21. Durch diesen nordöstlichen Ausgang gehen wir wieder auf die Bernburger Straße und sehen schräg gegenüber die Einfahrt zur ehemaligen Wolldeckenfabrik, einem der ersten Fabrikgebäude der Firma Nikolai aus der Zeit der ersten industriellen Revolution (vgl. Station 18). 1851 war Johann Christoph Nicolai aus der Breite hierher gezogen, um die damals sehr moderne Tuchfabrik zu erbauen. Rechts vom Eingang des ehemaligen Verwaltungsgebäudes kann man eine Altarplatte aus dem Kloster Gottesgnaden sehen. Ein hier auch aufgestelltes Säulenkapitell aus diesem Kloster ist verschwunden. Die kunsthistorisch interessierten Nicolais hatten ihre "Schätze" aus der 1695 gebauten Schleusenanlage, bei der die Bausteine der 1134 geweihten Stiftskirche verwendet worden waren.

 

Altarplatte aus dem Kloster "Gratia Dei"
(jetzt auf dem Gelände der ehemaligen Nicolaischen Wolldeckenfabrik)

Es gab und gibt bei einigen Regionalhistorikern (z. B. auch bei Reccius, Chronik..., S. 5 und 15) die Vermutung, dass sich auf  diesem Gelände im Mittelalter die "Burg von Calbe" befunden hat, eine 961 und 1305 erwähnte "Burg" (urbs) bzw. "Sudenburg" (1305 "Sudenborch"). Da es jedoch bislang keine diesbezüglichen  Bodenfunde oder/und schriftlichen Quellen gab, müssen solche Vermutungen zunächst einmal rein spekulativ bleiben.

In anderen schon im Mittelalter existierenden Städten entstanden die ersten Siedlungen oft im Schutzbereich einer Burg, meist direkt unterhalb der erhöhten Burganlage. Einige Städte befreiten sich schon früh von ihren Burgherren, das Zeichen ihrer Unabhängigkeit war oft der Roland (vgl. Station 2).

