Die Hintergrundmusik stammt aus Georg Händels Orgelkoncert in G-Moll Nr. 1, Op. 4

12. Wenn wir wollen, können wir auf dem rechten hohen Ufer der Saale die Reste eines einstmals sehr bedeutenden und berühmten Stiftsklosters der Prämonstratenser besuchen. Die Gierfähre bringt uns zum Dörfchen Gottesgnaden (jetzt Ortsteil von Calbe), welches an das Kloster und die Besiedlung der späteren Domänegüter erinnert. An einigen Stellen treffen wir noch auf die alten Klostermauern, die aber ursprünglich viel höher waren.

Gottesgnaden mit Klostermauern, von Osten gesehen

Die romanische kleine Hospitalkirche vor den Toren des Klosters

Eine alte Sage versucht die Gründung des Klosters auf dramatisch-gefühlvolle Weise zu erklären.

Ein Ritter (bzw. ein Graf) hatte ein fürstliches Mädchen (bzw. eine Königstochter) auf seinem Pferd entführt. Die Verfolger, die schon dicht hinter ihnen waren, jagten die Fliehenden mit Absicht bis in diese Gegend. Plötzlich scheute das Pferd. Sie standen an einem 10 Meter hohen Abhang. In seiner Not gelobte der Ritter (Graf), ein Kloster zu gründen, wenn der Sprung gelänge. Sprung und Flucht durch die Saale gelangen, und er hielt sein Wort (vgl. Leuckfeldt, Antiquitates..., a. a. O., S. 8).

Diese Sage zum Ursprung des Klosters „Gratia Dei“ (Gottes Gnade) wurde bereits im 17. Jahrhundert von dem Historienschreiber Bake überliefert, wie Johann Georg Leuckfeld 1721 in seinen „Antiquitates Praemonstratenses“ (vgl. ebenda) berichtete. Leuckfeld wies auch darauf hin, dass das gleiche Sagenmotiv von Flucht, Bedrängnis, Schwur und Errettung zur Gründungserklärung für das niederländische Prämonstratenserkloster bei Herzogenbusch herhalten musste.

Der Calbesche Mägdesprung an der Siedlung "Brotsack" Der Mägdesprung - ein steinzeitlicher Kultplatz am nordöstlichen Stadtrand

Blick vom Mägdesprung zum Stadtzentrum um 1850 (nach: Archiv Fam. Zähle)

Das erhöhte Ufer am Ende der Brotsack-Siedlung, bei einem Spaziergang am Nordrand der "Grünen Lunge" deutlich sichtbar, wurde über Jahrhunderte hinweg "Mägdesprung" genannt. Erstmalig ist der Name in Calbe 1446 nachweisbar, als Erzbischof Friedrich III., Graf von Beichlingen, (Regierung 1445-1464)  einige Leute mit einer Breite unter dem "Meigdesprunge vor Calbe" belehnte (vgl. Reccius a. a. O., S. 26). Der Ortshistoriker Reccius hielt eine "Stelle, wo Tanzfeste abgehalten wurden" für möglich, schloss aber auch eine Quelle (Spring) nicht aus. Hävecker weist darauf hin, dass an dieser Stelle einstmals eine größere Anzahl steinerner Relikte gefunden wurde. Deshalb glaubte er sogar an die Existenz einer Burganlage im Norden vor der Stadt (vgl. Hävecker, Chronica..., a. a. O., S. 19). Diese (verloren gegangenen) archäologischen Funde deuten eventuell in Richtung eines alten Kultplatzes.

Auch der Name "Mägdesprung" könnte auf den Brauch kultischer Jungfrauentänze hinweisen. Mägdesprung-Sagen gibt es einige im deutschen Bereich, am bekanntesten ist die aus Harzgerode. Auf Rügen findet man auf dem Gebiet der ehemaligen slawischen Rugard-Burg auch eine solchen Mägdesprung.  Meist sind Mägdesprünge ebenso wie die "Wunderburgen" und "Wunderkreise" (Calber Wunderburg in der Hohendorfer Feldmark) Kultplätze aus vor- und frühchristlicher Zeit (vgl. Station 21).

So ist die Verbindung von Mägdesprung und Klostergründung wohl das Grundgerüst einer so genannten erklärenden Sage.

 

Die Wirklichkeit sah jedoch etwas anders aus als die Erklärung durch die Sage!

 

Das Kloster "Gratia Dei" verdankt seine Gründung einer innerkirchlichen Reformwelle, die ausgelöst von Papst Gregor VII. (1073 - 85), im 11. und 12. Jahrhundert besonders die europäischen Stifte und Klöster erfasste.

Norbert von Gennep und Xanten - früheste Darstellung aus dem Kloster in Orvieto in Norditalien (nach: Praemonstratensi Illustri.)

Einer dieser großen Reformer und Neugründer war der um 1080 in Gennep an der Maas (heute: Niederlande) geborene Edelherr Norbert. Im Stift des Heiligen Victor in Xanten (am Niederrhein) hatte er die Weihe als Kanoniker erhalten. Er bemühte sich jedoch nicht ernsthaft um eine kirchliche Laufbahn. Vielmehr war er auf Grund seiner Weltgewandtheit, seines politischen Scharfblickes und seiner Eloquenz Berater zweier bedeutender Staatsmänner geworden, des Erzbischofs Friedrich von Köln und des Kaisers Heinrich V. (geb. 1181, Reg. 1106-1125). Norbert hatte den Kaiser 1110 in Rom vor dem Papst im so genannten Investiturstreit unterstützt. Einen Bischofsposten in Cambrai als Belohnung dafür lehnte er jedoch ab. Im Frühjahr 1115 schlug bei einem Ritt nach Vreden ein Blitz unmittelbar neben Norbert ein. Nach dem Sturz vom Pferd hatte er eine Nah-Tod-Vision. Als er wieder zu sich gekommen war und seine angekohlten kostbaren Gewänder sah, gelobte er eine konsequente Änderung seines Lebens (vgl. Vita Norberti, in: Ökumenisches Heiligenlexikon). Er nahm sich vor, das inzwischen stark verweltlichte Kirchenleben zu reformieren und einen neuen Orden mit Vorbildcharakter zu gründen. Grundlegend bekehrt gab Norbert seine höfischen Ämter auf, begann zu meditieren und legte statt seiner kostbaren Kleider  einen Kittel aus Schafwolle an. Der Versuch, seine ehemaligen Mit-Stiftsherren in Xanten für sein Reformvorhaben zu gewinnen, scheiterte an deren Bequemlichkeit und Unverständnis. Daraufhin zog er sich für zwei Jahre in eine Einsiedelei und in das Augustiner-Stift Klosterrath (heute die niederländische Abtei Rolduc nördlich von Aachen) zurück, um sein neues Programm zu entwickeln. Seine Lehre bezog sich auf den Kirchenvater Augustinus und ging von der Prämisse aus, zum frommen und tatkräftig-vorbildlichen Leben der ersten Christen zurückzukehren. 1117 begann Norbert mit seinen Wanderpredigten, durch die er so viel Begeisterung bei der Bevölkerung hervorrief, dass er in der Herrschaftsschicht zunächst einmal Zweifel und vorwiegend Ablehnung fand. Er wurde sogar als Lügner und Betrüger diffamiert (vgl. Vita Godefridi bei Pertz, mon. 14, S. 519, zitiert nach: Winter, Die Prämonstratenser..., a. a. O., S. 14). Auf der Reichssynode in Fritzlar 1118, auf der Kaiser Heinrich V. auf Antrag des Papstes wegen seiner unnachgiebigen Haltung im Investiturstreit gebannt wurde, sollte auch sein Schützling und Vertrauter, der neue Wanderprediger mundtot gemacht werden. Norbert verteidigte sich aber so geschickt und eloquent mit Berufung auf Johannes den Täufer, dass er freigesprochen werden musste. Nun gab er sein Regularkanonat auf und begann ein vom Papst genehmigtes Leben als apostolischer Pilger. Bei ungesundem Wetter ging er im Winter 1118/19 barfuß nach Valenciennes. Zwei seiner Begleiter starben unterwegs vor Erschöpfung, er selbst erkrankte schwer. 1119 empfahl der neue Papst Calixtus II. den Wanderprediger seinem Neffen, dem Bischof von Laon. Die Versuche, das Domkapitel dort auf der Basis seiner Lehre zu reformieren, scheiterten ebenso wie seinerzeit in Xanten. Daraufhin startete Norbert einen grundlegend neuen Versuch, diesmal im Wortsinne auf der "grünen Wiese", nämlich in der Einsamkeit des Tales von Prémontré. In dem dort gegründeten Kloster legten Weihnachten 1121 über 30 Männer, unter denen auch der 21jährige Evermod von Cambrai (s. unten) war, das Gelübde ab, nach den Regeln des Heiligen Augustinus zu leben. Sie betrachteten sich als Regularkanoniker, d. h., sie wollten keine Mönche sein, sondern nach Regeln lebende Stiftsherren.

Im Unterschied zu den Mönchen und Nonnen, die sich - streng abgeschlossen von der Außenwelt - der Liturgie und Meditation widmen sollten, waren die Stiftskanoniker geistliche Herren, die zwar in einer selbst gewählten Gemeinschaft zusammen lebten, aber weiterhin ihren fest bestimmten Anteil am gemeinsam verwalteten  Gesamtvermögen und ihre eigenen um die Kirche gruppierten Wohnungen besaßen. Das Wichtigste aber war, dass die Kanoniker nicht in der Gefangenschaft der Klausur leben mussten, sondern tätig am Schaffen der Außenwelt teilnehmen konnten und sollten (vgl. www.thueringen.de/de/lzt/histor/mittelalter/mitt-127B.htm).

Gerade dieser Aspekt war wichtig für Norberts Zielstellung und sein Reformkonzept, wie sein Vorbild, Apostel Paulus, "allen alles zu werden" (Winter, a. a. O., S. 15), das heißt, für alle Menschen mit dem Einsatz aller Kräfte da zu sein. Zu missionieren und Seelsorge zu betreiben, waren die Aufgaben der Kanoniker aus Prémontré, die man bald die "Prämonstratenser" (Ordo Praemonstratensii = OPraem) oder "Norbertiner" nannte. Norbert setzte bei seinen reformwilligen Anhängern die strengen Regeln des Kirchenvaters Augustinus durch, die auf die Rückkehr zur antiken, basisbetonten Auffassung vom Christentum abzielten. "Dort also diente der Arme den Armen Christi, ging allein in Wort und Beispiel voran, dort machte er in vieler Strenge und Armut durch kärgliche Speise und Trank den Stolz des Fleisches zu nichte." (Chronicon Gratiae Dei, in: Winter, Die Prämonstratenser..., a. a. O., S. 327; Übersetzung ins Deutsche in: Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 166.) In Prémontré kämpften die Kanoniker "lange gegen die vielfachen Angriffe der Versuchungen des alten Feindes" (ebenda, S. 328 bzw. S. 166.), bis sie geläutert und gefestigt in die Welt hinaus gehen und zu Vorbildern für neue Anhänger werden konnten. Sie trugen einen weißen Habit (keinen schwarzen wie andere Orden), weil nach Norberts Meinung auch die Engel als Zeugen der Auferstehung weiß gekleidet seien (vgl. Praemonstratensi Illustri.).

Die Prämonstratenser zeichnete eine tiefe Marienverehrung aus, und seit seiner Kanonikerweihe in Xanten war Norberts spezieller Heiliger der Märtyrer Victor. Außer den Kanonikern lebte im Stift von Prémontré auch eine große Zahl von Konversen, d. h. von Laienbrüdern und -schwestern, die u. a. für das Hospital verantwortlich waren, in dem Arme, Kranke und Pilger beherbergt und versorgt wurden.

Nachdem das Stammstift der Prämonstratenser zu seiner Zufriedenheit funktionierte, übertrug Norbert seinem Stellvertreter Hugo von Fosses, dem ehemaligen Kaplan seines Freundes Burkard am kaiserlichen Hof, die Leitung  und zog als predigender Pilger weiter. 1122 versprach er dem Grafen von Namur, eine Abtei in Floreff (heute: Floreffe in Belgien) zu gründen, was auch bald darauf geschah. 1123 überließ ihm Graf Gottfried von Cappenberg (Westfalen) seine Burg, damit sie in ein Prämonstratenser-Stift umgewandelt werden könne. Auf Bitten seines Freundes Burkard von Cambrai ging Norbert nach Antwerpen, um dort die Abtei St. Michiel zu gründen. Solche Gründungen hatte der Papst anlässlich einer Pilgerreise Norberts 1125 nach Rom gestattet.

Bisher hatte sich Norbert in seiner Neuerungstätigkeit auf den Westen des Reiches und auf Frankreich konzentriert. 1126 musste ein vakanter, politisch bedeutender Posten, der des Erzbischofs von Magdeburg, neu besetzt werden. Dieser geistliche Würdenträger war immer mehr zur Schlüsselfigur bei der Expansion der Deutschen nach Osten in slawisches Territorium geworden. Als der zwölfte Erzbischof von Magdeburg, Rudger Graf von Beltheim, 1125 gestorben war, stand die politische Klasse im Osten des Reiches vor einem strategischen Problem von weit reichender Bedeutung: Ein ökonomisch leistungsstarker Raum sollte weniger mit den Mitteln der Gewalt als vielmehr durch eine effiziente Ideologie gewonnen werden, das Siedlungsgebiet der slawischen Wenden. Und einer der bedeutendsten Vorposten auf dem Zug der Deutschen nach Osten war das Erzbistum Magdeburg. Diesen Anforderungen entsprechend musste nun ein geeignetes Kirchenoberhaupt im Grenzland gefunden werden, das sich für die Gewinnung der slawischen Menschen einsetzte. Der Mann, der "allen alles" sein wollte und dessen Ordensbrüder geradezu Vorbilder und Christen der Tat waren, eignete sich für diese Aufgabe in idealer Weise. Als im Domkapitel zu Magdeburg ein mehrmonatiger Streit um die Besetzung des vakanten Postens ausbrach, berief König Lothar III. (Reg. 1125-1137) 1126 die Magnaten der Kirche und päpstliche Nuntien zum Reichstag nach Speyer. Auch Norbert wurde dorthin beordert. Die obersten Kleriker wählten den überraschten Ordensgründer auf eine "commendatio[ne] favorabiliter" (Chronicon Gratiae Dei, in: Winter, Die Prämonstratenser..., a. a. O., S. 328), auf eine favorisierende Empfehlung hin. War es die königliche oder päpstliche Empfehlung oder die beider gewesen? Als Norbert sich dieser Aufgabe nicht gewachsen erklärte, wahrscheinlich weil ihm der Bischofsstuhl ausgerechnet in einem der östlichsten Teile des Reiches nicht zusagte, wurde er durch die Befehle des Papstes und des Königs dazu genötigt (vgl. ebenda). Er gab also dem Druck nach. Möglicherweise hatte man ihm klar gemacht, dass sich gerade im Osten für seinen Orden beträchtliche Perspektiven eröffneten. Am 18. Juli 1126 zog Norbert, demonstrativ in sein härenes Predigergewand gehüllt, in Magdeburg ein und wurde dort "unter großem Zulauf von Edlen, Clerus und Volk und unter dem Beifall einer laut ausbrechenden Festfreude... empfangen." (Ebenda; Übersetzung ins Deutsche in: Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 166.) Acht Tage später wurde er vom Bischof von Zeitz unter Mitwirkung von vielen anderen Bischöfen geweiht. Sofort ging Norbert daran, seine eigene Diözese radikal zu reformieren. Klösterliches Wohlleben, Ämterschacher, Verkauf von Kirchengütern und Schlendrian des Klerus wurden strikt unterbunden. An der Marienkirche "Unserer Lieben Frau" in Magdeburg setzte er Prämonstratenser in führenden Positionen ein und forderte von den übrigen Klerikern, dass sie nach der Augustinischen Regel lebten. Das rief gewaltigen Widerstand bei den immer mehr verweltlichenden Stiftsherren hervor. Norberts "rücksichtslose Strenge, die vielfach als lieblose und rigoristische Härte angesehen" wurde (Winter, a. a. O., S. 14), erregte aber nicht nur den Unwillen und Widerstand des hohen Klerus, sondern auch der Laien in Magdeburg. Es kam sogar zum Aufstand und lebensbedrohlichen Angriff gegen den neuen Erzbischof wegen seiner rigiden Maßnahmen (vgl. ebenda und Vita Norberti, in: Ökumenisches Heiligenlexikon). Männer, die sich zu dem Reformer bekannten oder sogar in den Prämonstratenserorden eintraten, wurden mit Hohn überschüttet und für unzurechnungsfähig erklärt. Man warf Norbert Ehrgeiz und Ruhmsucht vor (vgl. Winter, a. a. O.) Der ließ sich jedoch nicht einschüchtern und ging daran, Stützpunkte für die Slawenmission zu errichten. Nach dem Ausbau des verfallenen Klosters Pöhlde (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 329 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 168.) bei Herzberg  am Harz zum (bis dahin) östlichsten Prämonstratenser-Vorposten musste ein geeigneter Ausgangspunkt für das vorrangige Anliegen der forcierten Slawenbekehrung gefunden werden.

Solch eine Örtlichkeit, nur 26 km von der Magdeburger Zentrale entfernt, unmittelbar an einem ehemaligen Königshof, der seit 965 dem Mauritius- und nachmaligen Marien-Stift gehörte und der Lieblings-Sommersitz der Magdeburger Erzbischöfe war, sowie an einer Wassermühle gelegen, war eine Erhöhung am östlichen Ufer der Saale gegenüber der seit dem 9. Jahrhundert existierenden Siedlung und Stadt Calbe. Diese erhöhte Uferböschung am rechten Saaleufer war Dutzende Kilometer weit die einzige. Der Hügel war umgeben von morastigem Land, durchzogen von mehreren kleinen Saalearmen, und nur wenige wendische Bauern, die dem Erzstift Magdeburg gehörten, lebten in dem waldreichen Gebiet. Hier wollte Norbert ein prämonstratensisches Musterstift errichten. Der Hügel lag schon in wendischem Siedlungsraum, befand sich aber nur etwa 350 Meter von einer befestigten und wehrhaften Stadt entfernt.

Nur ein geeigneter Stifter, der mit seinem Vermögen die ökonomische Basis für das potentielle Stiftskloster schaffen konnte, musste noch gefunden werden. Norbert fand ihn schließlich in dem wohlhabenden Grafen Otto von Reveningen (Röblingen am salzigen See) und Cruttorf (Krottorf bei Oschersleben). Otto war ein Mann im blühenden Alter, der aus welchen Gründen auch immer, ehe- und kinderlos geblieben war (vgl. ebenda, S. 168 f. bzw. 329 f.). Norbert schaffte es schließlich nach vielen Bemühungen und Reden mit "Engelszungen", den Grafen dazu zu überreden, seine Ländereien, Güter, Leibeigenen und Hörigen der Stiftung zu überschreiben. Otto wollte aber das neue Kloster auf einem Gut seines eigenen Besitzes im Mansfeldischen errichtet wissen. Es kostete Norbert wiederum große Anstrengungen, Otto von der strategischen Notwendigkeit eines Klosterstandortes bei Calbe und von einem Gütertausch zu überzeugen (vgl. auch Leuckfeldt, a. a. O., S., S. 15 f.) Als ihm das dann endlich auch noch mit dem Versprechen gelungen war, an dem "angenehmen Ort" selbst oft zu Gast zu sein und sich darum mit besonderer Fürsorge zu kümmern, deklarierte er die "Einsichtigkeit" des Grafen als einen Gnadenerweis Gottes und nannte die Gründung "Gratia Dei" (Gnade Gottes) (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 332 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 171). Graf Otto von Reveningen und Cruttorf willigte ein, auf dem Hügel östlich der Saale vor Calbe eine Stiftskirche mit Konventsgebäuden für den Prämonstratenserorden  zu Ehren der Jungfrau Maria und des Heiligen Victor sowie der anderen Thebäischen Märtyrer zu errichten.

Mit dem Bezug auf die für ihren Glauben gestorbenen Thebäischen Legionäre lag das neu zu gründende Stiftskloster in der Traditionslinie mit Xanten, der Heimatstadt Norberts, wo es eine starke Verehrung für den heilig gesprochenen Kohortenführer Victor gab, und Norberts Erzstiftsstadt Magdeburg, in der man den farbigen Oberbefehlshaber St. Mauritius verehrte (Moritzstift) (s. auch weiter unten). Im gleichen Habitus, mit den gleichen Attributen wie Mauritius wurde auch sein Unterführer Victor dargestellt (vgl. unten).

