wirkte sich auch auf die Gründung neuer Industrien aus:
1846 errichtete Eduard Imroth eine Seifensiederei (- dazu Subpage). Bereits 1819 gab der Magistrat für die Anlage einer Badestelle in der Saale 10 Taler aus. Als 1846 der Kreisarzt (Kreisphysikus) Dr. Siebenhaar öffentlich für das Baden in der Saale eintrat, gab es ein vermehrtes Interesse für diese Neuerung. Ratsmann und Färberei-Fabrikant Schotte hatte schon seit einiger Zeit eine Strombadestelle für sich und seine Familie angelegt und gestattete nun den anderen Interessenten dort ebenfalls das Baden. Die zu Reichtum gelangte Schönfärberfamilie Schotte fiel allgemein auch durch modern anmutende Naturnähe auf, u. a. hatte sie sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Südhang der höchsten Wartenberg-Erhebung eine „Sommerfrische“ mit Obstplantage eingerichtet, die im Volksmund bald ironisierend „Schottenlust“ (seit 1820 nachweisbar) genannt wurde. Damit war der Grundstein zur späteren Kultivierung des Wartenberges als Ausflugsort gelegt. 1855 richtete die Stadt selbst einen Badeplatz auf dem „Mönchsheger“ ein. Als Bademeister wurde der Schuhmacher Feldmann eingesetzt. Erwachsene schwammen durch die Saale, stiegen drüben an Land, entledigten sich drüben der nassen Hose, hingen diese zum Trocknen auf und tummelten sich unterdessen nackt. Diese „Freikörperkultur“ wurde bald vom Magistrat unter Strafe gestellt, „dieweil dadurch der Anstand verletzt werde“ (Reccius, Chronik…, a. a. O., S. 89). Zur Verbesserung der Volkshygiene hielten Ärzte, so auch 1846 der politisch engagierte Dr. Loewe (vgl. Station 14) im „Schwarzen Adler“, regelmäßige Vorträge über Gesundheit.
1856 wurde der Bau eines neuen Krankenhauses in Calbe angeregt. Durch Sammlungen und Geldübernahmen aus Stiftungsfonds, von denen es in Calbe mehr als 20 gab, sowie mittels Geld aus der Stadtkasse und von testamentarischen Verfügungen waren 8800 Taler zusammengekommen, und der Bau vor dem Brumbyer Tor konnte im Frühjahr 1867 begonnen werden. Im Herbst des Jahres war er vollendet. Das neue Krankenhaus (heute Nordteil des Krankenhauses vor dem Haupteingang) bestand aus einem Hauptgebäude und einem Anbau an der Hinterfront. Es enthielt ein Souterrain (Kellergeschoss), zwei Etagen mit Korridoren und einen Bodenraum. Der Anbau auf der Westseite fasste ein Zimmer für Patienten mit ansteckenden Krankheiten, ein Raum für „Wahnsinnige“ und ein Zimmer für den Krankenwärter. Außer diesem (männlichen) Pfleger waren bei Eröffnung des neuen Krankenhauses noch zwei Diakonissinnen aus dem Bethanien-Haus in Berlin und ein Dienstmädchen angestellt. Hier wurden also, wie damals in anderen Städten auch, alle nichtinfektiösen Patienten, unabhängig von ihrer Erkrankung, zusammen in den Zimmern des Krankenhauses untergebracht. Ausnahmen bildeten das Quarantänezimmer für Patienten mit ansteckenden Krankheiten und die so genannte „Irrenabteilung”.
Alle Angelegenheiten dieser Einrichtung, die insgesamt 15.000 Taler kostete, regelte der Magistrat zusammen mit der „Krankenhaus-Kommission“ der Stadtverordneten-Versammlung (vgl. Rocke, Geschichte…, a. a. O., S. 134 f.).
1875 wurden die "Vereinigten Stiftungen" gegründet, unter deren Leitung das Krankenhaus und das 1878 fertig gestellte Hospital standen. Im Hospital wurden hilfsbedürftige alte Leute untergebracht. Vor 1868 und 1878 hatten die armseligen Hospitalhütten an der Heiliggeist-Kirche (vgl. Station 10) den Kranken und Hilfsbedürftigen zur Verfügung gestanden. Solche Zustände waren aber im Zeitalter des international aufstrebenden vereinigten Deutschlands, in dem das neue Reich auch auf dem Gebiet der Medizinwissenschaften führend wurde, nicht mehr tragbar.

Das Hospital von 1878

Die 1871 endlich durch eine Revolution "von oben" vollzogene Einheit Deutschlands hatte nicht nur einen enormen wirtschaftlich-kommerziellen und wissenschaftlich-technischen Aufschwung, sondern auch einen bedeutenden Schub im charitativ-sozialen Bereich zur Folge. Bismarck schuf für das Deutsche Reich eine in der Welt beispielgebende Sozialgesetzgebung: 1883 wurde die Krankenversicherung,  1884 die Unfallversicherung und 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung für Arbeiter eingeführt. Für seine Fortschritte im Sozial-, insbesondere auch im Gesundheitswesen, verbunden mit bahnbrechenden Entdeckungen, wurde Deutschland bewundert und geachtet.

Heute sind beide Häuser miteinander verbunden und gehören zum gleichen Krankenhaus. Die Senioren werden heutzutage in anderen Einrichtungen betreut.

Die historischen Vorgängerinnen unserer heutigen Krankenschwestern sind im kirchlichen Bereich zu suchen. Von den Beginen in den Hospitälern an der St.-Nicolai-Kirche (später: Heiliggeistkirche) wurde bereits in der Station 10 berichtet. Die seit 1868 in Calbe wirkenden katholischen "Grauen Schwestern" wurden auf Station 15 im Zusammenhang mit dem Elisabeth-Stift in der Magdeburger Straße vorgestellt. Es gab auch einen Sitz der evangelischen Schwestern: Für sie wurde 1905 eigens ein Heim, fast am südlichen Ende der Magdeburger Straße, errichtet. Seit dem 2. Januar 1954 ist darin die Wilhelm-Loewe-Apotheke untergebracht (vgl. Calber Apothekengeschichte Station 4).

Das im Neorenaissancestil 1905 erbaute evangelische Schwesternheim, die Dr.-Loewe-Apotheke seit 1954 (Aufnahme von 1986)

Trotz der Apotheken-Schränke verrät das Interieur mit Kamin die ursprüngliche Bestimmung (Aufnahme von 1986)