Im 9. oder 10.Jahrhundert gab es im Bereich der Bernburger Straße bereits ein "suburbium", was wörtlich übersetzt einfach "Vorstadt" heißt. Allerdings finden sich auch genügend Beispiele dafür, dass der Begriff "suburbium" eine "Vorburg" oder auch eine "Burgsiedlung" bedeutet hatte. Dann aber bliebe immer noch die Frage offen, wo sich in Calbe eine solche Burg befunden haben könnte. Möglicherweise war es auch nur eine Anlage aus Holz, in der man sich ver"bergen" konnte, mit einem zentralen Schutz- und Verteidigungsgebäude. In diesem Fall wären Bodenfunde so gut wie ausgeschlossen. 961 wird "calvo" als "burgwardium" bezeichnet (vgl. Reccius, S. 5). Es war also  der Mittelpunkt eines Burgwardbezirkes. Da in diesem Dokument auch die Häuser bei der Burg erwähnt wurden, kann die Bernburger Vorstadt als genauso alt wie die Kernstadt und 400 Jahre älter als die Schlossvorstadt angesehen werden. Die Burg wurde durch König Heinrich I. (919 - 936) in Anlehnung an eine Anordnung König Arnulfs aus dem Jahre 898 erbaut. In ihrer äußeren Anlage mag die "Burg" dem Königshof (vgl. Station 8) geähnelt haben. Die Burgwarde waren wesentlicher Bestandteil der ottonischen Grenzbefestigungen, zunächst gegen die verheerende Ungarngefahr.  Sie wurden später die Bausteine des territorialen Aufbaus, der Organisation und der Verwaltung des Landes. Burgwarde in unserer Nähe waren Magdeburg, Frohse (Schönebeck), Barby, Rosenburg und Nienburg. Wie gesagt, wenn wir heute von einer Burg sprechen, denken wir unwillkürlich an einen stolzen Bau aus dem Hochmittelalter, wie zum Beispiel die Burg Falkenstein. Diese Art von Burgen nennt man Adels- oder Herrenburgen. Sie waren Machtzentren der herrschenden Feudalschicht. Im frühen Mittelalter waren Burgen jedoch oft nichts anderes als geschützte Anlagen, in denen die Bürger (gleicher Wortstamm) einer Stadt im Kriegsfalle geborgen waren. Diese Art nennt man Flucht- oder Volksburgen. In den Quellen hat die Burg von Calbe verschiedene Namen: civitas, urbs oder municipium (vgl. ebenda). Für die Annahme, dass eine solche Burganlage nur aus Holz gebaut war, spricht ein Bericht des arabischen Händlers Ibrahim Ibn Jacub von 970 über seine Reise nach Prag: "Der Weg von Magdeburg  ... nach der Feste Calbe beträgt 10 Meilen und von da nach Nub Grad (Nienburg) 2 Meilen. Das ist eine Feste aus Steinen und Mörtel gebaut, und sie liegt ebenfalls an dem Flusse Salawa, und in ihn fällt der Fluss Bode." (Vgl. Reccius, S. 5). Wenn aber der Händler ausdrücklich Nienburg als mit Steinen und Mörtel befestigt erwähnt, dann wird das wohl bei der Feste Calbe nicht der Fall gewesen sein. Dass Calbe eine Burg besessen hat, noch dazu als "burgwardium", steht wohl außer Zweifel. Eine solche Anlage wäre am effektivsten auf dem höchsten Punkt des Südufers  in dem Saalebogen, wo sich die ehemalige Wolldeckenfabrik befindet, errichtet worden. Für die These, dass die Burg im Süden vor der Stadt in der Nähe des Süd-Tores lag, sprechen verschiedene urkundliche Indizien. 1373 wurde ein "Burgtor" genannt, das ganz offensichtlich mit dem späteren Bernburger Tor identisch war. Ein dazu gehörender Turm hieß "Burgturm". Das Tor auf der Nordseite wurde "Gröpertor" genannt. Hätte in der Nähe von diesem einstmals, bevor das Schloss gebaut wurde, eine Burg gestanden, wie Hävecker und Dietrich vermuteten (vgl. Hävecker, S. 18, Dietrich, Unsere Heimat, S. 19), wäre das Tor wohl nicht nach den armseligen Hütten der Töpfer benannt worden (vgl. Reccius, S. 19). In einem Erbteilungsvertrag von 1489  überließ Bürgermeister-Witwe Margarethe Glore der anderen Partei Haus und Hof im Neumarkt-Viertel (vgl. Station 15) "bei dem borchthore" (vgl. Reccius, S. 30).

 

So könnte die fränkische bzw. frühdeutsche Burganlage aus Holz ausgesehen haben (Computer-Simulation)

Bei feindlichen Überfällen fanden die Siedler des Burgbezirkes Schutz in der Anlage

Bergfried und Palisade (oder Steinwall) waren die wichtigsten Bestandteile der Anlage