 

"1131 legten der verehrungswürdige Erzbischof und jener Edle mit eigenen Händen die ersten Steine zum Grund des Klosters." (Ebenda, S. 331 bzw. 170).

 

Beginn, Aufbruch und Krise

Die Burg in Röblingen wurde in Höhe von sieben Talenten  ("cum septem talentorum") tauschweise dem Prämonstratenser-Marien-Stift in Magdeburg überschrieben. Bei dem Gewicht "Talent" handelte es sich meist um Silber. Legt man das neugriechische Geldgewicht (1Talent = 150kg) zu Grunde, dann handelte es sich bei dem Wert der Burg um 21 Zentner bzw. um mehr als eine Tonne Silber. Eine endgültige Schenkung all seiner Güter schob Otto aber noch hinaus, er wollte erst einmal sehen, wie sich das neue Stiftskloster entwickelte. Der Erzbischof ging mit gutem Beispiel voran und schenkte "Gratia Dei" das Dorf Drosa bei Köthen mit allem Zubehör sowie zehn Hufen in Ilberstädt bei Bernburg. Nun wollte der Graf nicht zurückstehen und übertrug "auch das Übrige, was er zu besitzen schien, mit allen seinen Ministerialen [Hörigen und Leibeigenen - D.H.St.], wenige ausgenommen, die er jenem Orte überließ, dem heiligen Moritz [Magdeburger Domkapitel St. Mauritii - D.H.St.] und der Magdeburger Kirche mit samt ihren Lehen.

Nachdem er dies in gebührender Weise vollbracht, entsagte er in jener Stadt vor der Kirche der Welt, bekannte ein klösterliches Leben nach der Regel des heiligen Augustin, kleidete sich dort in das Gewand des Ordens und versprach an dem Orte, dessen Gründung er schon begonnen hatte, Gott dienen zu wollen." (Ebenda, S. 332 bzw. 171). Graf Otto trat als einer der 22 Kanoniker, die von Anfang an dabei waren, in sein eigenes Stiftskloster ein. Wie schon erwähnt, waren die Kanoniker oder Stiftsherren ihrem Status nach Kleriker und hatten die Weihe als Priester erhalten. Äußerlich waren sie an ihrer Tonsur (dem kahl geschorenen Oberkopf) und an ihrer Bartlosigkeit zu erkennen, während die Laienbrüder Bärte trugen. Die meisten der Mit-Brüder Ottos waren wie er aus dem weltlichen Leben ("de saeculo") nach "Gratia Dei" gekommen. Wahrscheinlich hatten diese Adligen, um nicht wie Laien im Kloster leben zu müssen, vor ihrem Eintritt noch die Priesterweihe erhalten.

Sie hießen (außer dem Stifter Graf Otto von Reveningen und Cruttorf):

Magister Cono,

Eilbert,

Bone von Köln,

Berthold,

Heinrich von Steden,

Richard,

Albero,

Mersilius,

Johannes,

Thieczelin,

Dippold,

Reinbold

und Friedrich (Bruder des späteren Propstes Gunther oder Günther - s. unten).

Aus dem Klerikerstande kamen nach "Gratia Dei":

Albert,

Riquinus (beide wurden später Pröpste im Georgskloster in Stade - s. unten),

Johannes,

noch ein Johannes,

Marquard (auch Azo genannt),

Gunther oder Günther (später ein bedeutender Gottesgnadener Propst und wahrscheinlicher Verfasser des "Chronicon Gratia Dei"),

Sibold (ein ehemaliger Mainzer Domherr)

und Emelrich (ein enger Vertrauter Norberts, den er aus Frankreich mitgebracht hatte, und der als erster Propst in Gottesgnaden eingesetzt wurde. Diese Kanoniker kamen zum Teil aus den "Ur"-Prämonstratenser-Klöstern in Prémontré, Floreffe und Cappenberg.

Als Laien oder Konversen, d. h. als Brüder ohne Priesterweihe, auch "bärtige Brüder" genannt, traten in "Gratia Dei" ein:

Marquard (der Vater des oben genannten Gunther oder Günther),

Udo,

Betzelin,

Liuder,

Arnold,

noch ein Arnold,

Hezzo,

Hilleward,

Reinmar,

Osmann,

Gerhard Hezeke (der von Cappenberg gekommen war und auch dorthin wieder zurück kehrte),

Fridger,

Sterckfried,

Lodewich,

Theoderich,

Hermann (die vier zuletzt genannten Brüder waren aus Katelenburg bei Nordheim gekommen),

Swider (ehemals ein "tüchtiger und namhafter" Ritter),

Gumpert (der von Magdeburg gekommen war und auch dorthin nach kurzer Zeit wieder zurückkehrte, "wo er sich selbst durch Erhängen umbrachte")

und Dudo ("der sich selbst in der Nähe des Hospitalhauses, durch Überredung des Teufels verführt, der sich ihm in einen Engel des Lichts verwandelt hatte, in die Saale stürzte, wovon auch die dabei liegende Insel ihren Namen erhielt"). (Ebenda, S. 332 f. bzw. 172).

Welcher Insel-Name das war, ist nach über 800 Jahren nicht mehr zugänglich. War es der heute noch gebräuchliche Name "Mönchsheger"? Auch eine dafür in Frage kommende Insel hinter dem Kloster gibt es heute nicht mehr. Wahrscheinlich war eine solche Insel durch einen damals noch vorhandenen Saalearm oder durch die Flutrinne (s. Station 3) entstanden.

Später gab es einige Deutungsversuche der Dudo-Tragödie. Am überzeugendsten ist wohl die Erklärung, dass die Erscheinung eines Engels des Lichts auf ein Mädchen und damit auf eine unglückliche Liebe hindeutet. Dieses Mädchen muss wohl, wenn es sich denn wirklich um ein solches gehandelt hat, in der Stadt am gegenüber liegenden Ufer gewohnt haben, denn eine Nonne aus dem Kloster kommt für eine potentielle Liebesgeschichte nicht in Frage.

Ja, in "Gratia Dei" wohnten, beteten und arbeiteten wie in den anderen frühen Prämonstratenserklöstern auch (nicht wenige) weibliche Insassen. Die 17 Schwestern mussten als "Eingeschlossene" (inclusae) leben, d. h., sie waren in einem gefängnisähnlichen Trakt - streng abgeschottet - untergebracht. Ihnen war es verboten und unmöglich gemacht worden, einen Mann auch nur zu sehen. Das galt auch für Vater oder Bruder. Trotzdem war in der Anfangszeit der Prämonstratenser-Bewegung der Zuspruch bei Frauen besonders stark. Leider hielt es der Verfasser des "Chronicon Gratiae Dei", mit hoher Wahrscheinlichkeit Propst Günther (Gunther), der von Anfang an dabei war, nicht für nötig, die "Sorores inclusae", die eingeschlossenen Schwestern, zu erwähnen.

Altarplatte aus dem Kloster "Gratia Dei"

(jetzt auf dem Gelände der ehemaligen Nicolaischen Wolldeckenfabrik

- Aufn. Markus Wolfram)

Erzbischof Norbert "bestellte einen gewissen Emelrich, den er aus Frankreich mit sich gebracht hatte, zum ersten Propst von jenem Orte, der auch später in überseeischen  Gegenden zum Bischof gemacht wurde." (Ebenda, S. 332 bzw. 171). Emelrich war Abt in Floreffe und ein ebenso charismatischer Bußprediger wie Norbert gewesen (vgl. Winter, a. a. O., S. 113).

Allerdings blieb Emelrich nicht lange Propst in "Gratia Dei". Die im Chronicon erwähnte überseeische Aktivität war ein Zug ins Heilige Land.

Papst Innozenz II. hatte Emelrich dorthin beordert, weil er zu Recht glaubte, dass der tatkräftige, eloquente Prämonstratenser in Palästina effizienter eingesetzt werden könnte als in Gottesgnaden. Der christliche König Fulco von Jerusalem hatte den berühmten Bernhard von Clairveaux um Zisterzienser für eine von ihm reich auszustattende Klosterstiftung gebeten. Bernhard sträubte sich wegen der ständigen Sarazenen-Überfälle und wegen des unangenehmen Klimas jedoch, seine Brüder dorthin zu schicken. In einem Brief hatte er die Prämonstratenser auf Grund ihrer Tatkraft und Begeisterung für die heilige Sache als besser geeignet für die Palästina-Mission bezeichnet (Hugo, ann. Praem. II, S. 735, zitiert nach: Winter, a. a. O., S. 113 f.).

Nach noch nicht einmal zweijähriger Tätigkeit als Propst in "Gratia Dei" machte sich Emelrich 1133 bis 34 mit einem Kreis tüchtiger Brüder, den er im Kloster Floreffe angeworben hatte, und mit einer päpstlichen Bulle versehen, auf den Weg übers Mittelmeer.

Vom König von Jerusalem und vom dortigen Patriarchen Wilhelm besonders unterstützt, zog die Emelrich-Schar durch Palästina und erlangte bald großes Ansehen. Das hektisch-geschäftige Treiben in Jerusalem sagte Emelrich jedoch nicht zu. Deshalb ließ er sich mit seiner Mannschaft etwas weiter von der Hauptstadt entfernt nieder, um dort an der Heerstraße zwischen Joppe (später: Jaffa, heute: Tel Aviv) und Jerusalem, angeblich in der Heimat des Propheten Habakuk und Josephs von Arimathia, ein Kloster zu Ehren dieser beiden biblischen Persönlichkeiten zu gründen. 1152 wurde Emelrich, der ehemalige Propst von Gottesgnaden, zum Erzbischof von Lydda (heute: Lod, 18 km südöstlich von Tel Aviv) geweiht. 1163 starb der hoch verehrte Gefährte Norberts, sein neues Kloster im Heiligen Land und deren Insassen aber fanden unter dem bekannten Sultan Saladin 1187 ein grausam-blutiges Ende (vgl. Dietrich, Ruhestätten, a. a. O., Seite 17, Winter, a. a. O., S. 114 ff.).

Als Emelrich nach Palästina ging, setzte Norbert seinen engen Vertrauten und besten Schüler Evermod aus Prémontré (s. oben) als kommissarischen Propst in "Gratia Dei" ein. Dieser schoss jedoch über das ohnehin schon strenge Ziel hinaus und wollte, besonders nach dem Tod Norberts, noch untadeliger als sein Freund und Lehrmeister sein. Dadurch rief er in den nächsten Jahren (etwa seit 1135) eine schwere Konsens-Krise  im jungen Kloster Gottesgnaden hervor, die fast zum Scheitern des Prämonstratenser-Unternehmens vor Calbe geführt hätte. Evermod verwaltete, wie es im Chronicon heißt, sein Amt zwar mit Eifer "für Gott, aber mit Unverstand." (Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 336 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 176).

Trotz der Führungs-Querelen gedieh das Gratia-Dei-Unternehmen wirtschaftlich prächtig und expandierte weiter.

In dieser Zeit griffen die dort ansässigen Prämonstratenser nicht nur nach Palästina, sie schufen auch Tochtergründungen (filiae) in Europa, wobei das Kloster bei Calbe fast dem Leit-Kloster in Magdeburg ebenbürtig wurde.

Bereits ein Jahr nach der eigenen Gründung entsandte die Gottesgnadener Gemeinschaft eine Brüderschar nach Stade bei Hamburg.

"Als nämlich Markgraf Udo von der Nordmark und Graf von Frekleben und von Stade am 15. März 1130 bei Aschersleben getödtet worden war, entschloß sich sein Bruder Rudolf und seine Mutter, die Markgräfin Richardis, in Stade ein Kloster als Todtengabe für ihn zu gründen. Von ihrer Burg Frekleben [heute: Freckleben zwischen Aschersleben und Sandersleben - D.H.St.] aus... hatten sie das Kloster Gottesgnaden kennen gelernt, Richardis und Hartwig waren in Magdeburg mit Norbert in Berührung gekommen, der Erzbischof Albero von Bremen rieth zu Prämonstratensern; ebenso Hartwig, Dompropst zu Bremen und Canonicus am Dom zu Magdeburg, und so beriefen sie 1132 Prämonstratenser aus Gottesgnaden nach Stade, um das Georgekloster dort zu gründen. Albert und nach ihm Riquinus, zwei aus Gottesgnaden gekommene Canonici wurden Pröpste in dem neuen Stift." (Winter, a. a. O., S. 111.)

Die Kleidung der Prämonstratenser in Gottesgnaden war wie auch in den anderen Ordensstiftungen die Kutte, das Habit, aus weißer, ungebleichter Wolle, weshalb sie auch im Volksmund die "weißen Brüder" hießen. In späteren Jahrhunderten, in Zeiten einer auch an den Prämonstratensern nicht vorüber gegangenen Verweltlichung trugen sie dann Kutten in modischem Blau (cappae blaviae), was aber während eines letzten innerprämonstratensischen Reformversuches Ende des 15. Jahrhunderts durch das verordnete Tragen der ursprünglichen "Cappa alba", der weißen Kutte, wieder rückgängig gemacht wurde (s. unten - vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 266).

Im 12. und 13. Jahrhundert wurden die Prämonstratenser von deutschen, aber auch von slawischen Fürsten besonders geschätzt, wenn es um die Christianisierung des Slawenlandes ging, denn die prämonstratensische Predigt war die Tat (vgl. Winter, a. a. O., S. 104).

Allerdings rief die rigoristische Vorgehensweise Norberts den Hass der slawischen Bevölkerung, namentlich der Müritz- und Havellandslawen, hervor, die sich über die besondere "Härte und Herrschsucht" Norberts beklagten (vgl. Winter, a. a. O., S. 14).  Wahrscheinlich hat Norbert auch an den verheerenden Kriegszügen seines neuen königlichen Freundes und Gönners Lothar III. (Reg. 1125-1137) gegen die Liutizen (Slawen im Brandenburger Gebiet) teilgenommen, was deren Abscheu nur noch steigerte (vgl. Winter, a. a. O., S. 297 ff.).

Seit seinem Dienstantritt als Erzbischof fiel der Ordensgründer wieder zunehmend durch Aktivitäten in der Politik auf. Mit seinem Engagement für den Supplinburger Lothar stand der Magdeburger Erzbischof auf der Seite der Welfenpartei.

Bei der Königswahl 1125 kam es zum Streit zwischen den mächtigen Herzogshäusern der Staufer (Hohenstaufen) und der Welfen (Guelfen). Der Kandidat der Welfenpartei Lothar siegte, der Gegenkandidat, der Staufer Konrad kam erst 1137 zum Zuge (s. unten). Norbert hatte unter König Lothar III. auch den Posten des Reichs-Erz-Kanzlers inne, vermittelte im andauernden Investiturstreit zwischen dem König und Papst Innozenz II., verteidigte den Papst erbittert gegen den Gegenpapst Anaklet und begleitete Lothar schließlich 1132/33 auf seinem Zug nach Rom zur Kaiserkrönung. Mit Malaria infiziert kehrte Norbert 1134 zurück, erkrankte in der Kaiserpfalz Goslar schwer und musste auf eigenen Wunsch in diesem leidvollen Zustand in seine Bischofsstadt transportiert werden. Dort lebte er noch drei Monate. Der Gründer des Prämonstratenserordens las seine letzte Messe unter Aufbietung aller Kräfte sitzend und verstarb am 6. Juni 1134 in Magdeburg. Man setzte ihn in der Klosterkirche "Unserer Lieben Frau" zunächst vor dem Kreuzaltar, einige Jahre später im Chor bei. 1582 sprach Papst Gregor XIII. (- der unseren heute gültigen Kalender einführte -) Norbert heilig. In den beginnenden Wirren des Dreißigjährigen Krieges überführte der Abt von Questenburg Norberts Gebeine 1626 aus dem protestantischen Magdeburg in die Abteikirche in Prag-Strahov, wo sie sich heute noch befinden. Norbert hatte laut "Chronicon Gratiae Dei" den Stiftsherrn des Magdeburger Domkapitels, den mit den Welfen verwandten Konrad von Querfurt, einen Kousin Kaiser Lothars III., als seinen Nachfolger empfohlen (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 334 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 173), und dieser wurde dann auch als 14. Erzbischof der Magdeburger Diözese gewählt.

Der Sterbende hatte Konrad ermahnt, im Falle von dessen Wahl Norberts "neue Pflanzung, das Kloster in Gottesgnaden nämlich, sich angelegen sein" zu lassen (ebenda, S. 334 und 173 f.). "Daher begann er [Konrad] unter anderem eingedenk des Auftrages das Kloster von Gottesgnaden mit väterlicher Güte und Liebe zu ehren..." (Ebenda, S. 335 und 174). Am 4. März 1135 bestätigte Erzbischof Konrad I. von Magdeburg in einem Privilegium die Gründung des Klosters "Gratia Dei" und alles, was sein Vorgänger Norbert und Stifter Otto dem Kloster geschenkt hatten, da er wusste, dass es widerstrebende Kräfte geben würde, die die Rechtmäßigkeit anzweifeln und die Besitzungen antasten würden (ebenda). Unter den Zeugen erschienen hervorragende Zeitgenossen, Konrad von Wettin, Markgraf von Meißen, Albrecht der Bär, Markgraf der Nordmark (Altmark) und Heinrich von Groitzsch, Markgraf der Ostmark (vgl. Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 7). Die drei waren demnach Grenzland- und Expansionsexperten. 1136 weihte Erzbischof Konrad I. das Kloster "Gratia Dei" (Dietrich, Ruhestätten, a. a. O., S. 16). Am 8. Dezember 1138 erfolgte die Bestätigung des Privilegiums durch eine Bulle des Papstes Innozenz II. Erzbischof Konrad schaffte es schließlich, dass der Stifter Otto von Reveningen auch einen weiteren Teil seines Vermögens der Kirche schenkte. Inzwischen hatten "gewisse Personen" nach dem Tode Norberts versucht, die von ihm geschenkten 10 Hufen in Ilberstedt bei Bernburg dem Kloster Gottesgnaden wieder zu entwenden. Auch dieser Besitz wurde dem Kloster im Privilegienbrief Konrads endgültig zurückgegeben. Außerdem gehörte zu den vom Erzbischof gewährten Vorrechten die Freiheit der Propstwahl und die Unabhängigkeit der Gottesgnadener Pröpste gegenüber den Magdeburger Erzbischöfen in Bezug auf Hof- und Militärdienste; sie waren also keine Vasallen. Der Gottesgnadener Propst sollte nur verpflichtet sein, zur Synode in Prémontré zu erscheinen (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 335 f. und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 174 f.).

Albrecht der Bär (Adelbertus Ursus) (1100-1170)

(nach einem zeitgenössischen Siegel)

Interessant ist seine Darstellung im gleichen Habitus wie St. Victor (s. unten) als "miles christiani", als christlicher Krieger bzw. "Gotteskrieger"

[1139 ergriff der Staufer-Welfen-Konflikt erstmalig auch unser Gebiet. Als Albrecht der Bär 1138 vom neuen Staufer-König Konrad III.  mit dem begehrten Herzogtum Sachsen (etwa das Gebiet des heutigen Niedersachsens, ausgedehnt bis zur Elbe-Saale-Linie) belehnt wurde, fiel blitzschnell eine gewaltige welfische Heeresmacht in sächsisches Gebiet ein. Selbst Konrad III. musste Hals über Kopf fliehen. Zusammen mit dem welfischen ursprünglichen Sachsenherzog Heinrich X. dem Stolzen, dem Vater Heinrichs des Löwen, zerstörte der (welfische) Magdeburger Erzbischof Konrad I. die Stadt und Burg Bernburg, eine Besitzung Albrechts, wo er wahrscheinlich auch geboren wurde, und und die 6 km südwestlich davon gelegenen Güter in Plötzkau, die einem Anhänger Albrechts, dem Grafen Bernhard von Plötzkau, gehörten (vgl. Reccius, Chronik..., ebenda). Albrecht und Bernhard mussten auf den Rusteberg bei Heiligenstadt im Eichsfeld fliehen. Beim im gleichen Jahr erfolgten Tod Heinrichs des Stolzen war sein Sohn, den man später Heinrich den Löwen nannte, erst 10 Jahre alt. Der noch unmündige Herzog durfte Sachsen und Bayern behalten. 1142 schließlich musste Albrecht auf seinen sächsischen Anspruch verzichten. Bei den Kämpfen mit den Welfen waren seine eigenen märkischen und sonstigen Gebiete schwer verwüstet worden. Trotz dieser Niederlage blieb Albrecht bei seinem Anspruch auf das Herzogtum Sachsen und auf staufischer Seite. Er wurde der schärfste Gegner Heinrichs des Löwen, als dieser 1176 offen gegen seinen Cousin, den Stauferkönig und -kaiser Friedrich I. Barbarossa, rebellierte. Bei den nun erneut ausbrechenden schweren Kämpfen wurde auch die aufblühende Stadt Calbe, die zum Machtbereich der Staufer gehörte, auf einem Vernichtungsfeldzug Heinrichs des Löwen 1179 völlig niedergebrannt und zerstört. Noch dreimal (1199/1200, 1203 oder 1204 und 1217 zerstörten welfische Truppen Calbe.]