Es leuchtet also ein, dass tatsächlich Burg- und Bernburger Tor identisch waren. Auf welche Burg aber wies dieser Torname hin? Auch dafür gibt es Indizien: 1305 gab das Magdeburger Domkapitel unter Erzbischof Heinrich II. von Anhalt (Regierungszeit 1305-1307) die Einwilligung zum Ackerverkauf von 8 Hufen teilweise unebenen Landes (s. g. Worden), "de lighen tho Sudenborg vor derselben Stadt" Calbe, an Hamke von Egeln (aus Magdeburg) und Gebhard von Könnern (vgl. Hävecker, S. 18 f.). Der Brief von 1305, den Hävecker noch gesehen hatte, ist bei ihm a. a. O. im Wortlaut wiedergegeben. Erzbischof Albrecht III. von Querfurt (Regierung 1382-1403) , belehnte  Peter Oyge 1386 mit einigen Hufen Landes, 9 Höfen, "einem Weingarten vor Calbe nahe bei Sanct Lorenz... und einem halben Vierding von einem Hofe genannt Sudenburg, der nach dem Tode von Lorenz Papendorf an den Erzbischof heimgefallen war." (Reccius, S. 22). 1446 wiederum belehnte Erzbischof  Friedrich III., Graf von Beichlingen (Regierung 1445 - 64), einen Klaus von Kröcher mit einem Gelände vor Calbe, genannt "der Wyngarte", den er mit zwei Höfen vor Calbe, "genannt upper Borgh" (auf der Burg), und anderen Grundstücken weiter verlieh (vgl. Reccius, S. 26). Die Bewohner der Unterwällischen Gemeinde (vgl. Station 19) waren laut Angaben von Max Dietrich ursprünglich Hörige des "Erzbischöflichen Lehngutes Sudenburg" gewesen. Auch im 18. Jahrhundert war der Name noch gegenwärtig. 1745 bezeichnete man einen Feldhüterturm (vgl. Station 15) an der äußeren südlichen Stadtmauer als "Burgturm" (nach einer Kinderling-Abschrift) ( vgl. Reccius, S. 75). Max Dietrich hatte Informationen, dass um 1780 an der vermuteten Stelle, bevor dort später die Nicolaische Fabrik errichtet wurde, bei Bauarbeiten "noch viele Fuder Steine [1 Fuder ca. 1,43 m³] gebrochen und anderweitig verwertet, auch große Kellerräume gefunden" (Dietrich, ebenda) wurden. Womöglich handelte es sich dabei um Reste eines steinernen Bergfriedes oder eines anderen Schutzhauses. Leider wurde nichts gesichert, und auch später unternahm man keine Suchgrabungen. Dietrich fand noch ein weiteres Indiz für die Lokalisierung dieser Stelle: Das Areal befand sich da, wo schon seit alten Zeiten ein Hof, der dienst- und steuerfrei war, also ein Freihof, existierte. Es war das Gelände, auf dem nach dem Dreißigjährigen Krieg Christoph Deutschbein den Gasthof "Zum Goldenen Engel" errichtete (s. unten).

 

Wo jetzt auf dem hohen Saale-Ufer das Gebäude der ehemaligen Wolldeckenfabrik steht, befand sich vielleicht einmal eine frühe Burganlage.

Alle diese Anzeichen deuten darauf hin, dass eine Burg vor Calbe kein Phantasiegebilde ist. Aber es war eben nicht, wie wir uns das gern vorstellen, eine stolze Herrenburg an der "Saale hellem Strande", sondern eher ein bescheidenerer Militär- und Fluchtstützpunkt vom Beginn der "diutischen" (deutschen) Staatsbildung. Womöglich wurde diese alte Burganlage in den Fehden des Hochmittelalters, insbesondere am 8. November 1179 beim grausamen Rachezug Herzog Heinrichs des Löwen gegen Erzbischof Wichmann von Seeburg (Regierung 1152-1192), niedergebrannt und geschleift. Später mag dieses privilegierte Gelände, als sich niemand mehr an die karolingische, ottonische und staufische Zeit erinnern konnte, im Volksgedächtnis als "Sudenburg" weiter existiert haben. Im 19. Jahrhundert verblasste jedoch diese schwache Erinnerung.

Unter dieser Burg-Anlage haben sich dann im 9. und 10. Jahrhundert immer mehr Handwerker, Händler, Bauern und Fischer angesiedelt. Die Hütten dieser Siedler lagen längs des Ufers der Saale und erstreckten sich wohl in der ersten Zeit zwischen Königshof und "Burg". 

In der Großen und Kleinen Fischerei hatten Slawen (Wenden) ihren Wohnsitz. Sie galten als den Calber Einwohnern nicht ebenbürtig, waren Leibeigene und Hörige (vgl. "Feudale Abhängigkeit") der deutschen Adels-Herren.

Das Wort "Slawe" ist im Mittelhochdeutschen identisch mit dem Wort Sklave = Leibeigener (vgl. auch Wortbedeutung im Englischen).

Besonders am unteren Ende der heutigen Kleinen und Großen Fischerei wohnten die (ursprünglich slawischen) Fischer. Wendisch-slawische Einwohner der Vorstadt durften nicht Bürger und Zunftmitglieder werden, deshalb konzentrierten sich diese Ausgegrenzten, ähnlich wie sich die jüdischen Mitbewohner auf Klein- und Geldhandel spezialisierten (vgl. Station 4), auf Fischfang, Gartenbau und Kleintierhaltung ("Hühnerdörfer"). Allmählich verschmolzen deutsche und wendische Bevölkerungsanteile, aber die feudale Abhängigkeit der Fischer blieb, und erst 1858 wurden Überreste dieser Hörigkeit abgeschafft (s. unten). Die immer nur von Bewohnern der Bernburger Vorstadt betriebene Fischerei vor Calbe geht, so weit die Quellen reichen, auf Familien mit deutschen Namen zurück. 1366 hatten die Fischer von Erzbischof Dietrich Kagelwit (Regierung 1361 - 67), dem großen Förderer Calbes (vgl. Station 11), das Lehen erhalten, Fischfang auf der Saale zu treiben (vgl. Hertel, Geschichte... , S. 247 f.). Dafür hatten sie unter anderem einen Lachs für den Erzbischof als Lehenszins zu entrichten. Aber auch der Rat der Stadt war Abnehmer der Saale-Fischreichtümer, die sie bei den Fischern kauften. "1381 schenkte der Rat dem Erzbischof einen Karpfen für viereinhalb Schilling und bald darauf eine Lamprete [Neunauge - D. H. St.]. Erzbischof Peter erhielt 1376 einen Wels, Nicolaus von Bismarck [ein Vorfahr des "Eisernen Kanzlers" - D. H. St.] 1391 einen Lachs und derselbe und der Graf von Barby erhalten 1381 zur Hochzeit Bier und Fische zum Geschenk." (Ebenda, S. 248)

 

Blick von der Kleinen Fischerei über die Saale zum historischen Stadtkern

Der Fischreichtum der Saale in der damaligen Zeit ist für uns Heutige kaum zu fassen (vgl. Station 3).

Außer den Welsen, Neunaugen, Brassen, Barschen, Gründlingen und Seebarschen waren es vor allem die Lachse und Störe, die den Ruhm der Saale-Fischerei begründeten. Hävecker schrieb, es habe "Gott der Herr zu Zeiten die Saale dergestalt mit Lächsen gesegnet, daß man, besage der Rechnungen de Anno 1652 in die 1063. eingebracht und berechnet." (Hävecker, S. 85). Zuerst mussten die Fischer ihren Fang dem Schloss-Amt (in Nachfolge des Erzbischofs), danach dem Rat (Magistrat) und den Bürgern anbieten (s. unten). Den Verkauf leiteten besondere Beauftragte für den Fischhandel, die Fischmeister. Diese (wie z. B. 1593 Johann Rude und Thomas Rephaun) hatten aber nichts mit den Fischern zu tun, denn sie waren im Unterschied zu diesen Bürger der Stadt (vgl. Hertel, S. 148. Der Begriff "Fischer-" oder "Fischmeister" darf uns also nicht irritieren, einmal waren damit die städtischen Fischhandelsbeautragten und andererseits die vorstädtischen Fischer-Handwerker gemeint. Wie Hävecker berichtete, war der Lachs-Überfluss in einigen Sommern so groß, dass sie spottbillig waren und dem Gesinde täglich als Speise vorgesetzt wurden, weshalb es Proteste der Knechte und Mägde gab. Sie baten darum, "die Woche nicht mehr als zweimal Lachs zu essen." (Hävecker, ebenda, angepasste Rechtschreibung).  Es war auch ein guter Brauch, dass der erste Lachs und der erste Stör den Armen im Hospital gebührte. Als man diese Edelfische durch ein Kalb ersetzen wollte, sei der Segen der Gabe verloren gegangen und man beließ es schnell wieder beim alten Brauch (vgl. Hävecker, ebenda).

Im Hochmittelalter war ein Differenzierungsprozess innerhalb der Fischerschaft vor sich gegangen. Die Großmeister (Garnherren) fischten mit großen Netzen in den besten Fangzonen, während die einfachen Fischer mit "kleinem Zeug" das abfischen mussten, was übrig blieb. Sie nannte man "Kleinzauer". 1632 führten die Garnherren beim Amt Beschwerde darüber, dass die "Kleinzauer zu Ungebühr bis nach Rosenburg und Trabitz fischten, so lange die Saale noch nicht ganz zugefroren sei." (Reccius, S. 49).