Es fällt auf, dass in den Quellen nichts von einem Angriff auf das Kloster Gottesgnaden in diesen schlimmen Jahren steht, auch nicht, als ein staufischer Erzbischof in Magdeburg regierte (s. unten). Während die 300 Meter entfernte Stadt in Schutt und Asche sank, geschah dem Kloster offensichtlich nichts. Sicherlich gingen auch die welfischen Gegner davon aus, dass man die prämonstratensischen Ostland-Experten bei der weiter voranzutreibenden Ostexpansion noch dringend brauchte.

Als Schutzvogt des Klosters wurde von Erzbischof Konrad I. der Neffe Ottos von Reveningen, Graf Ludwig von Wippra bzw. dessen Erben, bestellt. Ein Schirm- oder Schutzvogt war ein Feudalherr, der die weltlichen wirtschaftlichen, politischen, militärischen und juristischen Aufgaben der geistlichen Stiftung übernahm.

Der Vogt, so die Bestimmungen des Erzbischofs, durfte das Kloster nur betreten, wenn er von den Brüdern gerufen wurde, und nur auf deren Weisung hin Recht sprechen. Drei Delikte durfte er jedoch ohne klösterliche Anweisung richten: Diebstahl, Blutvergießen und Notzucht (Vergewaltigung). Als Wirtschaftsverwalter musste er zwei Drittel der Erträge den Brüdern (und Schwestern) zuführen, ein Drittel durfte er für sich behalten (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 336 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 175). Nach dem Aussterben des Wippra-Grafen-Geschlechtes ging die Schirmvogtei an die Herzöge von Sachsen über, die 1278 das Schirmrecht zusammen mit der Stadt Staßfurt an das Erzstift Magdeburg verkauften (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 263).

Die ökonomische und kulturelle Prosperität des Klosters wuchs langsam und stetig, trotz der inneren Krise, in welche die Gemeinschaft der Brüder durch die übertriebene Strenge Evermods gestürzt wurde (s. oben). Der damals 32jährige Propst wollte ausgerechnet die Gründerväter von Gratia Dei in drastischer Weise zur verschärften Askese verurteilen. Seit Jahren arbeiteten sowohl Kanoniker als auch Konversen (Laien) hart beim Aufbau der Stiftskirche und des Klosterkomplexes, in der sozialen Seel- und Fürsorge sowie der agrarischen Kultivation neu gewonnenen Landes und sollten u. a. in der Advents- und Fastenzeit tagtäglich bei Wasser und Brot leben. Das führte zu einer Revolte der "alten Garde" und hätte fast den Bestand des noch jungen Klosters beendet, wenn nicht Evermod rechtzeitig als Propst an das übergeordnete Kloster "Unserer Lieben Frau" in Magdeburg berufen worden wäre. Später wurde Evermod Bischof von Ratzeburg und erwarb sich als "Apostel der Wenden" große Verdienste. Bei den Prämonstratensern wurde er als Heiliger verehrt. Erst 1752 bestätigte der Papst diesen Kult. Nachdem Evermod auf eine elegant-diskrete Weise "weggelobt" worden war, "nahmen die Brüder von Gottesgnaden die erste Wahl vor und wählten Heinrich zum Propst, der aber nicht weniger ein Nacheiferer der neuen Einrichtungen war, und so der Veranlasser einer heftigen Zwietracht wurde, so daß sogar der Stifter, Bruder Otto, in Anbetracht des unglücklichen unaufhörlichen Zwistes seine Gegenwart dem Kloster entzog. Da der Propst aber unveränderlich auf seinem Sinn bestand und täglich Streit zu Streit kam, wurde er endlich, als der vernünftigere Teil des Convents sich gegen ihn erhob, abgesetzt und entfernt, und später wurde er in Rode zum Propst gemacht." (Ebenda S. 337 und 176) Rode oder Hildebergerode bezeichnet ein Prämonstratenser-Kloster bei Sangerhausen, heute: Klosterrode.

Es ist erstaunlich, wie respektlos Günther als wahrscheinlicher Verfasser des Chronicon von den neuen Einrichtungen (novarum institutionum) der Askese schrieb. Wahrscheinlich gingen Evermod und Heinrich doch erheblich über das von Norbert verlangte Maß der Kasteiung hinaus.

Propst Heinrich stand dem Kloster von ca. 1138 bis 1147 vor. Der Konflikt kann jedoch nicht gleich zu Beginn seiner  Vorstandszeit ausgebrochen sein, denn Otto von Reveningen führte einem seiner interessierten Verwandten noch um 1139 Jahre das Kloster Gottesgnaden als mustergültig vor (s. unten).

1147, also noch unter Propst Heinrichs Ägide, tauschte das Kloster Güter in Chörau (zwischen Aken und Dessau) oder aber in Kühren gegen einige seiner weiter gelegenen Besitzungen von Albrecht dem Bären und dessen Vasallen Hermann von Severitz. In Chörau bzw. Kühren waren die Wenden schon von deutschen Siedlern verdrängt worden (vgl. Dietrich, Ruhestätten, a. a. O., S. 16). Der Geschichtsforscher und Hauptpastor Johann Georg Leuckfeld brachte 1721 in seinen "Antiquitates Praemonstratenses" zu diesem Vorgang die Urkunde bei, aus der hervorging, dass der dritte Propst in Gottes Gnade Heinrich und Herrmann von Severitz auf Anweisung des Markgrafen Albrecht das Gut (villis) Curouwe gegen die Dörfer Kletowe, Adelheresdorf und Cornbeche tauschten. Den Tauschakt beurkundeten 12 hochgestellte Persönlichkeiten, Bischöfe, ein Erzbischof, Äbte, Pröpste, Grafen, und schließlich befand sich das "Signum Domini Conradi Romanorum Regis..." (Signum des Römischen Königs Konrad) darunter (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 29 ff.). [Damals bezeichneten sich die deutschen Könige und Kaiser noch als römisch, weil sie sich in der Tradition des untergegangenen Römischen Reiches sahen. Mit Konrad III. war erstmalig ein Hohenstaufe auf den Königsthron gekommen und der welfisch-staufische Konflikt, der verheerende Folgen für Deutschland hatte und schon seit der Mitte der 1120er Jahre schwelte, begann aufzubrechen.] Im Chronicon heißt es aber zu dem Tauschobjekt: "Bona... in Curne..." (Güter in Curne) (Winter, a. a. O., S. 340), was Hertel als Kühren bei Aken deutet (vgl. Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 179).

Nun muss dabei beachtet werden, dass das wahrscheinlich von Günther verfasste "Chronicon Gratiae Dei" nicht im Original, sondern lediglich in einer Abschrift aus dem 16. Jahrhundert (vgl. Winter, a. a. O., S. 323) vorhanden war. Da Leuckfeldt zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Originalurkunde des Tausches vorlag, ist anzunehmen, dass der Fehler bei dem Abschreiber des Chronicon lag. M. E. wäre dann einer Deutung M. Dietrichs als Curouwe (Chörau) eher zuzustimmen.

Propst Heinrich kaufte während seiner Vorstandszeit für das Kloster auch Güter in Rehsen (zwischen Dessau und Wittenberg) von Bodo von Tribule (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 339 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 179).

Die Gottesgnadener Prämonstratenser hatten sich in der kurzen Zeit des Bestehens ihres Klosters in der Außenwelt einen tadellosen Ruf erworben. "Als daher der Graf Ludwig von Arnstein seine an der Lahn bei Nassau in lieblichster Gegend gelegene Burg gleichen Namens in eine Kloster verwandeln wollte, wandte er sich nach Gottesgnaden, um seinen Blutsverwandten, den Grafen Otto von Reveningen, zu bitten, ihm eine Ordenskolonie zu senden.

Das Gottesgnadener Tochterkloster Arnstein an der Lahn

Graf Ludwig kam selbst ins Kloster, wurde auf das ehrenvollste aufgenommen, sah mit eignen Augen den Geist der Gemeinschaft und eröffnete dann seinem Freunde sein Anliegen. Man willfahrtet gern seinem Wunsche; zwölf Brüder, den zum Propst bestimmten Gottfried an der Spitze, und zwölf Conversen folgen ihm; man gibt ihnen einen Teil der Bibliothek und die nötigen klösterlichen Geräte mit, und im Jahre 1139 beginnen sie die Burg Arnstein in ein Kloster umzuwandeln. Graf Ludwig wird Converse, seine Gemahlin Jutta bezieht eine einsame Zelle, des Grafen Kaplan tritt mit ihm ins Kloster, sein Truchseß Swiker und andre Edle vertauschen das weltliche Rittertum mit dem geistlichen. der Propst Gottfried, ein umsichtiger, tätiger, gelehrter, demütiger und streng mönchischer Mann, arbeitet mit allen Kräften an dem Gedeihen der Stiftung. Was der Brüder Arbeit bei der Klostergründung und dem Kirchenbau in Gottesgnaden gewesen ist, das setzen sie hier fort. Die einen brechen die Mauern der Burg, die andern ebnen den Platz, die dritten schaffen Balken und Hölzer zum Bau der Gebäude herzu: keiner war müßig, keiner ließ sich zur Arbeit nötigen; es war eine Genossenschaft, die ihre Zeit unter Gottesdienst und Berufsarbeit dem Herrn geheiligt hatte. Es gibt für den Geist der neuen Kolonie von Gottesgnaden kein günstigeres Zeugnis, als daß schon 1145 Herzog Friedrich von Schwaben auf den Rat des Grafen Ludwig das verkommene Münster an der Primmel bei Alzei einer Prämonstratenser-Kolonie übergab, die aus sechs von Gottesgnaden stammenden Brüdern und andern geeigneten Personen des Klosters Arnstein bestand. Und als das 12. Jahrhundert zu Ende ging, da war Arnstein bereits Mutterkloster von sieben andern Prämonstratenser-Stiftungen." (Winter, a. a. O., S. 212 f. - gemäßigt angepasste Rechtschreibung; Winters Quellen waren: Vita Ludovici und Hugo, ann. Praem. I, S. 207.)

Wie schon oben erwähnt, spitzte sich auch unter Propst Heinrich die Lage im Stiftskloster so zu, dass "Gratia Dei" trotz wirtschaftlicher und kolonisatorischer Erfolge zu scheitern drohte. Der Stifter Otto von Reveningen trat, entnervt von dem permanenten Streit, aus dem Kloster aus (s. oben), legte seine Prämonstratenser-Kleidung ab, brach sein Gelübde (- eine große Sünde -) und trat wieder "in die Welt". Wahrscheinlich kam er bei Verwandten oder als "Untermieter" auf einer seiner ehemaligen Burgen unter; möglicherweise hatte er sich aber für alle Fälle einen herrschaftlichen "Unterschlupf" aufbewahrt. Die Kirchenoberen drückten bei diesem "Verstoß" wohl ein Auge zu, schließlich hatte der Graf fast sein gesamtes Vermögen der heiligen Mutter Kirche geopfert, und es kam immer wieder vor, dass einflussreiche und vermögende Adlige ihren Klostereintritt nicht unbedingt als lebenszeitlich bindend ansahen.

Bis 1147 schien das Kloster in Bezug auf seine Pröpste nicht gerade unter einem glücklichen Stern zu stehen. Nach der Absetzung Heinrichs wurde Sibold (Seibold) zum Propst gewählt, ein Stiftsherr aus Mainz, der auch zur Gründergarde gehörte (s. oben). Dieser hielt es noch nicht einmal einen Monat in dieser Position aus; er fühlte sich der Aufgabe nicht gewachsen und empfand sie als schwerste, belastendste Angelegenheit (materia gravissima - vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 338). Wahrscheinlich herrschten in der Brüdergemeinschaft immer noch Rebellion und Widerstandsgeist. Nachdem er die Propstwürde niedergelegt hatte, ging Sibold nach Dänemark, kam aber nach einigen Jahren wieder zurück  (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 338 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 177).

Nun wählte man den Propst des fast zur gleichen Zeit wie Gottesgnaden gegründeten Prämonstratenserklosters Pöhlde (s. oben), Konrad, zum Vorsteher in "Gratia Dei". Doch nach seiner Wahl und den Feierlichkeiten reiste Konrad noch einmal in sein altes Kloster, um dort angeblich noch etwas zu regeln, - - - und wurde nie wieder in Gottesgnaden gesehen (vgl. ebenda).

Wenn man bedenkt, was in den ersten 16 Jahren seines Bestehens mit den Vorstehern des Klosters geschah, dann kommt man nicht umhin zu vermuten, dass in der Brüdergemeinde und im Konvent ein erheblicher Geist der Freiheit und des Aufruhrs herrschte, der sich nicht durch mönchische Askese unterdrücken lassen wollte. Die Tatkraft, der geistige und körperliche Fleiß sowie der Pioniergeist, durch welche die Gottesgnadener Prämonstratenser bekannt, berühmt und beliebt geworden waren, vertrugen sich wohl nicht mit Zwang und Kasteiungen.

Man kann aber auch vermuten, dass eventuell politische Kontroversen hinter dem Streit im Konvent standen. Es war schließlich die Zeit der großen Machtkämpfe in Deutschland, speziell in Sachsen, also in unserem Gebiet, es war die Zeit des Welfen-Staufer-Konfliktes (s. unten). Die treuen "Norbertiner" waren wohl wie ihr Ordensgründer welfisch und ein Großteil des Konvents staufisch eingestellt. Meine Vermutung wird durch die Tatsache gestützt, dass erst nach der Herrschaft staufischer Könige und staufischer Erzbischöfe in Magdeburg und der Einsetzung von deren Anhängern als Gottesgnadener Pröpste Ruhe und friedliches Gedeihen im Kloster einsetzten.

Bei der nun erneut fälligen Wahl kam es zu einer länger anhaltenden Spaltung des Konvents. [Der Konvent war das "Parlament" der Brüdergemeinschaft und bestand aus 12 Kanonikern und 12 Konversen.]

 

Blütezeit

Schließlich einigte sich der Konvent darauf, dass der Bischof von Havelberg, Anselm, zusammen mit anderen Kirchenmagnaten Schiedsrichterrollen spielen und die entscheidende Empfehlung geben sollten. Bischof Anselm wurde später als Bischof von Ravenna und bedeutender Vertrauter des Staufer-Kaisers Friedrich I. Barbarossa bekannt. Anselm und sein Kollegium entschieden sich trotz anfänglicher Ressentiments für Lambert, einen Stiftsherren aus dem übergeordneten Magdeburger Kloster "Unserer Lieben Frau". Im Chronicon hieß es, dass Lambert allerdings nur "schwache Kenntnis in den Schriften hatte, aber nach seiner Wahl leistete der Propst für seine Unwissenheit Ersatz durch mannigfache Tugend und einen lobenswerthen Wandel. Denn er war ein Mann schlecht und recht und gottesfürchtig und mied das Böse und in innerer wie äußerer Verwaltung sorgfältig und verständig. Zur Zeit seiner Vorgänger war in Folge der Zwietracht die brüderliche Einigkeit oft verletzt worden, und diese Zwietracht ruhte in seinen Tagen durch ein freundliches Verhältniß, und das Kloster selbst wurde durch die Wohlthat des Friedens stark und blühte." (Ebenda, S. 338 bzw. S.178.)

Lambert stand dem Kloster von 1147 bis 1160 vor. Zum ersten Mal in der 16jährigen Kloster-Geschichte traten mit einer klugen Führung auch geordnete und stabile Verhältnisse sowie gesunde zwischenmenschliche Beziehungen ein.

Hinzu kam, dass 1152 zwei sehr wichtige Politiker jener Zeit an die Regierung kamen: Der Staufer Friedrich I. Barbarossa (geb. um 1122, gest. 1190) wurde deutscher König (1155 Kaiser), und  Wichmann Graf von Seeburg kam auf den Erzbischofsstuhl in Magdeburg. Beide förderten den wirtschaftlichen und politischen Aufschwung der Städte wie kaum je Politiker vor ihnen.

Wichmann von Seeburg (nach: Bronzegrabplatte im Magdeburger Dom, digital bearbeitet)

Der 1115 oder 1116 geborene Wichmann aus dem Geschlecht der Billunger betrieb wie die meisten seiner Vorfahren eine expansive Ostpolitik gegenüber den Slawen. Als außerordentlich treuer Vasall des Staufer-Kaisers Friedrich I. Barbarossa und begeisterter Anhänger der Zentralgewalt schreckte er bei der Ausdehnung des Reichsgebietes nach Osten unter dem Deckmantel der Heidenmissionierung auch vor Gewalt, Vertreibung und Mord nicht zurück. Nach einer beachtlichen Karriere übertrug ihm der Kaiser 1152 gegen den heftigen Widerstand des Papstes das Erzbistum Magdeburg. Als Initiator des 1188 kodifizierten "Magdeburger Stadtrechts" schrieb Wichmann europäische Geschichte. Dieser Erzbischof, der viele Kriege führte und für seine Auffassung vom Christentum - wie ein großer Teil seiner zeitgenössischen Standesangehörigen - viel Blut vergoss, war aber andererseits ein bedeutender Förderer der Städte und ein zu Kompromissen bereiter Politiker. So vermittelte er immer wieder - auch erfolgreich - im päpstlich-kaiserlichen Streit und im Staufer-Welfen-Konflikt. Erzbischof Wichmann war 1174 der kaiserliche Unterhändler im Frieden von Venedig zwischen Kaiser Friedrich I. und Papst Alexander III.

Wichmann, der auch der erste bedeutende Förderer der städtischen Entwicklung Calbes war, starb am 25.8.1192 in Könnern bei Bernburg. Seine Grabstelle ist im Magdeburger Dom.

Mit Wichmann saß kein Norbertiner und Anhänger der Welfen mehr an den Schalthebeln der Macht in Magdeburg, sondern ein Realpolitiker mit militärischen Fähigkeiten und wirtschaftlichem Gespür, dessen Blick unmissverständlich nach Osten gerichtet war. Zudem war der neue Erzbischof ein dezidiert staufischer Parteigänger. Der Erzbischof nutzte die innovative Kraft der Zisterzienser, besonders aber auch der Prämonstratenser bei der deutschen Ostexpansion und -kolonisation. Man schickte die Prämonstratenser aus dem gleichen Grunde, aus dem sie nach Palästina gerufen worden waren, in die slawischen Gebiete: Sie waren unerschrockene Tatmenschen.

Franz Winter, der bedeutende Prämonstatenser-Forscher des 19. Jahrhunderts sah die prämonstratensische Pionierleistung nationalistisch  und idealisierend so: "Sie wollten und sollten als eine christliche Familie dem heidnischen oder eben bekehrten Volke den Segen eines stillen Christenwandels darstellen, sie sollten lebendige Vorbilder für die zu gewinnenden Wenden sein, sie sollten vorzugsweise durch die Tat predigen, das war ihre Mission... Nicht minder als für Mission waren sie auch für Kultur des Landes lebendige Vorbilder. Die Prämonstratenser unterschieden sich nebst den Zisterziensern so vorteilhaft von den Benediktinern und Weltgeistlichen jener Zeit, daß sie alle ihre Besitzungen selbst bauten und nutzten, während die reich dotierten Benediktiner Abteien und Kollegiatstifter[, um] ihre Besitzungen gegen Zins auszutun, auch Ritter damit zu belehnen pflegten... So überaus vielfach auch die einzelnen Konvente [der Prämonstratenserklöster]... durch die Gründung neuer Stiftungen in Anspruch genommen wurden: die Gunst, in der die Prämonstratenser standen, war so groß, daß immer neue Scharen teils als canonici, teils als conversi die Konvente wieder füllten, und daß es den auswärtigen Besitzungen nie an einem Hofverwalter (rector curiae), einem Mühlenmeister (magister pistorum) etc. aus der Zahl der >>bärtigen<< (Laien-)Brüder fehlte." (Winter, a. a. O., S. 104. - gemäßigt angepasste Rechtschreibung.)