Als Hörige waren die Fischer auch zu anderen Diensten verpflichtet. Sie waren für die Instandhaltung der Hochwasser-Schutzdämme, des Wehres (auch Damm genannt - vgl. Station 3)), die Beseitigung der flussnahen Hochwasser- und Eisschäden sowie die Beobachtung des Wasserstandes und der Eisbewegungen verantwortlich (vgl. unten). Außerdem hatten sie für den Schutz der Brücken Vorsorge zu treffen. Durch die, teils mit gewaltigen Schäden, immer wieder kehrenden Hochwasser gab es auch für die Fischer viel zu tun. In einer Eingabe an den König Friedrich II. vom 16. März 1775 wegen einer Salweiden-Anpflanzung wird vom "fast alle Jahr" entstehenden Hochwasser und dem "starken Eisgang des Saalstromes" geschrieben( vgl. Hertel, S. 189).

 

Blick in die Kleine Fischerei (links die Saale)

Hier eine Auflistung der urkundlich feststellbaren Saale-Katastrophen nach Hertel, S. 189 ff., Notizen M. Dietrichs, abgedruckt bei Hertel, S. 190f., Hävecker, S. 98 und Reccius, S. 72 ff., Dietrich, Calbenser Ruhestätten, S. 24 (genaue Titel s. Literaturangaben):

 

1499

steht das Wasser laut einer alten Marke bis zur Hälfte im Wassertor.

1551

Extremes Hochwasser, die Pest herrscht (vgl. Station 6).

1565

großes Hochwasser (laut alter Marke in Gottesgnaden an der Klostergarten-Mauer).

1566

(14. Februar) Hochwasser, Unwetter; Damm gerissen, Felder überschwemmt.

1571

riss ein "großes Wasser" die Calber Brücke weg, die wieder aufgebaut wurde und bis zur Vernichtung durch Baner existierte (vgl. Stationen 6 und 12)

1585

Überschwemmungen, die sich aber günstig auf den Graswuchs auf dem Thie auswirkten.

1633

(Juni) bebaute Felder überschwemmt.

1653

(Juni) bebaute Felder überschwemmt.

1726

Wasser und Eis beschädigen den Schutz-Damm bei Schwarz und die Forstgebäude der "Heydereutherei" (vgl. Station 13) so stark, dass die Fähre und der Busch bleibend gefährdet sind. Deshalb werden Buhnen angelegt.

1729

(Februar) Hochwasser, das besonders die Schlossvorstadt bedrohte. Es wurden Dämme aufgeschüttet.

1731

Thie so stark überflutet, dass dort der Durchbruch eines neuen Saale-Bettes drohte, wodurch die Mühle trocken gelegt worden wäre. Brücken zwischen Patzetz und Lodderitz auf der Straße nach Aken zerstört.

1748

(November) "groß Wasser, das 8 Wochen dauerte." Die Bäcker konnten nicht mehr backen, die Menschen hungerten vor Weihnachten. "Es wurden viele Dörfer unter Wasser gesetzt und überall war viel Jammer und Not."

1749

(Juni) Hochwasser, von dem besonders Schwarz und Rosenburg betroffen waren. Ratskämmerer Schnock stürzte  in die Saale und ertrank.

1752

(5./6. August) "schwoll die Saale so an, dass das Wasser an der Mühle bis an das Schlüsselloch stand. Da das Korn im Felde zu Haufen lag, so wurde viel weggeschwemmt, von Halle herunter ist hier für 1000 Taler vorbei geschwommen. Es wurden viele Dörfer überschwemmt. Im Brauhause stand das Wasser im großen Gefäße fast 4 Wochen."

1770

(12./13. April) ellenhoher Schnee, der bis zum 15. April (Ostern) liegen blieb. Danach kam ein Hochwasser, das beide Mühlgraben-Brücken überflutete.