"Gratia Dei", die sich in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens bereits durch eine Pyramide von Tochter-Klöstern, die kurze Zeit darauf auch schon wieder neue "Töchter" hervorgebracht hatten, wie ein heutiges Strukturunternehmen beachtlich ausgebreitet hatte, konnte nun auch selbst an wirtschaftliche Expansion denken. Propst Lambert, vielleicht auch seinem geschäftlich geschickteren Prior Günther, gelang es, Markgraf Albrecht den Bären dazu zu bewegen, dem Kloster Güter in Pretzsch und Rehsen bei Wittenberg  und einen Teil der Güter in Groitzsch bei Leipzig zu übertragen. Dazu kaufte "Gratia Dei" von dem Edelherren Bodo von Tribule (wahrscheinlich Trebel zwischen Salzwedel und Wittenberge) anderthalb Hufen in Rehsen und eine halbe Hufe in Groitzsch (vgl. Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 340 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 179).

Möglicherweise kam die wirtschaftlich so wichtige Mühle am gegenüber liegenden Saaleufer unter Propst Lambert an das Kloster, vielleicht aber auch schon unter seinem Vorgänger, denn in einer undatierten Urkunde, die zwischen 1160 und 66 abgefasst wurde, erwähnte Erzbischof Wichmann diese Mühle, "die von unserem Vorgänger Friedrich den Brüdern auf ihre Bitten geschenkt worden ist." (Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 8.)

Erzbischof Friedrich I. Graf von Wettin

 (Bronzegrabplatte im Magdeburger Dom)

Der "Vorgänger Friedrich" war der Magdeburger Erzbischof Friedrich I. Graf von Wettin (Reg. 1142 - 1152), über den relativ wenig bekannt ist. Er übergab "Gratia Dei" auch das Dorf Grosze (Grizehne), das Albrecht der Bär den Klosterbrüdern geschenkt hatte (vgl. Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 8).

Die Saale-Mühle, die wahrscheinlich schon in karolingischer Zeit zum Königshof gehörte, war durch eine Schenkung Kaiser Ottos I. 965 zu einem großen Anteil an das Mauritius-Kloster und damit an den erzbischöflichen Stuhl in Magdeburg gekommen, einen Anteil besaß die Stadt Calbe. Nun war die Mühle also dem Kloster Gottesgnaden um 1151 (vgl. Reccius, a. a. O., S. 14) geschenkt worden. Dafür erhielten die Erzbischöfe als Gegengabe vom Kloster die halbe Fischerei in der Saale, auf dem Werder und dem Damme (Wehr). Die Stadt bekam als "Entschädigung" den Thie (vgl. Station 11) als Viehweide (vgl. Dietrich, Ein Gang..., a. a. O., S. 13), welcher der Kommune aber ohnehin seit uralten Zeiten gehört hatte.

1151 nahm auch der Staufer-König Konrad III. das Kloster Gottesgnaden unter seinen persönlichen Schutz und bestätigte dessen Besitzungen, u. a. den Guts-Hof Drosewitz östlich von Schwarz (später ein Wüstung), der von einem Adligen namens Ludwig dem Mauritiuskloster in Magdeburg übergeben worden war. Dieses Gut, das vordem einem Rudolf von Vona (Fuhne= heute: Flüsschen zwischen Bernburg und Jeßnitz) gehört hatte, muss ziemlich ausgedehnt gewesen sein, denn zu ihm gehörten Äcker, Wiesen, Weiden und Waldstücke, die teilweise auch auf Inseln zwischen Saalearmen lagen - wieder ein Hinweis auf die Zergliederung der Landschaft durch die Saalerinnsale bei Schwarz vor 900 Jahren.

Außerdem bestätigte Konrad III. den klösterlichen Besitz der Mühle in Calbe.

Inneres der Stiftskirche St. Petri auf dem Petersberg bei Halle

Am 5. Februar 1157 war der einflussreiche Markgraf von Meißen und wichtige staufische Parteigänger, Konrad von Wettin, im Alter von knapp 60 Jahren in dem von ihm und seinem Bruder 1124 gestifteten Augustiner-Kloster auf dem Petersberg bei Halle gestorben, nachdem er dort seit einem Jahr als Laienbruder gelebt hatte. Sein Klostereintritt war im Beisein vieler seiner Bündnisgenossen, u. a. Albrechts des Bären und des Erzbischofs Wichmann, vollzogen worden (vgl. MDR.de: Konrad von Wettin). Auch seine Beerdigung im Chorherrenstift auf dem Petersberg wurde zu einer eindrucksvollen Versammlung bedeutender Stauferanhänger. Bei diesem Treffen kam auch das Geschäftliche nicht zu kurz. Propst Lambert von Gottesgnaden oder sein cleverer Prior Günther, vielleicht auch beide hatten bei dieser Gelegenheit von dem Sohn des Verstorbenen, Graf Friedrich von Brehna (zwischen Bitterfeld und Halle), ein Stück Land an der Schwarzen Elster (östlich der Elbe bei Wittenberg) "im Umfange von 60 Hufen flandrischen Maßes (1008ha), nebst einem Platz an dem genannten Flusse zur Aufstellung und Verflößung des Holzes gekauft. Ohne Zweifel wollte man zunächst in jener waldreichen Gegend das nötige Bauholz für den noch im vollen Gange befindlichen Klosterbau gewinnen. Indes man begnügt sich nicht damit, nutzbares Holz gewonnen zu haben, um dann das Areal so bald wie möglich wieder zu veräußern; man hatte vielmehr zugleich Kolonisations-Gedanken." (Winter, a. a. O., S. 108. - gemäßigt angepasste Rechtschreibung.) Der Bischof von Meißen, dem das Gebiet gehörte, erließ den Brüdern den sonst fälligen Zehnten an ihn, denn er war selbst an einer möglichst raschen deutschen Besiedlung des Gebietes an der Schwarzen Elster interessiert. Das plötzlich in den Quellen auftauchende flandrische Maß ist auch ein Anhaltspunkt dafür, dass in diesem Gebiet, das bis heute der Fläming heißt, bevorzugt holländische Kolonisten angesiedelt wurden. An die fleißigen Brüder aus Gottesgnaden, die in jenem Gebiet östlich der Elbe bei der Waldrodung und Holzbearbeitung tätig waren, erinnern heute noch die Ortsnamen Mönchenhöfe und Holzdorf (5 bzw. 11 km östlich von Jessen) (vgl. ebenda und Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 340 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 179 f.).

Übrigens: Dass es in Bezug auf die Stiftsherren und Konversen von Gottesgnaden die Begriffe "Mönchenhöfe" und "Mönchsheger" gibt, ist auf den Volksmund zurückzuführen. Für die Bauern und Stadtbewohner gab es keine feinsinnige Unterscheidung zwischen Kanonikern und Mönchen (s. oben), für sie waren alle Leute, die in Klöstern wohnten und arbeiteten, "Mönche" bzw. "Nonnen".

1160 war Günther (Gunther), der wahrscheinliche Verfasser des "Chronicon Gratiae Dei", Propst in Gottesgnaden geworden. Unter ihm nahm, mit Unterstützung Wichmanns die Ökonomie des Klosters einen weiteren erheblichen Aufschwung und gelangte zur höchsten Blüte im 12. Jahrhundert.

Nach 33 Jahren harter handwerklicher und künstlerischer Arbeit der Brüder war die Stiftskirche mit Kreuzgang und anderen wichtigen Anlagen auf dem Hügel gegenüber von Calbe fertiggestellt.

"Sie hatte zwei mit Schiefer gedeckte Türme und eine basilikale, altromanische Form." (Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 269.) In den Türmen hingen sechs Glocken, von denen einige später in den Reformationskämpfen und unter den preußischen Königen eine dramatische Zeit hatten (s. unten). Die Kirche war geräumig und groß (- sie soll größer als die St.-Stephani-Kirche gewesen sein -), mit schönen Steinquadern gebaut und mit kostbaren Verzierungen ausgestaltet gewesen, berichtete der Chronist Hävecker, der noch ihre Überreste in verfallender Pracht gesehen hatte. Kunstvolle romanische Figuren, Ornamente und Friese  zierten das Gebäude, zu deren Strenge und Symbolik er als Mensch des Barock keine Beziehung entwickeln konnte (vgl. Hävecker, a. a. O., S. 110). Einen später in der Schleusenmauer gefundenen Teil eines Rundbogen-Frieses hat ein andere Calbescher Geschichtsforscher, Max Dietrich, so beschrieben: "Ihre [der Figuren - D. H. St.] Deutung kann wohl eine allegorische als auch eine biblische sein. Allegorisch der angebundene Drache, der wohl die Begierde darstellt. Die Kriegergestalt stellt wohl... den heiligen Viktor dar, der reitende Mann vielleicht den auf einem Esel einziehenden Christus in Jerusalem, und jener Mann mit dem Krummstab vielleicht Moses vor dem Pharao, wo sein Stab sich in eine Schlange verwandelt. " (Dietrich, Ruhestätten, a. a. O., S. 17 f.).  

Teilstück eines romanischen Portals aus dem Kloster "Gratia Dei" (Fundstück aus dem alten Schleusengraben - heute: Kreismuseum Schönebeck)

Bei der teilweisen Trockenlegung der Saale anlässlich der Sanierungsarbeiten am Calbeschen Wehr 2001 kam dieser behauene Stein mit wahrscheinlich romanischer Gravur  zum Vorschein. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um ein Element aus der seit dem Ende des 17. Jahrhunderts abgerissenen Stiftskirche des Klosters "Gratia Dei" handelt. Foto: Oskar-Heinz Werner

Wer sich so brennend für kulturhistorische Details wie der Schüler Markus Wolfram interessiert, findet ab und zu am Wehr und an der alten Schleuse steinerne Relikte vom Kloster "Gratia Dei" (Aufn. Markus Wolfram)

Das Kloster muss im Mittelalter mit seiner alles überragenden Haupt- und Stiftskirche, seinen hohen Mauern und mit seinen für die damalige Zeit gewaltigen Ausmaßen einen imposanten Eindruck gemacht haben. Würde man das Kloster in den Grundriss der Stadt Calbe projizieren, hätte es eine Ausdehnung von der Neustadt bis jenseits der Wilhelm-Loewe-Straße und von der Breite bis zur Bernburger Straße gehabt. 

Um die sakralen Bauten herum befanden sich die vielen Wirtschaftsgebäude, die das gesamte Areal so gewaltig, wie oben erwähnt, ausdehnten. Der aus der späteren Domäne hervorgegangene Ortsteil Gottesgnaden zeigt in etwa die Größe des ursprünglichen Komplexes. Unterhalb der Wirtschafts- und Wohngebäude befand sich ein ausgedehntes Kellersystem. Hävecker berichtet von einer metallenen Rohrleitung, die von der klostereigenen Bierbrauerei, in der ein guter Trunk gebraut worden sei, direkt in die Bierkeller unter den Wohngebäuden führte. Auch geräumige Weinkeller seien vorhanden gewesen (vgl. Hävecker, a. a. O., S. 117).

Für den Keller waren der "Cellarius" (Kellermeister), für die Verwahrung und Verwaltung des Klostervermögens der "Camerarius" (Kämmerer), für das Hospital vor dem Kloster der "Hospitalarius" (Hospitalvorsteher) und für die Kirchenanlage der "Custos" (Küster) verantwortlich. Allen standen der "Praepositus" (Propst) der Prior (als dessen Stellvertreter) sowie der "Senior" (Älteste der Brüder) vor (vgl. auch Urkunde 17, in: Winter, S. 373).

Am 2. (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 268) oder 10. Oktober (vgl. Hertel, Gründung..., a. a. O., Anm. S. 179) 1164 weihte Erzbischof Wichmann, der große Protektor, die Stiftskirche unter Mitwirkung "vieler Bischöfe und Würdenträger der Kirchen in Gegenwart der Fürsten und der Edlen des Landes mit vielem Aufwand und Pomp." (Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 340 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 179.)

Der Erzbischof übergab dem Kloster an diesem Tag zwei von seiner gefahrvollen Pilgerfahrt ins Heilige Land, bei der er sogar in sarazenische Gefangenschaft geraten war, mitgebrachte Reliquien der Heiligen Victor und Pontianus.

Siegel des Klosters "Gottes Gnade" mit dem Bild des Heiligen Victor und der Umschrift "Victor dux gloriosus" (Der ruhmreiche Führer Victor) aus der Lade der Nicolai-Brüderschaft (vgl. Station 21)

(mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

"Die Legende bezeichnet Victor als Angehörigen der Thebäischen Legion des Mauritius. Mit seinem Gefährten Ursus und 66 weiteren christlichen Soldaten entkam er der Überlieferung nach dem Massaker von Agaunum, dem heutigen St. Maurice (Moritz) im Wallis, und ging nach Solothurn, wo sie gefangen, ins Feuer getrieben, schließlich enthauptet wurden. Sein Haupt soll Victor an die Stelle getragen haben, an der er begraben sein wollte, um dort der Totengebete teilhaftig zu werden. Nach anderer Legende schaute man ihn nach seinem Tode und folgte der Aufforderung, ihm ein christliches Begräbnis und Totengebet zuteil werden zu lassen... Victor ist wohl derselbe, der auch als Victor von Agaunum sowie als Victor von Xanten verehrt wird." (www.heiligenlexikon.de) Nach einer anderen Legende wurden die aus der Provinz Thebais stammenden Legionäre, zu denen auch Victor gehörte, zusammen mit ihrem afrikanischen (nubischen) Kommandeur Mauritius in St. Moritz als Christen niedergemetzelt, weil sie sich geweigert hatten, den römischen Götterbildern zu opfern (vgl. Munzel-Everling, Dietlinde, Rolande, a. a. O., S. 102.)

"Pontianus wurde - wohl 230 - zum römischen Bischof gewählt. Nach dem ersten Schisma der Kirchen, das sich entzündet hatte auch an der Frage, ob auch Unzuchtssündern eine zweite Buße ermöglicht werden soll, stellte sich Pontianus gegen die positive Antwort seines Vorvorgängers Callistus I., und wurde deshalb gemeinsam mit Gegenpapst Hippolyt 235 auf die Insel Sardinien verbannt. Dort mussten beide im Bergwerk arbeiten, an den Strapazen starben sie."
(Ebenda.)

Besonders wertvoll war für das Kloster die Reliquie Victors, weil er der Patron der Stiftskirche und des gesamten Klosters war. Erzbischof Norbert und der Stifter Otto von Reveningen hatten 1131 (s. oben) bei der Grundsteinlegung die Neugründung dem speziellen Heiligen Norberts und den anderen Thebäischen Märtyrern geweiht. Das Klostersiegel (siehe rechts oben und links unten) zeigte ihn mit Schuppenpanzer, spitzem Helm, einer Lanze mit einer breitwimpligen Rennfahne in der rechten Hand, einem Schwert in der linken Hand, der Schwertscheide an der linken Seite und einem aufgesetzten spitzen Schild mit Kreuz (vgl. Dietrich, Ruhestätten..., a. a. O., S. 16).

Darstellung des Hl. Victor im Siegel von "Gratia Dei"

In einer undatierten Urkunde aus den 1160er Jahren, die aber möglicherweise mit der feierlichen Klosterweihung im Zusammenhang steht, wurde "Gratia Dei" von Wichmann das gesamte Vermögen noch einmal bestätigt, besonders auch der Besitz der "Mühle in unserem Orte Calbe gelegen mit ihrer Hofstatt, deren einer Teil zur Gerechtigkeit unserer Marktbewohner gehörte, aber von unserem Vorgänger Friedrich den Brüdern auf ihre Bitten geschenkt worden ist." (Reccius, Chronik..., S. 8; s. auch oben.) Die Urkunde ist auch von Wichtigkeit für die Geschichte der Stadt, weil in ihr erstmalig der Begriff der Markteinwohnerschaft (forensium) auftauchte [vgl. Station 1].

Er hatte sich aber ausbedungen, dass das Mahlen erzbischöflichen Korns, solange er lebe, frei sei (vgl. ebenda, S. 10).

Weiterhin bestätigte Wichmann dem Kloster den Besitz von 6 Hufen, welche Luider von Grobene (Gribehne - seit dem Spätmittelalter Wüstung, "Gribehner Teiche") zugeeignet sowie den Besitz der Gribehner Kirche mit 7 Hufen, die sein Sohn Arnold von Grobene dem Kloster geschenkt hatte. Außerdem bestätigte der Erzbischof noch einmal die Schenkung des Dorfes Grosze (Grizehne) durch seinen Vorgänger Friedrich bzw. durch Albrecht den Bären (s. oben)

1168 schenkte Wichmann dem Kloster den Zehnten, der auf 5 Hufen lag, welche Propst Günther in Wadenberg gekauft hatte, außerdem einen Berg an der Saale in der Nähe Gribehnes, der sich zum Weinanbau eignete. (Eine solche Örtlichkeit wäre wohl der als Mägdesprung  bekannte Hügel links an der Saale.) Unter den Zeugen erschienen neben Arnold von Grobene der neu eingesetzte Schultheiß (Stadtrichter), der Ministeriale Hugold von Calbe sowie ein Ministeriale Alrad von Calbe, vermutlich der erzbischöfliche Vogt. Das Kloster erhielt durch diese Urkunde "freie Kahnfähre über die Saale auf alle Zeiten". (Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 8) Demnach gab es noch keine Brücke (- die später wieder vernichtet wurde.)

"Heinrich von Grebene (Gribehne) [wahrscheinlich ein Sohn des oben erwähnten Luider - D.H.St.] hatte dem Kloster Gottesgnaden 9 Hufen in dem Dorfe Crozne (Grizehne), welche 36 Scheffel (etwa 20 bis 80 Hektoliter) halb Weizen, halb Gerste, jährlich ertragen, für 140 Mark (35kg, wahrscheinlich Silber) verkauft. Propst Günther versprach außerdem, eine Kapelle im Hofe des Hospitals des Klosters... zu erbauen, in welcher Heinrich von Grebene und seine Vorfahren bestattet werden sollen. Heinrich behält die Vogtei über die 9 Hufen, darf sie aber nur auf Anfordern des Propstes ausüben und erhält dafür den dritten Teil der Sporteln für sich, zwei Drittel fallen an das Kloster. Erzbischof Wichmann bestätigt diesen Vertrag als Lehnsherr jener 9 Hufen. Unter den Zeugen: Volrad von Hondorf [Hohendorf bei Calbe, heute: Am Weinberg - D.H.St.], Heinrich von Alsleben, Gero von Loburg, [Schultheiß] Hugold von Calbe, Truchseß Volcmar und Hildebrand von Gibichenstein [Giebichenstein]". (Ebenda, S. 9.)

Die versprochene Kapelle ist von Prior Bernhard nach dem Tode Günthers tatsächlich gebaut worden (siehe unten 1207).

Durch die neueste Erwerbung des Erzbistums Magdeburg im Slawenland, das Jüterboger Gebiet, erhielt das Kloster Gottesgnaden wiederum einen größeren Wirkungskreis.

Albrecht der Bär und der 15 Jahre jüngere Magdeburger Erzbischof Wichmann  hatten ebenfalls 1157 einen gemeinsamen Kriegszug unternommen, um das von dem slawischen Fürsten Jaxa (Jaczko, Jocza) von der Burg Köpenick besetzte, einstmals hevellische Brennabor (Brandenburg) nach 174 Jahren zurück zu erobern und die sprewanischen Slawen bei der Gelegenheit gleich zu vertreiben oder zu liquidieren. Die Rückeroberer hatten das Ziel, das gesamte Territorium  ostwärts zu erweitern und dort die deutsche Macht zu festigen. Die Eroberung gelang, wofür die Sieger von dem Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa hoch geschätzt wurden. Albrecht nannte sich fortan Markgraf von Brandenburg. Als Anteil an der Siegesbeute hatte Wichmann die Gegend um Jüterbog erhalten. Sofort ging der kriegerische Erzbischof daran, das durch Blutvergießen und Vertreibung gewonnene Land mit Deutschen zu besiedeln. U. a. stiftete er 1171 in einem unwegsamen, sumpfigen Gebiet das Zisterzienserkloster Zinna. Bereits oben erwähnte, angeworbene flämische Kolonisten legten in der menschenentleerten, verwüsteten Landschaft neue Dörfer an. Schon wenige Jahre später rühmte Wichmann sich, dass in einer Gegend, wo noch vor kurzer Zeit "die Heiden" gelebt hatten, nun das Christentum herrschte. Allen Kolonisten, die eingewandert waren und die noch einwandern wollten, versprach er seinen besonderen Schutz.

Besonders kam es dabei dem Erzbischof auf die Förderung der Stadt Jüterbog an; ihr gab er besondere Handelsprivilegien und Rechtsfreiheiten. Diese Privilegienurkunde wurde in Jüterbog in Anwesenheit vieler hochgestellter Persönlichkeiten und Zeugen ausgestellt: der Bischöfe Siegfried von Brandenburg und Martin von Meißen, des Propstes Günther von Gottesgnaden und sieben anderer Magdeburger Prälaten sowie des Markgrafen Otto von Brandenburg und 18 Edler. Diese Versammlung ehrwürdiger Herren war sicherlich mit der Einweihung der Marienkirche in Jüterbog verbunden. Die Kirche hatte Wichmann dem Kloster Gottesgnaden bereits während ihrer Errichtung direkt neben einem alten slawischen Heiligtum des Sonnengottes Jutewog dem Kloster Gottesgnaden verliehen.

Nach einer undatierten Urkunde schenkte der Erzbischof nicht nur diese Jüterboger Missions-Kirche mit den "dazugehörigen sechs Hufen messenden Ackerfläche, [sondern auch] zugleich 50 Hufen in den Dörfern Dieke und Rothe mit dem gesamten Zehnt, ferner die zur Kirche in Jüterbog gehörende Kapelle. Zum Pfarrsprengel der Jüterboger Kirche werden neben den Orten Jüterbog, Dieke und Rothe auch die vier umliegenden, also bei Jüterbog liegenden Dörfer Ruthenitz, Rothwiensdorf, Broitz und Hohengörsdorf bestimmt." (Trotz, Spätmittelalterliche Wüstungen..., a. a. O., S. 119; vgl. dazu auch Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 340 und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 180.) Der Berliner Wüstungsforscher Andreas Trotz weist in seiner vorzüglichen Arbeit nach, dass diese Schenkung um 1173/74 geschehen sein muss (vgl. Trotz, ebenda). Die für die damalige Zeit enorme Fläche von 50 Hufen bei den seit der Mitte des 13. Jahrhunderts wüst gewordenen Dörfer Dieke und Rothe lag im bevölkerungsarm gewordenen Gebiet südöstlich von Jüterbog (vgl. ebenda, S. 130 ff.

Die Jüterboger Marienkirche war für den Erzbischof und Ostexpansions-Experten der damals bedeutendste Missionsstützpunkt.

"Daher die feierliche Einweihung durch drei Bischöfe; daher die reiche Ausstattung mit vier Filialdörfern und ihrem Zehnten, mit 50 Hufen in den Dörfern Dicke und Rothe, mit dem Zehnten der Stadt Jüterbog, ihrer bereits bestehenden Kapelle und allen noch zu erbauenden Kirchen; daher endlich die Verleihung dieser wichtigen Kirche an das Prämonstratenser-Kloster Gottesgnaden, das damals unter seinem trefflichen Propst Günther zu hoher Blüte sich empor gehoben hatte. Bischof Siegfried von Brandenburg ließ es eine seiner ersten Amtshandlungen sein, die Rechte... dieses prämonstratensischen Besitzes in Jüterbog zu bestätigen." (Winter, a. a. O., S. 110 - gemäßigt angepasste Rechtschreibung.) Der Brandenburger Bischof verlieh der Marienkirche eine große Zahl von Vorrechten, ähnlich wie der Erzbischof das mit der Stadt Jüterbog getan hatte, wodurch die Region ökonomisch und politisch besonders herausgehoben wurde. 1174 erhielt die Stadt Jüterbog von Wichmann das von ihm initiierte "Magdeburger Recht", verbunden mit dem Sonderrecht, dass Magdeburg, Halle, Calbe, Burg und Tuch (Tucheim?) zollfrei mit Jüterbog handeln durften (vgl. Reccius, Chronik..., a. a. O., S. 9).

Die Marienkirche als Hauptkirche erhielt das Archidiakonatsrecht über das Land Jüterbog, d. h. die juristische und administrative Oberherrschaft über die dort befindlichen Kirchen. Der Propst von Gottesgnaden bekam gleichzeitig die Befugnis, das Synodalgericht "ohne jemandes Widerspruch, nur nach dem kanonischen Recht zu verwalten". Die neu eingewanderten Siedler und die übrig gebliebenen bekehrten Slawen hatten davon den Vorteil, bei kirchlich-familiären Angelegenheiten und Streitigkeiten nicht explizit ins ca. 60 km entfernte Brandenburg zitiert werden zu müssen. Kirchliche Freiheiten trugen im Mittelalter auch mit dazu bei, die Wirtschaft eines Landstriches zu fördern. Zur Wahrnehmung des verliehenen Patronats- und Archidiakonatsrechts wurde ein Kanoniker aus Gottesgnaden nach Jüterbog an die Marienkirche entsandt. Unter der Oberaufsicht und Mitwirkung des Propstes Günther beaufsichtigte dieser die Kirchen und deren Einrichtungen sowie den Neubau von Kirchen in der Region. 1183 entstand z. B. eine neue Kirche in Dike (Luckenwalde), die vom Brandenburger Bischof die Aufsicht über alle kirchlichen Einrichtungen des Ortes und neu gegründeter Siedlungen (Hinrikesdorp und Rulestorp) verliehen bekam (vgl. ebenda, S. 110 f.). So wuchsen nicht nur der Einfluss, sondern auch die Einnahmequellen von "Gratia Dei".

1187 schenkte Erzbischof Wichmann erstaunlicherweise "die in seinem Besitz befindliche Mühle bei Calbe" (vgl. ebenda), die er "unter großem Kostenaufwand" erbauen ließ. Diese war doch aber schon von Erzbischof Friedrich I. von Wettin in den 1140er oder 50er Jahren geschenkt und deren Schenkung von Wichmann um 1164 bestätigt worden (s. oben). Der rätselhafte Vorgang klärt sich auf, wenn man bedenkt, dass der Anführer der Welfenpartei, Heinrich der Löwe, bei seinem Rachefeldzug gegen den staufischen Parteigänger Wichmann die Stadt Calbe am 6. November 1179 verbrannt und verwüstet hatte und dabei die dicht am Stadtzentrum gelegene Mühle ein Raub der Flammen geworden war. Demnach wurde die Saale-Mühle von den Handwerkern in 8 Jahren wieder aufgebaut.

Wie schon erwähnt, war in jener Zeit Günther Propst in Gottesgnaden. Er stand als Nachfolger Lamberts dem Kloster von 1160 bis zum Beginn der 1190er Jahre vor (vgl. Winter, a. a. O., S. 301), führte es mit seinem Geschäftssinn, strategischen Weitblick und diplomatischen Geschick zu einer ersten Blüte und schuf die Grundlagen für die weitere Entfaltung des damals schon europaweit berühmten Stiftsklosters.

Es wurde bereits berichtet, dass der Stifter des Gratia-Dei-Klosters, Graf Otto von Reveningen und Cruttorf, in den 1140er Jahren unter Propst Heinrich wegen der permanent herrschenden Zwietracht sein Kloster-Gelübde als Kanoniker gebrochen und seine Ordenskleider abgelegt hatte sowie "in die Welt" außerhalb des Klosters zurückgekehrt war. In den 1170er oder 80er Jahren erkrankte Otto - schon in höherem Alter - und wurde bettlägerig. Reumütig wollte er nun nach Gottesgnaden zurückkehren, um wieder als Stiftsbruder sein Leben zu beschließen. Aber der kranke und schwache Mann kam nur bis zum Kloster Neuwerk vor Halle (inzwischen abgerissen in der Nähe des heutigen Moritzburgringes in Halle). "Dort also tat er Buße für die vergangene Verirrung,  und nahm die Kleidung wieder an, indem er gelobte von nun an in seinem Kloster Gott dienen zu wollen. Aber weil die Bestimmung des obersten Richters keinen Aufschub erleidet, so beschloß er sein Leben, da die Schwäche überhand nahm, und wurde in Gottesgnaden vor dem Altar des heiligen Kreuzes begraben, später aber in den Chor übergeführt." (Chronicon..., in: Winter, a. a. O., S. 340 f. und Hertel, Die Gründung..., a. a. O., S. 180.)

Mit dem Tod des Stifters schloss auch das "Chronicon Gratiae Dei". Danach sind wir nur noch auf einzelne Urkunden angewiesen, wenn wir das Schicksal unseres Klosters in der späteren Zeit rekonstruieren wollen. Ein größere Anzahl von dem Pfarrer und Historiker Johann Georg Leuckfeld zusammengetragener Schriftstücke geben uns vor allem einen Einblick in die  kommerziellen Aktivitäten des Klosters.

 

Die Hospitalkirche "Maria und Johannes" vor den Klostermauern. Sie diente, wie ihre Bezeichnung schon sagt, als Kapelle für Gäste, Pilger und Kranke. (S. auch weiter unten)

1195 wurde erstmals Günthers Propst-Nachfolger Heidenreich erwähnt (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 42 und Winter, a. a. O., S. 301), der wahrscheinlich bis 1208 dem Kloster vorstand.

Um 1200 schickte "Gratia Dei" eine erhebliche Anzahl von Kanonikern, vereint mit Abordnungen aus den anderen Prämonstratenser-Klöstern in Jerichow und Ratzeburg, nach Riga, um dort das Domkapitel an der bischöflichen Kathedrale zu bilden (vgl. Winter, a. a. O., S. 116).

Erzbischof Ludolf übertrug dem Kloster 1202 die Anwartschaft auf 3 Hufen Land, die bisher der Ministeriale des Erzstiftes Alexander von Calbe zu Lehen hatte. Da er jedoch ohne Söhne geblieben war, würde bei seinem Tode das Lehen wieder an den Erzbischof und durch die Schenkung gleichzeitig an das Kloster fallen. Auf solche und ähnliche Weise erhielt Gottesgnaden eine beträchtliche Menge Acker in der Feldmark Calbe, die sie jedoch im 13. Jahrhundert nicht mehr selbst bearbeitete, sondern gegen Pacht an die Stadtbewohner abgab (vgl. Reccius, a. a. O., S. 10).

Heidenreichs Prior Bernhard errichtete Ende des 12. Jahrhunderts "aus seinen eigenen Mitteln" eine Kapelle außerhalb der Klostermauern (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 43) die zu einer Hospitalanlage gehörte (s. auch oben: Vorhaben Propst Günthers). Hospitäler waren die Herbergen, Sozialstationen und Krankenhäuser des Mittelalters. Hier wurden die durchreisenden Pilger, die Klostergäste, die Alten und Kranken versorgt. Neben der begehrten klostermedizinischen Versorgung kam es den Hilfsbedürftigen auf den geistlichen Beistand in der Kapelle an. Für die Hospital-Anlage war ein "Hospitalarius", ein Hospital-Vorsteher verantwortlich, der zum Vorstand des Stiftsklosters gehörte (vgl. Urkunde 17, in: Winter, S. 373). Die Kapelle wurde 1207 von Erzbischof Albrecht I. Graf von Käfernburg der heiligen Gottesmutter Maria und dem Evangelisten Johannes geweiht (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 270 und Reccius, a. a. O., S. 10). Diese Kirche ist als einziger Bau von "Gratia Dei" heute noch erhalten. Trotz ihres gotischen Umbaues ( s. unten) im Spätmittelalter lässt sie - besonders am Turm - die alten romanischen Stilformen noch deutlich erkennen. Die große und die kleine Glocke dieser kleinen Kirche tragen beide die Inschrift "O rex gloriae Christe veni cum pace" (Oh, König des Ruhms Christus, komme mit Frieden!) und  stammen laut gotischer Gravur von 1483.

Gekuppeltes Rundbogenfenster, getragen von einer romanischen Säule mit Würfelkapitellen

Einfacher, aber ursprünglicher Sachsenturm der Hospitalkirche

Jüngst bei Renovierungsarbeiten wiederentdeckte gotische Malereien aus der Anfangszeit der Gottesgnadener Hospitalkirche. In den Andachts-Nischen auf Emporen-Niveau sieht man Maria mit ihrer symbolhaften Kleidung, dem purburfarbenen Kleid und dem blauen Mantel. Dementsprechend wird die andere Figur wohl Johannes den Evangelisten darstellen. (Insert: 26.9.2016)

 

1209 hieß der Propst von Gottesgnaden Bernhard; wahrscheinlich war es der vormalige Prior, der die Maria-und-Johannes-Kirche gestiftet hatte. Unter ihm wurde dem Kloster von Erzbischof Albrecht I. ein Privilegium wegen der Mühleneinkünfte verliehen (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 44 f.). Die Brüder hatten den Erzbischof lange gebeten, das von Wichmann angeordnete Freimahlen erzbischöflichen Korns (s. oben) abzuschaffen. Erzbischof Albrecht hob 1209 tatsächlich diese Mahlfreiheit  wieder auf. Unter den Zeugen erschien Schultheiß Thitmar von Calbe (vgl. Reccius, a. a. O., S. 10).

Die Herren von Brumby überließen Propst Bernhard und dem Kloster dreieinhalb Hufen in Kirstedt; und es kam zu einem Vergleich mit der Stadt Elmen (heute: Stadtteil von Schönebeck/Elbe) wegen eines für das Kloster zu grabenden Salzbrunnens (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 45). Bei dieser von Leuckfeldt aufgegriffenen Angelegenheit handelte es sich wohl um den Streit des Klosters mit Salinenunternehmern von 1223. Der Vergleich sah so aus, dass den Unternehmern gestattet wurde, auch auf klostereigenem Grund zu graben. Im Falle eines Solquellen-Fundes sollten dem Kloster dann wöchentlich 18 Pfennige von jeder Salzpfanne entrichtet werden (vgl. Reccius, ebenda).

Zwei Hufen in Siversdorf (Wüstung Seidersdorf bei Zuchau), die er vom Burggrafen Burchard von Magdeburg zurück erhalten hatte, schenkte Erzbischof Albrecht 1217 dem Kloster zusammen mit der Vogtei und den anderen Diensten, insbesondere dem Burgwarddienst (vgl. ebenda). In dieser Urkunde erwähnt der Burggraf eine Schädigung des Klosterbesitzungen, die er wieder gut machen wollte. Diese war wohl bei einem Kriegszug gegen einen Welfenverbündeten, den Herzog von Sachsen-Wittenberg versehentlich passiert (vgl. ebenda).

1250 erkaufte ein Propst namens Ernst von einem Bürger in Seehausen zwei Hufen für das Stift "Gratia Dei" und erlangte dafür die Genehmigung des Bischofs Meinhard von Halberstadt.

Zwei Hufen Landes erhielt das Kloster im Dorf Hornhausen bei Oschersleben im Jahr 1257.

1268 tauschte das Kloster von Erzbischof Konrad II., Graf von Sternberg, (Reg. 1266-1277) gegen Überlassung von entfernter liegendem Besitz einige Hufen in Trabitz und einen dazugehörigen Hof im Wert von 13 Mark (3,25kg, wahrscheinlich Silber) ein. Gleichzeitig bekam das Kloster auch das Patronat über die Kirche in Hohendorf bei Calbe (- die Ruine dieser Kirche in dem seit dem 15. Jahrhundert verschwundenen Dorf, heute "Am Weinberg", war noch im 17. Jahrhundert zu finden.)

Ein besonderes Ereignis, das die Beziehungen zu den Stadtbürgern in der Folgezeit nicht gerade verbesserte, war 1268 die Verleihung des "Jus patronatus", des Patronatsrechtes, über die St.-Stephani-Kirche an Propst und Konvent des Klosters Gottesgnaden durch den Erzbischof (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 67 und Reccius, a. a. O., S. 12 f.). Die Rechte des Calbeschen Archidiakons (Kirchenvisitation, Einführung der Pfarrer, Abhaltung des geistlichen Gerichtes und der Pfarrkonferenzen im Bannbezirk) sollten aber nicht angetastet werden. Die Archidiakone für den etwa 40 Kirchen umfassenden Kirchenbann Calbe waren Domherren, die dem Hochadel entstammten (vgl. Reccius, a. a. O., S. 23).

Nach dem Tode des letzten starken Staufers, des Kaisers Friedrich II. (1194-1250, Kaiser seit 1220) geriet Calbe wieder in die blutigen Fehden der Fürsten. Markgraf Otto von Brandenburg hatte sich 1277 mit dem Sachsenherzog gegen Erzbischof Günther I. von Schwalenberg verbündet, weil er seinen Bruder Erich mit Gewalt auf den Magdeburger Erzbischofsstuhl bringen wollte.

Die Raub- und Plünderungszüge Ottos im Erzbistum haben Calbe erneut und das Kloster zum ersten Mal stark in Mitleidenschaft gezogen.

Bei Aken und Frohse wurde der machtgierige Markgraf dann von dem kriegerischen, mit einer starken Streitmacht der Magdeburger Bürger verbündeten Günther vernichtend geschlagen (s. Geschichte im Überblick).

Das Kloster Gottesgnaden scheint in diesen Fehden erstmalig größere Zerstörungen erlitten zu haben, denn 1283 erhielt es vom Grafen von Anhalt für die von ihm zugefügten Schäden als Wiedergutmachung das Patronat über die Kirche in Mosigkau bei Dessau (vgl. Reccius, a. a. O., S. 13). (In jener Zeit befanden sich immer noch viele Kirchen im Besitz der weltlichen Grundherren, ein Überrest der germanischen Auffassung, dass alles, was auf dem Grund und Boden steht, auch dem gehört, der ihn besitzt.) Und 1285 sicherte Bischof Ludolf von Halberstadt allen Ablass von Sünden zu, die für den Wiederaufbau der Stiftskirche von Gottesgnaden einen Beitrag leisteten. Diesen Ablass zur Restaurierung der Kirche versprachen 1290 auch der Papst Nicolaus II. und Bischof Wedego von Meißen (vgl. Reccius, a. a. O., S. 14). Beim Wiederaufbau am Ende des 13. Jahrhunderts wird die romanische Marien-und-Victors-Kirche wohl auch einige gotische Elemente erhalten haben.

So könnte ein Pilger vor 700 Jahren das Kloster aus südöstlicher Richtung erblickt haben. Im Hintergrund links hinter den Klostermauern die Stiftskirche, vor den Mauern rechts die kleinere Hospitalkirche (Simulation mit der noch existierenden Kirche des Führungsklosters in Magdeburg, der Klosterkirche "Unser Lieben Frauen")

Auf bereits längeres Drängen der Erzbischöfe wurden 1280 unter Erzbischof Bernhard, Graf von Wölpe, (Reg. 1279-1282) die 17 Laienschwestern, die "sorores inclusae" (s. oben), welche inzwischen als herrschaftliche Damen ("dominae") bezeichnet wurden (vgl. Urkunde Nr. 17, in: Winter, S. 372), aus dem Gottesgnadener Kloster entfernt und in das Zisterzienserinnen-Kloster "St. Laurentii" in Magdeburg-Neustadt überwiesen. Als "Mitgift" für die übersandten Schwestern erhielt das Lorenzkloster die dem Kloster Gottesgnaden über ein Jahrhundert zuvor übergebene Marien-Kirche in Jüterbog (s. oben) und zwei Dörfer (vgl. Reccius, a. a. O., S 13). Die zwei Dörfer waren nicht etwa, wie man vermuten könnte, die Dörfer Dieke und Rothe (s. oben), sondern Höfgen und Eulenau (später Wüstung nahe Zellendorf ) bei Jüterbog, wie A. Trotz in seiner präzisen Arbeit belegt (Trotz, a. a. O., S. 139 f.) Tatsächlich finden sich in der von Propst Anno am 4. Oktober 1280 ausgestellten Überweisungsurkunde (vgl.  Urkunde Nr. 17, in: Winter, S. 371 ff.) als Ausstattungsgüter neben der Marienkirche Jüterbog auch die Dörfer Thumehove und Elne mit Vogtei und allem Zubehör (vgl. ebenda, S. 372). Neben der Jüterboger Marienkirche wurde 1284 mit dieser Grundausstattung ein neues Kloster errichtet und mit 13 Schwestern besetzt (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 265). Die "Umsiedlerinnen" müssen jedoch schon ca. 1282 an ihrer neuen Stätte angekommen sein, wie Trotz aus den Regesten des Erzbistums Magdeburg (vgl. Mühlverstedt, Regesta..., a. a. O., Bd. 3, S. 143 f., Nr. 368; Bd. 3, S. 149, Nr. 383; Bd. 3, S. 163, Nr. 425. Zitiert nach: Trotz, a. a. O., S. 123) nachweist. Wahrscheinlich waren sie ca. zwei Jahre lang in zuerst gebauten Behelfsunterkünften untergebracht gewesen.

1286 verkaufte das Prämonstratenser-Kloster Kolbick (Cölbigk) bei Bernburg ein Haus mit Hof auf dem Markt ("bei der Ratslaube") in Calbe, das dieses noch besessen hatte und das jährlich 8 Schillinge Abgaben einbrachte, an das Kloster Gottesgnaden für drei und eine halbe Mark (ca. 0,9kg) (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 68 und Reccius, a. a. O., S 13).