(September) noch einmal große Überschwemmung.

1771

(Juli) großes Hochwasser bis an die Klostergarten-Mauer, Vernichtung der bebauten Felder. "Schreckliches Wasser, welches höher ging als alle Überschwemmungen je zuvor und auch die von 1551 übertraf."

1772

Erneute Überschwemmung, große Teuerung wegen wiederholt vernichteter Ernten. Auf den Feldern blieben große Lachen zurück, in denen Fische schwammen, die auch gefangen und gegessen wurden. Statt Brot musste die Hunger leidende Bevölkerung u. a. Wicken essen. Ein großes Sterben durch eine von Kinderling als "Faulfieber" bezeichnete Seuche grassiert in Calbe und Umgebung. Die Bevölkerungszahl Calbes geht in diesem Sommer von 3100 um 9,7 Prozent auf 2800 zurück.

1775

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1778

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1780

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1781

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1783

Große Überschwemmung (Näheres unbekannt)

1784

(29. Februar) "hatte sich das Eis am Saalhorn gestopft, am 1. März war das Wasser so groß, daß die Bürgerschaft vor dem Schloßtor dämmen mußte." In Calbe stand das Wasser "bis zum Schlinge" am Kirchhofe (Kirchplatz). In der Schlossstraße stieg das Hochwasser so hoch, dass man das Vieh kaum noch aus den Ställen bringen konnte. Ein am 2. März früh 2 Uhr entstandenes Loch im Schutzdeich konnte durch unermüdlichen Einsatz der Bürger gestopft werden. An diesem Tag bekam auch "der Damm bei Tornitz einen großen Riß und die Flut ging durch das Barbysche Feld zwischen Glinde und Monplaisir in die Elbe, welche noch mit Eis bedeckt war." Für die schwer geschädigten Menschen in Barby wurden in Calbe am 5. März 200 Brote und 10 Taler gesammelt.

1785

"Große Wassersnot"

1789

"Auf strenge Kälte folgt Hochwasser, unter welchem besonders Schwarz zu leiden hat."

1799

(26. Februar) stand das Wasser in der Querstraße (W.-Loewe-Str.) bis an die Schule. Bei Gritzehne (heute: Calbe-Ost) riss der Damm.

1800

Sehr trockenes Jahr, man kann nach Gottesgnaden hinüber laufen. Am 11. August werden 44 Grad Celsius gemessen, Wind- und Wassermühlen stehen still.

1830

(1. - 4. März) "so großes Wasser, wie sich die ältesten Leute nicht zu erinnern wußten." Am Markt lief das Wasser den Leuten in die Stuben, es stand bis hinter die Mitte der Querstraße (W.-Loewe-Str.), etwa 120 Meter vor dem Brumbyer Tor, Teile der Tuchmacher- und Poststraße (Aug.-Bebel-Str.) wurden überspült. In vielen Schwarzer Häusern flüchteten die Einwohner auf den Dachboden. Die Fischermeister Sonntag, Kunze, Ertel und Kegel retteten sie aus ihrer misslichen Lage und brachten sie in sichere Häuser. Die "Entspannung" kam durch den Dammbruch bei Werkleitz, sonst hätte das Wasser die gesamte tiefer gelegene Calbesche Nordstadt von Ost nach West überflutet. In der Mühle stand es nahe der Oberkante des Geländers, in der Getreidemühle ("Mahlmühle") bis an das Türschloss.

1843

Sommerhochwasser, Sand für Mauer des neuen Friedhofs kann nicht dem Sandhof entnommen werden.

1845

(15. März) herrschen -9 Grad ("minus"). "Die Saale und die Elbe stehen 13 Wochen lang; das Eis ist 23 Zoll [etwa 60 cm] stark. Den 27. März löste sich die Saale." Am 31. März stand das Wasser 11 Fuß [etwa 3 m] über dem Grundzapfen [Normalmaß] und bis Schlossstraße Nr. 3. Bei Barby wurden am 1. April 19 Fuß 1,5 Zoll, in Calbe 11 Fuß 3 Zoll über "Normal" gemessen, am 3. April 19 Fuß 7 Fuß bei Barby. "Das Wasser stand in Calbe 4 Zoll weniger wie 1830, aber der Schade, den es anrichtete, ist in der Umgegend viel bedeutender, als damals."