Inzwischen muss die Kahnfähre über die Saale, die zum Kloster führte, zeitweise durch eine Brücke ersetzt worden sein, denn 1288 schenkte Erzbischof Erich, Markgraf von Brandenburg, (Reg. 1283-1295) den Bürgern "seiner Stadt Calbe die Hälfte der Brücke bei der Stadt" (Reccius, a. a. O., S 14).

Der Konvent des Klosters  verkaufte 1289 das jährliche Einkommen aus einigen Häusern (Hofstätten) von 4 Pfund Pfennigen für 32 Mark (8kg)Silber an die Stadt Calbe. Dafür soll das Kloster zukünftig von allen städtischen Abgaben und Lasten, z. B. für Wächter und Stadtbefestigungen, befreit sein (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 69 f. und Reccius, a. a. O., S 14). Letztlich nahm also die Kommune ein Kapital von 32 Silbermark gegen eine Zinszahlung von 4 Pfund Pfennigen und die Befreiung  des Klosters von städtischen Auflagen bei diesem auf.

Im gleichen Jahr schenkte Erzbischof Erich dem Kloster Gottesgnaden zwei und eine halbe Hufe in Domelutze (Domlitz) bei Schwarz, die ehemals sein nachkommensloser Vasall Ritter Gunther von Wederden zu Lehen hatte.

Blick in die verwilderten Überreste des Kloster-Baumgartens

Klostermauer und Klosterpforte - zumindest das, was davon noch übrig geblieben ist

1293 verkaufte der Sachsenherzog Albrecht "der Entartete" (1240-1314), der auch zugleich Burggraf von Magdeburg und Graf von Brehna war, dem Kloster die Vogtei über die Dörfer Possetz (Patzetz), Drosuwitz (Droßwitz, Drosewitz bei Schwarz) und Cekeritz (Sekeritz) mit allen Rechten sowie die Gerichtsbarkeit über die Mühlen direkt vor Calbe ("super molendinis apud Calvis"), welche bis dahin mit dieser Burggrafen-Vogtei verbunden gewesen war, für 20 Mark Stendaler Silbers. Das Vogteirecht wurde von Erzbischof Erich bestätigt (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 70 f. und Reccius, a. a. O., S 14). Da mehrere Mühlen in Calbe nach den Quellen jener Zeit nicht bekannt sind, können nur inzwischen neu angelegte Mühlengänge (Räder mit separaten Werken) der bisherigen Saale-Mühle gemeint gewesen sein. 

Zur Kaufsumme für das Dorf Patzetz steuerten die hörigen Bauern (Hintersassen) selbst eine erhebliche Menge Geldes bei, wofür sie vom Kloster die feste Zusage erhielten, nie verkauft oder getauscht zu werden. Die Dorfbewohner sollten auch Rechtsstreitigkeiten unter sich regeln dürfen, außer bei Mord, Diebstahl, Notzucht und Kampfwunden. Diese schweren Verbrechen würden von einem Klostervertreter verhandelt (vgl. Reccius, a. a. O., S 14 f.). (Die Gerichtstätte (Richtstätte) des Klosters lag vermutlich an der Stelle des "Galgenfeldes" nördlich von Patzetz.) Die Handlungsweise der Dorfbewohner und des Klosters ist ein Beispiel für gutes Einvernehmen zwischen Klosterbrüdern und deren Hörigen.

Die askanischen Grafen Albrecht und Bernhard von Anhalt schenkten 1294 zum Seelenheil ihrer Eltern eine und eine Viertel Hufe in Rost (Wüstung Rüsten bei Jesar) (vgl. Reccius, a. a. O., S 14). 1195 verkauften sie dem Kloster noch einige Hufen in Rost dazu und die Vogtei in Chörau bei Dessau (s. oben) (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 71 f.).

1302 verkaufte der aus Grizehne zugezogene Bäcker Heinrich 7,5 Morgen (1,875ha) Land in Bolquiz (?) an Otto, den Küster von Gottesgnaden, 1305 vermachte Magister Hermann von Tundersleben dem Kloster einen Zins unter der Bedingung, den Gottesdienst auch in der Kirche des Heiligen Geistes, der Hospital-Kirche, in Calbe zu übernehmen (vgl. Reccius, S. 15).

In diesem Jahr wurde das Kloster durch den Rat der Stadt auch von aller bürgerlichen Steuer ("Schoss"), die auf den in klösterlichem Besitz befindlichen Calbeschen Bürgerhäusern lag, befreit und, sozusagen als Entschädigung für vormals entstandene Steuer-Ausgaben, gleich noch ein (natürlich ebenfalls steuerbefreites) Haus neben der Mühle dazu geschenkt (vgl. Reccius, a. a. O., S 15). Der Grund für diese Großzügigkeit, der den Einnahmen der Stadt erheblich schadete, erscheint unklar. Andererseits aber verlangte der Rat 1311 vom Kloster einen Wispel Roggen (sehr ungenau um die 12-40hl=20-60 Zentner) jährlich als Zoll für die Benutzung der zwei Brücken über den Mühlgraben und die Saale. Der Konvent weigerte sich, weil die Brücken auf klösterlichem Gelände stünden. Der berüchtigte Erzbischof Burkhard III., Graf von Mansfeld-Schraplau, (Reg. 1307-1325) ordnete schließlich eine für den Rat ungünstige Regelung an: Das Kloster zahlte eine einmalige Abfindung von 8 Mark (2kg) Silber. Dafür war die Stadt verpflichtet, alle künftigen Brücken-Instandhaltungsarbeiten allein zu finanzieren (vgl. ebenda), eine starke Last für die Bürger bei den häufigen zerstörerischen Hochwassern und Eisgängen der Saale. Darüber hinaus mussten die Klosterleute bei Brücken-Sanierungen kostenlos von der Stadt mit Kähnen übergesetzt werden (vgl. ebenda und Leuckfeld, a. a. O., S. 79 f.).

Um 1303 tauschte Erzbischof Burkhard II., Graf von Blankenburg, (Reg. 1295-1305) mit Propst Anno von Gottesgnaden einige dem Kloster gehörenden Güter des Stifters Otto von Reveningen gegen die Patronate der Kirchen in Ottersleben und Haldensleben (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 73). 1307 schenkte Erzbischof Burkhard III. dem Kloster eine Insel bei Schwarz, die bisher der erzstiftische Vasall Ritter Heinrich von Swerz zu Lehen hatte, als ewiges Eigentum (vgl. Reccius, ebenda). (Es gab also immer noch die Saalearme bei Schwarz.) In jener Zeit war auch das Patronat über die Kirche in Schipitz (?) vom Grafen Burkhard von Mansfeld dem Kloster übertragen worden (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 76 ff.).

 

Geldwirtschaft und Stagnation

1319 erscheint in einer Urkunde ein Hermann Benneko (Bennecke), Vogt in Gottesgnaden (vgl. Reccius, a. a. O., S 16). Das Kloster hatte sich also von der Schutzvogtei (s. oben) weltlicher Feudalherren befreit und besaß nun seinen eigenen Laien-Klostervogt als Verwalter und Vertreter des Klosters in der weltlichen Öffentlichkeit. Im gleichen Jahr schenkte der Kanoniker Thideman von Eilsleben dem Kloster, vertreten durch Propst Albert und Prior Heinrich, die Hälfte von seinem eigenen Gut ("dimidium mansum") unter der Bedingung, dass nach seinem Tod Seelenmessen gelesen werden (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 80 ff.).

"Räuber und Wegelagerer" (womöglich Raubritter, wahrscheinlicher aber plündernde gegnerische Soldaten des ständig Fehden führenden Erzbischofs) hatten 1323 die Propstei des Klosters Gottesgnaden derart ausgeraubt, dass die Klosterbrüder nur noch schlecht versorgt und die Armen (im Hospital vor dem Kloster) nicht mehr richtig bewirtet werden konnten. Um das Klostervermögen wieder zu sanieren, vereinigte der listige Erzbischof die Stadtkirche "St. Stephani" mit der Propstei so, dass in Zukunft die Pröpste zugleich die Pfarrer dieser Kirche sein sollten "mit allen damit verbundenen Einkünften und Rechten". Die Pröpste sollten ferner das Recht haben, auch andere Klosterbrüder mit diesem Pfarramt zu betrauen. Mit der Schenkung erklärten sich in einer erstmalig in der neuen Feste Calbe gesiegelten Urkunde das Domkapitel, der Archidiakon (Aufseher des Kirchenbannes Calbe - s. oben), der für bestimmte Einbußen vom Propst jährlich mit eineinhalb Viertel Mark [ca. 100 Gramm Silber] entschädigt werden sollte, und der derzeitige Pfarrer der Stadtkirche einverstanden (vgl. Reccius, a. a. O., S 16 f.).

Die völlige Vereinigung der Stadt-Pfarrei mit dem Kloster lief den Autonomiebestrebungen des Bürgertums entgegen, das sich in jener Zeit immer mehr bemühte, Einfluss auf die Besetzung der Pfarrstellen zu gewinnen, um Männer aus den eigenen Reihen in diese Position zu bringen, auch ein Beispiel der antistädtischen Haltung des unbeliebten Erzbischofs.

Der askanische Fürst Bernhard III. von Anhalt schenkte dem "Kloster des heiligen Victor in Gratia Dei" 1328 die Vogtei über das schon lange im Klosterbesitz befindliche Dorf Drosewitz (später Wüstung) östlich von Schwarz und über 10 Hufen, die zum Dorf gehörten (vgl. Reccius, a. a. O., S 17 und Leuckfeld, a. a. O., S. 83 f.). Mit der Vogtei hatte nun das Kloster auch die Gerichtsbarkeit über Drosewitz erhalten.

Ritter Albert Vedder stiftete 1338 jährlich eine Mark (ein halbes Pfund) Silber von den Einkünften eines Hauses bei der Mühle und eines anderen in Calbe für den Altar Simons und Judae in der Stiftskirche Gottesgnaden zum Lesen einer ewigen Seelenmesse (vgl. ebenda). Später scheint er die Summe noch erhöht zu haben, denn 1394 musste der Sohn Hans 60 Mark (15kg) Magdeburger Währung dem genannten Altar für das Seelenheil der verstorbenen Eltern Albrecht (- offensichtlich der Ritter Albert Vedder von 1338 -) und Ilse Vetter aufbringen. Der Sohn verkaufte deshalb dem Kloster, um die Summe entrichten zu können, jährliche Einkünfte von 3 Pfund Pfennigen jährlich aus der Saale-Fischerei vor Calbe und 4 Mark Martinszins (am 11.11. fälliger Zins der hörigen Bauern) aus Dorf und Feld Brumby (vgl. ebenda, S. 23). 1413 musste Ritter Hans Vedder an Stelle dieser verpfändeten Calbeschen Fischerei-Einkünfte mit Zustimmung seiner beiden Schwestern eine Hufe zu Calbe versetzen. Er konnte sie aber später für 80 rheinische Gulden wieder einlösen (vgl. ebenda, S. 24). Das Kloster scheint also auf clevere Weise als Geldvermittler mit Zinsaufschlägen gewirkt zu haben.

Erzbischof Albrecht III., Graf von Querfurt, (Reg. 1382-1403) bestätigte in einer längeren, in (nieder-)deutscher Sprache ausgefertigten Urkunde dem Propst Dietrich und dem Prior Heinrich diese Überschreibung (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 88 ff.)

1343 stifteten die Ritter-Witwe Berchthe von Nendorp (Niendorf) und ihr Sohn Heinrich 10 Mark (2,5kg) Stendaler Silbers zum Lesen der ewigen Seelenmesse. Außerdem verkauften sie dem Kloster das Dorf Colbitz (später Wüstung) westlich des Wartenberges mit allem Zubehör für 60 Mark der gleichen Währung.

Auch reiche Stadtbürger bemühten sich um ihr Seelenheil: Wille (Wilhelm) vom Berge stiftete 1358 für den Servatius-Altar in Gottesgnaden die Einkünfte von zwei Hufen bei Schwarz zum Lesen ewiger Messen für sich und seine Eltern (vgl. Reccius, a. a. O., S. 18).

1415 fiel der Propst Henning von Gottesgnaden durch eine besondere Stiftung auf: Er hatte sich in den Kopf gesetzt, einen weiteren Höhepunkt im Kirchenjahr, das Fest "Mariae Empfängnis", das damals noch nicht allgemein verbreitet war und dessen Berechtigung sogar von ersten Kritikern angezweifelt wurde, verstärkt zu popularisieren und das allgemeine Interesse an den Messen zur Seelenrettung weiter voranzutreiben (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 91 ff.).

In der Mitte des 15. Jahrhunderts waren verstärkt „ketzerische“ Gedanken in die Reihen der katholischen Intellektuellen eingedrungen, die sich unter anderem im theologischen Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern um das Dogma der „Unbefleckten Empfängnis“ Marias äußerten. Die Franziskaner ebenso wie die Benediktiner glaubten, daß Maria, die künftige Gottesmutter, schon als Keim im Mutterleib ohne Erbsünde empfangen worden sei. Nach diesem Glaubensdogma wäre Maria bereits im Moment ihrer Zeugung durch ihre Eltern von allen Sünden rein, also „heilig“, gewesen. Die Zweifler, in erster Linie die Dominikaner, gingen davon aus, dass die Erbsünde erst durch die „Sanctificatio Mariae“, Marias Reinigung von Sünde bzw. ihre Heiligung, durch ihren Sohn und Gott Jesus erfolgen konnte.
Was für uns Heutige bizarr anmutet, war für die ideologisch stark angeschlagene römisch-katholische Kirche von grundlegender Bedeutung. Um allen Skeptikern einen drastischen Riegel vorzuschieben, hatte (Franziskaner-)Papst Sixtus IV. 1483 die päpstliche Bulle „Grave nimis“ erlassen, in der er jedem den Bann androhte, der es wagen würde, an der „Immaculata Conceptio“, der Unbefleckten Empfängnis, Marias zu kritteln.

Der Empfängnis-Streit war eines der Wetterleuchten vor dem großen Gewitter, der Lutherischen Reformation.

Die Einrichtung von Neben-Altären und das Lesen ewiger Seelenmessen waren eine Erscheinung der Zeit und bedeutete eine erhebliche zusätzliche Einnahmequelle der Institution Kirche, in dem Falle des Gottesgnadener Klosters. An den zahlenmäßig immer mehr zunehmenden Altären (an den Längswänden der Kirchen) außer dem Hauptaltar waren Altaristen oder Vikare fest angestellt, die mit dem Lesen von Seelenmessen beschäftigt waren und auch jede temporär gemachte Spende dem Pfarrer abzuliefern hatten. Dieses den Geldbeutel der Bürger und Bauern sehr belastende Unwesen hatte alle Kirchen ergriffen. Zudem hatten sich Bettelmönch-Orden wie Barfüßer und Augustiner in Calbe festgesetzt. Sie besaßen hier zwar keine Klöster, dafür aber Stützpunkte, so genannte Termineien, an der Westseite des Alten  Marktes. In den Termineien betreuten sie nicht nur hilfsbedürftige Menschen, sondern lagerten auch das von den Menschen empfangene Geld zwischen, denen sie dafür das Seelenheil in der Ewigkeit versprochen hatten. Zur Ehrenrettung der Institution Kirche muss aber auch gesagt werden, dass ein großer Teil des durch Seelenmessen eingenommenen Geldes für die Versorgung der Armen und Hilfsbedürftigen (Kranke, Waisenkinder, Alte, Pilger), deren Anzahl immer mehr zunahm, verwendet wurde. In Gottesgnaden fand die soziale Fürsorge in erster Linie im Hospital-Komplex vor dem Kloster (s. oben) statt. Zunehmende soziale Differenzierung führte zu der hohen Rate von Verelendung. In jener Zeit suchten immer größere Scharen von Bettlern die Städte heim. Auch in Calbe mussten sich die Bürger von den durchziehenden Bettlerschwärmen regelrecht freikaufen (s. Station 10). Und alle versprachen, für das Seelenheil des Spenders zu beten. Die römisch-katholische Kirche lebte jetzt zunehmend von den Ängsten, die im Spätmittelalter bei den Menschen stark zugenommen hatten, die ihnen aber nicht nur von den "Seelsorgern" eingeredet, sondern die real durch soziale Umbrüche, fehlende politische Sicherheit, vermehrt ausbrechende Seuchen und Naturkatastrophen geschürt wurden. Die Geldgier der Kirche, die - abgesehen vom sozialen Einsatz - sie auf Kosten der ihnen anvertrauten verängstigten Menschen stillte, war eine der wesentlichen Ursachen für die vom Augustinermönch und theologischen Wissenschaftler Martin Luther eingeleitete protestantische Reformation.

Zwischen Erzbischof Otto, Landgraf von Hessen, (Reg. 1327-1361)  und dem Kloster Gottesgnaden wurde 1343 ein Tauschvertrag dahingehend geschlossen, dass der Erzbischof das weiter entfernt liegende Dorf Wulfen (bei Köthen) vom Kloster bekam und dieses vom Erzbischof das nahe liegende Dorf Schwarz erhielt (vgl. Reccius, a. a. O., S. 18). Seitdem waren die Schwarzer Bauern Hörige des Klosters Gottesgnaden.

Im 14. Jahrhundert, vielleicht sogar schon eher, existierte in Gottesgnaden eine klösterliche Schule. Der Kanoniker Nicolaus von Schrotdorf z. B. schenkte dem Kloster 1350 ein Viertel Joch (etwa 0,1ha) Landes mit der Auflage, dass den Schülern (nur Jungen) jährlich zum Fest der heiligen Barbara (4. Dezember, eine Vorläuferin des später bei den Kindern so beliebten St. Nicolaus am 6. Dezember) ein Dickgroschen (etwa 30 Gramm schwere Silbermünze, Vorläufer des Talers) gegeben werden sollte (vgl. ebenda).

Leuckfeld erwähnt an Pröpsten im 14. Jahrhundert, die er an damals noch vorhandenen Urkunden belegen konnte: 1338 Johannes (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 84), 1355 Nicolaus (ebenda, S. 86) und 1371 Hermann (ebenda, S. 87). Unter letzterem und seinem Prior Johann wurde eine verfallene und unbewohnte Stätte nördlich neben der Mühlenpforte, wo einst das Kaufhaus ("Theatrum" der Tuchhändler) gestanden hatte, zu einem Erbenzins von jährlich einer Mark (einem halben Pfund) Silber, fällig am Martinstag (11.11.), an den Rat der Stadt verkauft. Die Ratsherren und Schöffen mussten versprechen, beim Wiederaufbau nach dem Mühlenhofe hin keine Fenster, Gossen und Aborte (Heimlichkeiten) ausführen zu lassen, damit keine Fäulnis auf dem Mühlenhofe entstehe, und das Mühlenwerk nicht behindert werde.

"Wie Claus Schmed, Busse Howenburg, Cone Bodekere unde unse StadRathmanne, Henning von der Burgge, Tyle von Penten, Bosse Howenburg, Peter Oge, unde Hanß Scrivere, Schepen, unde de gantze Gemenheit der Staed to Calve bekennen openbar, in desme Breve vor allen dye oene sehen, hoeren, edder lesen, dat wye mit gudeme vorbedachten Mude genommen hebben unde nemen to ervene Tinse von den Erwirdigen Heren Hermanne Propste, Johanne Priore, unde von deme gantzen Capitele geimein des Closters to Gots=Gnade dye woesten Marck, da vormals dat olde Cophueß  uppe gestan hadde, dye dar lyd twyschen der Moelen Porten, und Hinzen Luecken Huse. Davore scole wege unde willen, unde unse Nakommen ewechlicken deme vorgenanten Gots=Huse geven alle Jahr ene Marck Brandeburgs=Silber up Sente Mertens=Dag tu Tinse, sonder vertoch, von der Stadt wegen, und one wedderspracke, unde scolen also dye Stede up den benoemeden Tins von dem ergemelten Gots=Huse uemmer rowelicken to der Stadt  nutz unde frommen beholten, ohne allerhand Geverde. Ock scole wye och willenuppe dieselven Stede to dene Moelenhove fort nicht buwen veste, Goeten, Hemeligkeit, oder jengher hande dingh, darvon in den Moelenhoff ie nach vaelnisse moege komen, die oeme hinderlick moege wesen; disse irgenante Stuecke alle und iewelick by sunder, wylle die vorgenante stete unde gantz holden one allerlye Argelyst. Des to orkunde to ener wissen betuechnisse hebbe wye oenen geven besegelt duessen Breff met der Stadt anehangenden Ingesigele, unde ock met der Schoepene.

Na Gots Gebort dritteyn hundert Jahr, in dem enen und seventigesten Jare. Des Mitteweckens vor fuenfte Johann Baptisten Dage." (Leuckfeld, a. a. o., S. 87 f.)

 

Unter dem Propst Tilo Saltwedele (Salzwedel), dem ersten mit Vor- und Nachnamen, verkaufte 1406 Graf Burkhard (Burchard) von Mühlingen und Barby dem Kloster das Dorf Domlütz (Domelutze, Domlitz - s. oben) bei Schwarz, das also zu dieser Zeit immer noch keine Wüstung war, mit Wald, Wiesen, Gewässern und Frondiensten sowie mit dem Gericht (über weniger schwere Verbrechen) und Ungerichte (über todeswürdige Schwerstverbrechen) "an Hals und Hand, an Haut und Haar" für 82 Mark (20,5kg) Magdeburgischer Währung - mit Ausnahme derjenigen Besitzungen, die Graf Burchard seinen Unter-Vasallen zum Lehen vergeben hatte (vgl. ebenda, S. 90 f. und Reccius, a. a. O., S. 23).

Die Geschäftstätigkeit des Klosters verlief auch im 15. Jahrhundert in den bereits eingefahrenen Gleisen weiter: Man kümmerte sich um die soziale Fürsorge, trat als Kreditgeber durch Ankauf von zinsbringenden Ländereien mit Wiederkaufsrecht für Bürger und Adlige auf, man strebte nach weiteren Pfründen durch Patronate und man machte Geschäfte mit den Seelennöten der Menschen durch Seelenmessen die an den vielfältigsten Altären angeboten wurden, und durch die Einbeziehung immer neuer Heiliger, die die kleinen und großen Probleme der Menschen lösen sollten. Bereits auftretenden Kritikern, die z. B. gegen den Unsinn bestimmter Heiligen-Verehrungen auftraten, drohte Papst Sixtus IV. im Jahr 1476 den Bann an (vgl. Leuckfeld, a. a. O., S. 94)

Die Zeiten der großen Pioniertaten bei der Ostkolonisation und der Landeskultur durch die berühmten Prämonstratenser von "Gratia Dei" waren vorbei. Inzwischen hatte sich das Kloster Gottesgnaden den Ruf einer Pilgerstätte und eines "Bankhauses" erworben.

Nach dem schon oben erwähnten, 1415 um die Ausweitung der Seelenmessen bemühten Propst Henning taucht in den Urkunden wieder ein Propst mit dem Namen Tilo auf. Er kaufte 1416 für 9 rheinische Gulden (Goldmünzen, die einzeln einem Wert von 0,5kg, zusammen demnach einem Wert von 4,5kg Silber entsprachen) den Abgabenzins von 6 Scheffeln Weizen (etwa 5 bis 20 Zentner), der auf einem Viertel Landes (wahrscheinlich einer Viertel Hufe) auf einem Hohendorfer Feld lag, von Peter Sasse und seiner Frau Gese. Der Lehnsherr der Sasses, Jan Mokrene, gab seine Zustimmung (vgl. Reccius, S. 24). 1420 verkauften die Brüder Hans und Jacob von Wetelicz (Wedlitz) eine Hufe Landes auf dem Felde zu Meyghen (Mayen, heute Wüstung südlich vor Calbe), die sie vom Herzog Albrecht von Sachsen zum Lehen hatten, an das Kloster für 12 Mark (3kg) Silbers Magdeburgischer Währung. Zur Zeit wurden die Hufen von Hans und Jacob Mysner, Bürgern aus Calbe, bewirtschaftet (vgl. ebenda).

1438 erhandelte Propst Johann Koding (Köding) zusammen mit Prior Nicolaus Baur für das Kloster von Urban Schulte (Schultze) und dessen Ehefrau Anna  über ihren Lehnsherren 3 Breiten Ackers auf dem Rogetzer Feld (Wüstung oder Rogätz bei Burg?) für 8 Mark (2kg) Silbers Magdeburgischer Währung einschließlich des Rückkaufsrechtes. Dabei waren Prior und Konvent ermächtigt, das Grundstück nach eigenem Ermessen weiter zu verkaufen. Graf Günther von Mühlingen und Barby als Lehnsherr gestattete seinen Untertanen, seinen "leven Getreuwen", den Verkauf (vgl. Leuckfeld, S. 94 f.).

Günther von Wetelitz (Wedlitz) verkaufte 1461 den Zehnten aus der Feldmark Domlütz (Domelutze, Domlitz - s. oben), den die Bauern von Schwarz am Martinstag (s. oben) aufbringen  mussten und den er von dem askanischen Fürsten Bernhard von Anhalt zum Lehen bekommen hatte, an das Kloster unter dem Propst Heinrich (für eine nicht angegebene Summe) (vgl. ebenda, S. 96 f. und Reccius, S. 28).

Die Ministerialen Kaspar Ysenborch und dessen Söhne aus Aken, die vom Erzbischof zeitweilig die Calbesche Fischerei zum Lehen hatten, schenkten 1470 dem Kloster Gottesgnaden um des Seelenheils ihrer Eltern willen 18 Neugroschen jährlicher Rente, welche die Hörigen, die Fischermeister (Garnherren) von Calbe  aufzubringen hatten (vgl. ebenda, S. 29).

Im Laufe der Zeit hatten auch einige realistisch denkende Männer in der Führung des Prämonstratenser-Ordens gemerkt, dass die Verweltlichung ihrer Klöster erschreckende Ausmaße angenommen hatte. Man hatte erhebliche Nachwuchssorgen, und aus den einst stolzen "Ordensburgen" waren mehr und mehr verlassene Gemäuer geworden.

Propst Eberhard vom übergeordneten Kloster "Unserer Lieben Frau" in Magdeburg und der Augustiner-Propst Johannes Busch leiteten in den 1460er und 70er Jahren die Reformierung der Prämonstratenserklöster in Sachsen ein, so auch im Kloster Gottesgnaden, wie es jetzt allgemein genannt wurde. Es geschah aber nicht viel. Propst Heinrich (s. oben) musste gehen, und die Klosterbrüder wurden hier wie in den anderen Ordensklöstern angewiesen, statt ihrer schmucken blauen Ordenstracht wieder die schlicht weißen Kutten wie in der Pionierzeit zu tragen. Heinrich bekam eine Stelle als Pfarrer in Köthen, kam aber bald wieder als Kanoniker nach Gottesgnaden zurück. Seine Stelle als Propst hatte Hermann Hermslager, "ein gelehrter und frommer Mann" und ehemals Prior im Magdeburger Haupt-Kloster, übernommen (vgl. Hertel, Geschichte..., a. a. O., S. 265 f. und Leuckfeld, S.97 f.).

Womöglich gebärdete sich sein Nachfolger, Propst Andreas, um nicht bei den "Reformierern" aufzufallen, zu "fundamentalistisch", denn  schon bald nach den hilflosen Reformversuchen machte sich 1475 der schon lange im Untergrund angewachsene Widerspruch Luft zwischen dem auf obsoleten Machtansprüchen beharrenden Kloster Gottesgnaden und dem  aufstrebenden, um Unabhängigkeit ringenden Bürgertum der Stadt Calbe .

Der Propst, seit Burkhards III. schlimmem Schachzug von 1323 zugleich Pfarrer der Stadtkirche (s. oben) und damit Kultusbevollmächtigter, wollte 1475 einen ihm genehmen Schulmeister (Rektor) in der sich nahe der Kirche befindlichen Schule einsetzen. Der Rat wollte aber einen anderen, bürgerlichen Pädagogen auf diesem Posten haben. Der als Schlichter angerufene Erzbischof Johann, Pfalzgraf von Simmern, (Reg. 1464-1475) ordnete den für Calbe wenig günstigen Kompromiss an:

Der Rat sollte bei Bedarf einen Schulmeister wählen. Wenn dieser dem Propst nicht genehm war, wurde der Erzbischof aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen. Auch wenn die Tätigkeit und der Lebenswandel des Lehrers dem Propst nicht gefielen, musste der Rat jenen wieder entlassen (vgl. Leuckfeld, S.98 ff. und Reccius, S. 29 f.)

Der Küster an der  St.-Stephani-Kirche, Martin Reichenbach, und seine Frau Anna überließen 1480 ihr Haus und ihren Hof auf der Breite dem Propst Andreas und dem Konvent des Klosters für 15 alte Schock Groschen (größere Silbermünze mit rund 3,8g) mit dem Wiederkaufsrecht, "von wegen der Pfarrkirchen zu Hondorff vor Calbe, wie solches der darüber ausgefertigte Brief, so der Pfarrer zu Calve, Johann Hagedorn, untersiegelt, mit mehren bezeuget." (Leuckfeld, S.99 ff.) Johann Hagedorn war vorher schon als Altarist (Vikar) in Urkunden über Seelenmessen aufgetaucht, jetzt war er also zum Stadtpfarrer von Propstes Gnaden aufgestiegen. Warum die Reichenbachs Haus und Hof versetzten wegen der Kirche in Hohendorf, erscheint unklar. Der sonst so urkundenreiche Leuckfeld führte den Beleg nicht an. Da ein Schock 60 Stück ausmachten, hatten Haus und Hof einen Wert von ca. 3,5kg Silber, was - ausgehend von der damaligen Kaufkraft - ca. 3200 € entsprechen würde. Das Auftauchen neuer Münzsorten und die Anwendung handlicher Geldstücke, die wie der Groschen in erster Linie für den zunehmenden (Fern-)Handel gedacht waren, lassen erahnen, dass am Ende des 15. Jahrhunderts frühkapitalistische Strukturen die Gesellschaft ergriffen hatten.

Um eine Wiederkaufs-Verschreibung ging es 1484 auch unter Propst Heinrich Werner (Werne) und Prior Bernhard: Hans und Sophie von Emmerich übergaben dem Kloster einen jährlichen zum Martinstag einzufordernden Zins von einem rheinischen Gulden aus ihrem Haus und Hof in Biendorf, zwei Bauernhöfen und einer Wiese zwischen Biendorf und Sekesdorf für einen Preis von 20 rheinischen Gulden (vgl. ebenda, S. 101 f.). Das heißt, das Ehepaar aus dem niederen Adel hatte einen Pfandleihe-Kredit zu einer Kondition von 5% Zinsen jährlich bei Propst und Konvent aufgenommen.

Zu Heinrich Werners Zeiten kam ein Erlass des Erzbischofs Ernst, Herzog von Sachsen, (Reg. 1476-1513) anlässlich der Altarstiftung eines Conrad Cotte mit genauen Anweisungen zum Seelenmessen- und Altar-Procedere (vgl. ebenda, S. 103 ff.).

Werner war wohl den Ordens-Oberen auch nicht genehm, denn einige Zeit später wurde er als Pfarrer nach Ottersleben versetzt (vgl. ebenda, S. 107).

Nicht identifizierbare Grabsteine an der Hospitalkirche,

bei dem linken erkennt man noch den Barockstil und die Fürstenkrone

An seine Stelle als Propst kam Johann Gardelege, unter dem es 1491 Streit des Klosters mit einem seiner Hintersassen (Hörigen) gab, den Hans Schosser, ein Beamter in der neuen Funktion des erzbischöflichen Amtmannes, schlichten musste. Jacob Kruz aus Schwarz hatte sich aufsässig und feindlich ("vihend") in seinem Schriftverkehr (!) dem Propst gegenüber gezeigt. Unter Zusicherung freien Geleites hatte der Amtmann den widerspenstigen Bauern aufs Schloss bestellt, "um die Sache an beiden Theilen zu verhoeren" und "Vehde und Zwytracht" ein Ende zu machen. Die Sache verhielt sich so: Kruz hatte vom alten Veit Lehmann für eine ansehnliche Summe, für 31 alte Schock Groschen (s. oben), eine Hufe mit Acker und Wald gekauft. Da aber der wahrscheinlich inzwischen verstorbene Lehmann als Einwohner von Schwarz Hintersasse des Klosters gewesen war, forderte das Kloster die Hufe wieder zurück; doch Kruz eröffnete die juristische Fehde. Damit in einer politisch brisanten Situation der Streit nicht eskalierte, entschied der Amtmann im Namen des Erzbischofs, dass Kruz die Hufe noch einmal bestellen und abernten sowie Holz für den Winter schlagen dürfe. Im nächsten Jahr zu Ostern müsste er sie jedoch dem Kloster wieder überlassen, welches ihm die Kaufsumme von 31 Schock Groschen zu erstatten hatte (vgl. ebenda, S. 107 ff. und Reccius, S. 31).

Der Fall von bäuerlicher "Fehde und Zwietracht" zeigte zweierlei: Um 1500 waren nicht mehr alle hörigen Bauern tumbe Untertanen, und das frühkapitalistische Geschäftsdenken hatte sogar in den Unterschichten das feudale Abhängigkeits-Bewusstsein abgelöst.

Wenig später, 1496, kam es zu einem politischen Umsturz in Calbe: Der alte langjährige Rat der Stadt wurde gestürzt und ein neuer, wahrscheinlich auch den städtischen Unterschichten genehmerer, eingesetzt. Der alte Rat hatte in seine Tasche gewirtschaftet, weshalb auch einige Mitglieder in Haft genommen wurden (vgl. Reccius, ebenda).

1499 gelang es den erzbischöflichen Räten, einen Vertrag zwischen der Stadt und dem Kloster Gottesgnaden auszuhandeln: Bürger mit Gespann sollten einen Tag, diejenigen ohne Zugtiere drei Tage zwei Jahre lang, verteilt auf Frühjahr und Herbst, beim Bau des obersten Dammes in der Saale (des Wehres) mithelfen. Die Hauptarbeiten sollten die Herren von Barby mit ihren Mannschaften ausführen (vgl. ebenda, S.31 f.).

1503 kaufte Propst Johann Gardelege von Claus Wibbelt (Wibolt) aus Wedlitz 3,75 Hufen Landes mit drei Höfen auf der Feldmark Sieversdorf (wüst zwischen Schwarz und Zuchau) für 37,5 Gulden (vgl. ebenda, S. 32 und Leuckfeld, S.109). Wahrscheinlich war das auch ein Wiederkaufs-Leihgeschäft, was aber Leuckfeld nicht vermerkte.

Unter Propst Ludolf kam es 1516 zu einem solchen, als Jacob Mentz aus Schwarz faktisch vom Kloster auf seinen Hof und seine Äcker in Schwarz und Drosewitz (s. oben) gegen 5% Zinsen eine Anleihe aufnahm (vgl. ebenda, S. 109 f. und Reccius, S. 33).

 

Lutherische Reformation, Religionskriege und Niedergang

1524 gab es Streit zwischen dem Kloster und der Stadt Calbe wegen der Nutzung der Saale-Mühle. Erzbischof Kardinal Albrecht IV., Markgraf von Brandenburg, (Reg. 1513-1545), ein Freund des Ablasshandels und Intimfeind Luthers, schlichtete dahingehend, dass den Bürgern der fünfte Mahlgang zum Malz-Mahlen zur Verfügung stand. Dafür durfte das Kloster nur wie früher 1 Groschen Gebühr erheben, und bei Schäden des fünften Ganges sollten die Bürger den vierten benutzen dürfen (vgl. ebenda, S. 34).

Der Verkauf (zu Dumpingpreisen) von Waren in der Stadt, die im Kloster hergestellt worden waren und den Absatz der Calbeschen Handwerker empfindlich schädigten, wurde verboten. Das betraf in erster Linie Lederwaren und Kleidung, auch Geschäfte mit dem lukrativen Kalkbrennen wurden den Brüdern in Gottesgnaden 1532 untersagt (vgl. ebenda).

Zum zweiten Mal nach 1285 (s. oben) wurde das Kloster 1525 beschädigt, als es im Rahmen des Bauernkrieges zu Tumulten und Unruhen kam. Im Februar 1525 hatte sich das Bauernheer Thomas Münzers dem Erzstift Magdeburg genähert, und der Kardinal sich schleunigst in der Schloss-Veste Calbe verschanzt. Auch hier in Calbe schlug ihm eine Atmosphäre der Empörung entgegen. Albrecht konnte erst wieder aufatmen, als die Bauern - auch mit Hilfe seiner Soldaten - am 15. Mai 1525 bei Frankenhausen geschlagen worden waren. Ob Teile des Bauernheeres bis nach Gottesgnaden vorgestoßen waren, ist mehr als zweifelhaft. Wahrscheinlich hatten wütende Bauern und Plebejer aus der Gegend, möglicherweise auch Schuldner des "Bankhauses" Gottesgnaden das Kloster äußerlich ramponiert. Es waren ohnehin nicht mehr allzu viele Brüder in seinen Mauern.
In Calbe selbst kam es 1524 unter dem Einfluss der aufregenden politischen Ereignisse in Magdeburg (vgl. Station 11) zu Unruhen, über die wir durch das Tagebuch eines Magdeburger Beamten, des Möllenvogtes und quasi Landes-"Polizeichefs" Sebastian Langhans etwas besser bescheid wissen. Die Schrift hieß "Historia, was im Anfang der Lehre des Heiligen Evangelii vom Anfange des Jahres 1524 biß 1525 auf Blasii in allen dreien Städten zu Magdeburgs sich begeben" (gedruckt in "Magdeburger Geschichtsblätter" Bd. 28, S.290 ff. und Chroniken deutscher Städte, Bd. 27, S. 141, zitiert nach: Hertel, Geschichte..., S. 29).

Anlass für die Tumulte in Calbe war der so genannte Glockenraub.
Kardinal Albrecht hatte, bevor er sich aus Magdeburg wegen der immer heftigeren Angriffe der Bürgerschaft nach Halle aus dem Staub machte, mit Hilfe seiner Beamten und Anhänger, des Calbeschen Amtmanns Simon Hake (Hacke), des Bürgermeisters Hans Hermann, einiger anderer Ratsmitglieder und des (Tagebuch schreibenden) erzbischöflichen Beamten Langhans, gegen den Willen des Propstes und des Konvents eine Glocke der großen Klosterkirche demontieren und auf einem Ochsenwagen  nach Halle in sein neues Stift abtransportieren lassen.
Die Lutheranhänger bemächtigten sich sofort des Stoffes und verspotteten den flüchtigen Kardinal in dem „Lied vom Glockendieb und Ochsentreiber“. Die hier zurück bleibenden bürgerlichen und ritterlichen Helfershelfer bekamen in dem Spottlied auch gehörig ihr Fett weg. Wenn einer von ihnen die Straße betrat, schallte ihm das Lied besonders laut in die Ohren, ein unerhörter Vorgang für die selbstherrlichen ritterlichen Beamten und für die sonst so eitlen Ratsmitglieder. Das Lied wurde besonders in Magdeburg und Calbe sowie in den Vorstädten gesungen und stachelte die Menschen der unteren Schichten an.
In Calbe war man empört über die Mitwirkung des Bürgermeisters und einiger Ratsmitglieder, wobei es wohl weniger um den Raub einer Klosterglocke als vielmehr um ein notwendig gewordenes Aufsprengen Jahrhunderte alter sozialer Strukturen ging. Im Ratskeller und in Schenken wurde zum Sturz des alten Rates aufgerufen. Die Anführer Lorenz Böddeker und Hans Hubold wollten die „Verräter“ sogar an den Galgen bringen. Am 18. September 1524 wurden vor der katholischen Messe der Bürgermeister sowie die Herren Georg Hermann und Hans Philipps verhaftet und inhaftiert. Mit bewaffneter Hilfe des erzbischöflichen Statthalters Graf Botho von Stolberg gelang es, die Gefangenen zu befreien. Nun wurden der Anführer des Aufstandes Böddeker und andere Beteiligte gefangen gesetzt. Die gesamte Stadt wurde zu einer Strafe verurteilt, deren Maß der Kardinal bei seiner Rückkehr festlegen sollte. Wahrscheinlich verlief das Ganze im Sande, denn der Erzbischof vermied klugerweise alles, was den Volkszorn erneut anstacheln konnte. Vor seiner Flucht ins katholische Mainz ließ er die Glocke aus Halle wieder nach Gottesgnaden zurückbringen.

(vgl. Hertel, Geschichte..., S. 29 ff. und Reccius, S. 34).

Grabstein des vorerst letzten katholischen Propstes Johann de Pusco in der Hospitalkirche von Gottesgnaden

Übersetzung der lateinischen Inschrift:

"Im Jahr des Herrn 1553 am 24. Februar starb der Ehrwürdige Herr Johannes de Pusco, Propst dieses Klosters, im 60. Lebensjahr, hier bestattet, dessen Seele in Frieden ruhe! Amen!"

1531, also 6 Jahre nach der grausamen Niederschlagung des Bauernaufstandes, hatte es der Propst von Gottesgnaden Johann de Pusco (de Busco, Buschidus, Busch, von Herzogenbusch) gewagt, sich mit seinem Erzbischof Kardinal Albrecht, der immer noch einer der mächtigsten Landesfürsten jener Zeit war, wegen der Vogtei in Schwarz anzulegen. De Pusco fiel bei dem Herrn Kardinal prompt in Ungnade. Um ihn wieder versöhnlich zu stimmen, schenkte ihm der Konvent "aus freien Stücken" die gesamte Saale-Fischerei des Klosters bei Calbe im "Flutgerinne, an dem Fischerhäuslein und auf dem ganzen Wehre und Damme". Daraufhin gab Albrecht zum Zeichen der Versöhnung die Hälfte an das Kloster zurück, unter der Bedingung, dass nun beide Besitzer gemeinsam fischen ließen und gemeinsam auch die Unterhaltungskosten trügen. Der Status quo ante, wie er seit dem 12. Jahrhundert bestand (s. oben), war also wieder hergestellt. Als weiteres Zeichen seiner Gnade übertrug Kardinal Albrecht die  niedere Gerichtsbarkeit über das Dorf Schwarz an das Kloster, die hohe behielt er (vgl. Reccius, S. 34 und Leuckfeld, S. 110 ff.).

Noch einmal tätigte das Prämonstratenser-Kloster ein größere  geschäftliche Aktion, seine letzte. 1537 machten Propst Johann de Pusco, der Prior Johann Hattinger und der Senior (der Brüder) Lucas, die der kleinen Schar noch vorstanden, einen Vertrag mit den Dageviers in Gegenwart des Abts Bernhard von Nienburg und des erzbischöflichen Kommissars Dietrich von Wirten über eine Schäferei, zwei Höfe und einige Äcker in Trabitz, "so dem Closter ruhig zu besitzen und zu geniessen ewiglich überlassen worden..." (Leuckfeld, S. 113.) 

Doch die Lutherische Reformation, die besonders das Magdeburger Land ergriffen hatte, ließ sich nicht mehr aufhalten, und das Ende des einstmals stolzen Prämonstratenser-Klosters nahte.                   

In der von den Männern "des Lichtes" initiierten Umbruchzeit liefen besonders die wenigen jüngeren Insassen, obwohl es auch gefährlich war, aus den Klöstern weg. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts schrumpfte die Kloster-Gemeinschaft in Gottesgnaden auf drei Brüder.

Während sich in der Stadt Calbe die evangelische Lehre bereits 1542 (erste evangelische Predigt am 21. 4., vgl. Station 5) durchgesetzt hatte, blieb das Kloster noch 11 Jahre länger römisch-katholisch.

Im Schmalkaldischen Krieg (Konfessionskrieg zwischen Protestanten und Katholiken 1546/47) wurde das Kloster hart attackiert, und die Mönche mussten Schlimmes erleiden. Der Ruin der Klosteranlage, besonders der Stiftskirche, ging weiter voran. Vorher waren über den Mauern des Klosters von der Stadt aus noch "zwei solche blaue Türme und Spitzen wie auf der Stadtkirche zu Calbe zu sehen gewesen, welche aber nachgehends in dem Spanier-Kriege niedergerissen, die sechs Glocken, so in den Türmen gehangen, weggeführet, und also die Kirche verderbet worden." (Hävecker, Chronica..., a. a. O., S. 116, angepasste Rechtschreibung). Mit dem "Spanier-Krieg" meint Hävecker das Eingreifen von ca. 800 Spaniern unter dem berüchtigten Herzog Alba in den Schmalkaldischen Krieg, die in der Woche vor Pfingsten 1547 einen Plünderungszug durch das Magdeburger Land unternahmen und die Beute in ihrem zeitweiligen Lager in Barby zusammentrugen (vgl. Der Kreis Calbe, a. a. O., S. 164) .

1548 wurde das Kloster durch einen Großbrand stark beschädigt. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch zwei Mönche mit dem letzten katholischen Propst Johann de Pusco in dem verfallenden Gemäuer. Der Propst sprach von Brandstiftung durch die Klosterfeinde. Im Volke dagegen ging das Gerücht um, der Propst hätte Ostern mit einer Schar Weiber (- offizielle Huren gab es allerdings in Calbe seit 1543 nicht mehr -) gefeiert und sich dabei so "vol getruncken" (Chroniken..., Bd. 27, S. 132), dass er in dem Zustand seine Schlafkammer selbst angesteckt habe. Wer lügt, ist heute nicht mehr zu belegen. Denkbar wären beide Versionen, vielleicht auch eine Verbindung aus beiden: Die letzten Mönche feierten verzweifelt in ihrer maroden Zufluchtsstätte, und die reformatorisch eingestellten Gegner der Klöster nutzten die Gelegenheit, das Klostergemäuer endgültig zu vernichten. Allerdings muss man auch bedenken, dass de Pusco 1548 schon gebrechlich und krank war und für die ihm unterstellte Orgie wohl nicht mehr so richtig in Frage kam.

Nach dem Sieg der katholischen Partei 1547 und der vom Kaiser Karl V. wegen der Zustimmungsverweigerung Magdeburgs  zum so genannten Interim (Rekatholisierung) gegen das Magdeburger Land verhängten Acht hat auch das Kloster Gottes Gnade "zum ersten Mal mit herhalten müssen; da denn zwar die Privilegia und Siegel desselben an sichere Örter gebracht, allein die Kleinodien und Ornat sind von einem Kriegsobersten Severin Lorentz hinweg genommen worden. Doch ist diesmal das Kloster nicht ganz ruinieret worden." (Hävecker, S. 116, angepasste Rechtschreibung.) Hävecker meinte die teilweise Zerstörung des Klosters durch sächsische Söldner 1550 (vgl. Reccius, S. 36).

Plünderungsaktionen und Zerstörungswut der katholisch-kaiserlichen Seite richteten sich also auch gegen die Klöster der eigenen Konfession. Das war die "Taktik der verbrannten Erde": Dem Gegner sollte nichts Wertvolles in die Hände fallen.

Nach diesen schlimmen Ereignissen und weil es im Victors-Kloster in "Gratia Dei" außer ihm nur noch zwei Kanoniker als letzte Insassen gab, wollte 1552 der kranke Propst abdanken. Er gab das Kloster wieder in die Hände seines Vorgesetzten, des Erzbischofs Friedrich IV, Markgraf von Brandenburg, (Reg. 1551-1552), zurück. Dieser nahm den Rücktritt an und setzte de Pusco eine Rente von 40 Gulden und mehreren Naturalien aus. Zur Inanspruchnahme kam es jedoch nicht mehr, weil der Propst bald darauf starb (vgl. Hertel, Geschichte..., S. 266 f.).

De Pusco war der evangelischen Lehre durchaus zugeneigt gewesen, wie wir aus der Einweihungsrede für den neuen Stadtfriedhof am Laurentiusfriedhof 1551 (vgl. Station 6 und Station 20) durch den Pfarrer Leonhard Jacobi wissen (vgl. Dietrich, Calbenser Ruhestätten, a. a. O., S. 15). Er als Pfarrer und Patron der Stadtkirche St. Stephani (s. oben) verhinderte die Einführung des evangelischen Gottesdienstes in Calbe nicht.

Als Johann de Pusco 1553 starb (s. Epitaph oben), bekam das Kloster den ersten und einzigen evangelischen Propst, Lambert Werner, der anfänglich - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - der neuen Lehre ablehnend gegenüberstand. Der Gesinnungswandel kam erst, als auch sein Herr, der 1553 an die Regierung gelangte Erzbischof Sigismund, Markgraf von Brandenburg, (Reg. 1553-1566) sich "mit Herz und Mund" der evangelischen Lehre verschrieb (vgl. Leuckfeld, S. 114). Sinnvollerweise nannten sich seine protestantischen Nachfolger nicht mehr "Erzbischöfe" sondern Administratoren.

Grabstein des ersten und letzten evangelischen Propstes Lambert Werner in der Hospitalkirche

Die Epitaphien des letzten katholischen sowie des ersten und einzigen evangelischen Propstes befinden sich in der noch erhalten gebliebenen Hospitalkirche (Kapelle) St. Mariae und Johannis in Gottesgnaden - ein starker Hinweis darauf, dass schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Bestattung in der Stiftskirche, in der sonst alle Pröpste beigesetzt worden waren, wegen des miserablen baulichen Zustands dafür nicht mehr in Frage kam.

Nach dem Tode von Lambert Werner 1563 wurde das Kloster für aufgehoben erklärt.

Klöster waren in einem evangelischen Land unzeitgemäß und nicht der öffentlichen Meinung entsprechend. Selbst ein gemäßigter und anerkannter Mann wie Johann von Busch war 1548 angefeindet worden (siehe oben), weil er einem Kloster vorstand.

 

Nach 1569 wurde ein weltlicher Verwalter des Klostergutes eingesetzt, der Schlosshauptmann (auch schon Amtmann genannt) Melchior von Wellen (vgl. Leuckfeld, S. 114 f. und Reccius, S. ). Das Kloster war nun zum ersten Mal säkularisiert.

Im Dreißigjährigen Krieg (vgl. Station 6) starteten die Prämonstratenser einen Versuch der Rekatholisierung, als die Kaiserlichen zeitweilig die Magdeburger Gegend beherrschten. Der eifrige Magdeburger Propst Martin Stricker wollte Gottesgnaden erneut zum Mittelpunkt machen, diesmal zur Wiederbelebung der Prämonstratenser-Klöster, und führte 1629 einige Brüder in das Gemäuer. Das schockierende Bild der Ruinen schilderte der neu eingesetzte (nun wieder katholische) Propst Deodat Mans in einem Brief an seinen früheren Abt in Steinfelden am Rhein. Er fand außer den Wänden der Kirche und Trümmern kein Inventar vor. "Der ganze Kreuzgang, der mit runden Säulen überall gestützt gewesen, alle Altäre, sogar der Estrich (pavimentum) seien abgerissen und zu profanen Zwecken verwendet, und derart seien die heiligen Stätten entstellt", dass außer zweier mit einem Maurerpinsel gemalter Bilder des Gekreuzigten "nichts vorhanden wäre. Dagegen sei die Ökonomie in gutem Zustande gewesen bis zur Ankunft der Kaiserlichen, welche alles dem Administrator Gehörige plünderten, und jetzt lägen dort 12 Böhmen mit 24 Pferden aus dem Heere Wallensteins, die alles verzehrten." (Hertel, Geschichte..., S. 267.) Mit dem im Brief erwähnten Administrator (s. oben) war Christian Wilhelm, Markgraf von Brandenburg, (Reg. 1598-1631) gemeint, einer der tragischen Verlierer, aber auch einer der unfähigsten Befehlshaber in diesem Kriege (vgl. Station 6). Als die protestantische Seite wieder einrückte, mussten am 14. August 1630 der wirklich letzte Propst Deodat Mans und seine Mitbrüder Hals über Kopf fliehen, um der Gefangennahme durch 60 nach Gottesgnaden vorrückende Dragoner zu entgehen. Einer der Geflohenen, der Kanoniker Ludwig, kehrte im Oktober 1630 im Schutz kaiserlicher Fußtruppen (nach dem Sieg der Kaiserlichen in Calbe und deren grässlichen Massaker vom 22./23. September) wieder nach Gottesgnaden zurück. Bruder Ludwig lebte noch einige Zeit zusammen mit wenigen anderen Brüdern in dem Gemäuer, bis auch sie vor den Schweden fliehen mussten (vgl. Hertel, Geschichte..., S. 267 f.).

Wie siegesgewiss die katholische, aber auch die evangelische Seite waren, zeigt eine Anekdote, die Hävecker erzählt: Nach dem Einmarsch der Kaiserlichen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges "sandte Vater Ludowig des Klosters Gottesgnaden dem hiesigen [evangelischen - D. H. St.] Pastori ein paar Schuhe mit dem Bedenken, er sollte die Pfarre räumen und sich so fort machen, der sie ihm aber wieder zurück schickte mit der Antwort: Er sollte seine Schule nur behalten, denn er möchte derselben vielleicht selbst bedürfen; welches auch nicht lange hernach also geschehen..." (Hävecker, S. 59, angepasste Rechtschreibung).

Nach dem Einmarsch der Schweden und der Re-Evangelisierung, so berichtet Hävecker nach Erzählungen "alter Leute", hatte der schwedische Kanzler Johannes Stalmann, der 1632 Gottesgnaden von seinem König Gustav Adolf als Besitztum geschenkt bekommen hatte, den in einem Steinsarkophag verborgenen Klosterschatz geraubt. Sicherlich aus Wut darüber, dass ihm Stalmann zuvorgekommen war und die Kursachsen ihm "seine" vom König geschenkte Stadt Egeln abgenommen hatten sowie sicherlich auch, um den Kaiserlichen und Sächsischen "verbrannte Erde" zu hinterlassen, ließ Johann Banér das Kloster und gleich auch noch die Brücke über die Saale niederbrennen. (Die Brücke war damals ein ganz wichtiger strategischer Knotenpunkt der Truppenbewegungen.) Hävecker wusste von alten Gewährsleuten, "daß die Einwohner zu Schwarz und Trabitz dazu gezwungen worden, daß sie Reiß-Holz und Stroh zuführen müssen; daß also die Gebäude an der Kirche, Häuser, Scheunen und Ställe in die Asche geleget sind." (Hävecker, Seite 116, angepasste Rechtschreibung).

Eine Inventur nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650) ergab, dass die Gebäude ohne Dach mit in die Luft ragenden Sparren und teilweise eingefallenen Mauern da standen. Die große Kirche war total ruiniert und verwüstet, die Wirtschaftsgebäude nur notdürftig mit Stroh abgedeckt.

Nach dem Kriege ließ Administrator August, Herzog von Sachsen-Weißenfels (Reg. 1638-1680) die Wirtschaftsgebäude durch Albrecht Heinrich von Welchhausen, dessen Wappen noch um 1900 an einer nicht mehr vorhandenen Kanzel der Hospitalkirche zu sehen war, wieder aufbauen bzw. reparieren.

August, der zweite Sohn des sächsischen Kurfürsten Johann Georg I., war 1635 Nachfolger des verstorbenen Magdeburger Administrators, des brandenburgischen Markgrafen Christian Wilhelm, geworden und residierte seit 1642 in Halle. Der aufgeklärte, kunstliebende und -fördernde Fürst war Mitglied der "Fruchtbringenden Gesellschaft" und verzichtete 1647 auf seine Erzbischofs-Würde.

 

Amt, Domäne und LPG-Anlage

Das nun zum zweiten Mal säkularisierte Kloster war zusammen mit Trabitz, Schwarz und den Vorwerken Chörau und Patzetz sowie den Mühlen Calbe und Chörau ein Amt unter der Verwaltung eines Amtsschreibers geworden (vgl. Hävecker, S. 118).
1720 sah Hävecker keine Zukunft mehr für die Stiftskirche; die Ruine wäre eine Behausung für Fledermäuse, Igel, Greifvögel und Marder geworden, wie er nach eigenem Augenschein schilderte (vgl. Hävecker, S. 118). Selbst dieser Pietist (vgl. Station 7) und Klostergegner war enttäuscht darüber, dass die Ruine der Stiftskirche nun Stück für Stück abgetragen wurde. Nach seiner Meinung hätte man nicht die Hospitalkirche ausbauen, sondern die große Hauptkirche wieder aufbauen sollen. Der Calbesche Oberpfarrer beklagte das Aussehen der einstmals stolzen Kirche. Bevor das Kloster nach 1680 ein "Königlich Preußisches Amt" geworden sei, habe es sogar als Gestüt herhalten müssen (vgl. Hävecker, S. 116).

Das Vorhaben, aus der Anlage eine Landesschule (Gymnasium) zu machen, für die 1653 schon eine Schulordnung ausgearbeitet worden war, sei an einigen "politici" (Politikern) gescheitert (vgl. Hävecker, S. 83 und S. 116). Hätte man diesen Plan angenommen, wäre Gottesgnaden ein zweites "Schulpforta" geworden.
 

Der Stich "Gegend der Stadt Calbe" (Ausschnitt daraus) des Kaufmanns Walther in der Hävecker-Chronik von 1720 zeigt den desolaten Zustand des Klosters Gottesgnaden um 1700

Als 1695 eine neue Schleuse gebaut wurde (vgl. Station 3), kam der Befehl, den Chorraum von Osten her so abzureißen, dass die Steinquader, aber auch die Steinmetz-Skulpturen zum Schleusenbau verwendet werden konnten. So geschah es auch. Der Materialwert der abgetragenen Steine für den Schleusenbau betrug 5000 Taler (vgl. Dietrich, Ruhestätten, S. 17), ein Schnäppchen für den brandenburgisch-preußischen Kurfürsten Friedrich. Als sein Sohn, der noch sparsamere König Friedrich Wilhelm I., 1727 den Kanal von Calbe nach Frohse bauen ließ (vgl. Station 20), sollten auch diese Stiftskirchen-Steine zum Bau der drei geplanten Schleusen dienen. Das Fünfzigtausend-Taler-Projekt scheiterte jedoch aus außenpolitischen Gründen (vgl. ebenda), und die Steine verschwanden in anderen staatlichen und in privaten Bauvorhaben. Ab und zu, aber höchst selten, tauchten hier und da steinerne Relikte dieser bedeutenden Kirche auf (s. Abb. oben). Hoffen wir, dass bei Sanierungsarbeiten noch diese und jene Skulptur aus der großen Klostervergangenheit zutage kommt.

Als Friedrich Wilhelm I. sein merkantilistisches Programm zur Sanierung der preußischen Wirtschaft verwirklichte, stützte er sich, ähnlich wie sein Großvater, der "Große Kurfürst", auf protestantische Einwanderer (vgl. Station 1). So siedelte er nicht nur die wegen ihrer Konfession verfolgten Salzburger Exilanten in Ostpreußen, sondern auch die böhmischen protestantischen Spinner und Weber in Brandenburg, vorwiegend in Berlin, an. Eine ihrer Kolonien wurde die Friedrichstadt, in der die Bethlehem-, auch Böhmische Kirche genannt, errichtet wurde. Zum Guss der vorgesehenen zwei Glocken ließ der sparsame König die große Glocke aus dem inzwischen zur Ruine verfallenen und als Materialspender dienenden Kloster "Gottes Gnade" einschmelzen. Eine dieser beiden Glocken wurde nach einem Luftangriff 1943 gerettet und befindet sich heute im Kirchsaal der Evangelisch-Reformierten Bethlehemsgemeinde in Neukölln (vgl. www.berlin-topographie.de/strassen  unter "Bethlehemkirche" - Für den URL-Hinweis bedanke ich mich bei Herrn Wolfram.)


Auf dem Klosterterritorium blieb nur die kleinere Kirche (Hospital-Kapelle) erhalten, die von Prior Bernhard aus eigenen Mitteln gebaut  worden und 1207 von Erzbischof Albrecht den Heiligen Maria und Johannes geweiht worden war (s. oben).

Der so genannte Sachsenturm ist noch im romanischen Stil erhalten geblieben; er trägt ein Satteldach und ist mit gekuppelten Rundbogenfenstern, die jeweils von einer Säule mit romanischen Würfelkapitellen getragen werden, versehen (vgl. Heiber, a. a. O., S. 32). Das Langhaus wurde 1710 nach einem Brand teilweise gotisch umgebaut und erweitert. Diese Kirche gehört bis auf die heutige Zeit zum Ortsteil Gottesgnaden.

Blick vom s. g. Sandhof auf die königlich-preußische Domäne Gottesgnaden um 1850 (nach: Archiv Fam. Zähle)

Nach 1680 wurde der Wirtschaftsteil des ehemaligen Klosters in eine preußische Domäne umgewandelt, und als solche blieb er bis zur Bodenreform nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bestehen. Heute noch lassen die alten landwirtschaftlichen Industrieanlagen im Ortsteil Gottesgnaden das Aussehen der preußischen Domäne erahnen. Nach der Bodenreform wurde der Grund und Boden Neubauern-, später LPG-Land, und ein Teil davon die Gärten des Kleingartenvereins "Neue Zeit".

Seit 1940 führt ein neuer Kanal zur Umgehung des Wehres (vgl. Station 3) mit einer modernen Schleusenanlage direkt (östlich) am Ortsteil Gottesgnaden vorbei.

Der seit 1940 existierende neue Kanal mit Schleuse bei Gottesgnaden