[2. Juni] "Wieder großes Wasser. Bei Barby 11 Fuß 6 Zoll. Der ganze Thie ist überschwemmt; Schade über das schöne Gras! Alle Tage bis 14. August drei Wochen mußte man zu Kahn nach dem Hohendorfer Busch fahren."

1854

(13. Juli) Wasser in der Mühle fast 2 Meter hoch, Hochwasser auch an Oder, Elbe und Rhein, Ernteschäden.

1858

(Frühjahr) niedrigster Wasserstand seit 42 Jahren, (Juni, Juli) große Dürre, Saale kaum Wasser,

(4. - 6. August) "schrecklich großes Wasser", Busch und Hohendorfer Anger sind überschwemmt, Kartoffelernte nur unter großen Anstrengungen, Getreide verwüstet. 7./8. August fällt das Wasser wieder. "Ein trauriger Anblick! ... So wie hier, so überall und noch schrecklicher an der Elbe, Spree pp."

1893

(18. Juli) niedrigster Wasserstand der Saale seit Menschengedenken, großes Fischsterben.

Fischer vor dem Calber Wehr (Ausschnitt aus dem Merianstich von 1560)

Die Fischer aus der Bernburger Vorstadt hatten also außer ihrer ertragreichen Haupt-Profession, dem Fischfang, auch viel bei der mit der Saale verbundenen Umwelt-Vorsorge und der Begrenzung von Eisgang- und Hochwasser-Schäden zu tun. Nach Hertel mussten die Fischer "im Mittelalter nach Holz überfahren (1381) und noch später das Vieh nach dem Thie hinüber- und wieder herüberschaffen, ferner mußten sie in allen Dingen, die mit dem Wasser in Beziehung standen, dem Amte zu Gebote sein: sie mußten das Eis auf dem Damme [Wehr] aufhauen (1381 gab die Stadt eine halbe Mark den Fischern dy dat ys braken den winter over vor der molen), wofür sie vom Müller eine Mahlzeit erhielten, sie mußten Ertrunkene aufsuchen, die Tiefe des Wassers untersuchen, die Fähre erleichtern [die Überfahrt mit ihren Kähnen unterstützen - D. H. St.] und dabei auch andere Dienste tun" (Hertel, S. 254), wie es in der vom Administrator August, Herzog von Sachsen-Weißenfels (1614 - 1680) bestätigten "Ordnung und abgefassete Artikul der Fischer St. Nicolai-Brüderschaft zu Calbe" (vgl. unten) von 1669 festgelegt war (vgl. Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg, XXXI, S. 113). Im Frühjahr, meist zu Pfingsten, wurde das Vieh auf den für Calbe ungünstig jenseits der Saale liegenden Thie und im Spätsommer zu Bartholomäi (24. August) oder im Herbst zu Galli (16. Oktober) wieder zurück gebracht, wie alte Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert belegen. Am Sonntag nach Ostern war die Weidefläche auf dem Thie mit Pflöcken zugestockt und am Samstag vor Pfingsten eröffnet worden. Da es sich dabei um bewegliche Feste handelte, war auch der Weide-Saisonbeginn unterschiedlich gewesen. Obwohl Brücken und eine Transport-Fähre vorhanden waren, geschah das interessanterweise durch eine Trift, bei der die Tiere in Herden durch den Fluss schwimmen mussten, wobei die Fischer in Kähnen sozusagen als Aufsicht nebenher fuhren. Auch der Rat der Stadt und die Geistlichkeit setzten über. Dabei wurde von Rat und Geistlichkeit je ein Fass auf Kosten der Stadt, das so genannte Kuhbier, vertrunken (vgl. Hertel, S. 199 ff.). Es muss sich wohl um ein volkstümliches Weihe-Fest des Viehs und der Weide mit Prozessions-Charakter gehandelt haben, ähnlich dem süddeutschen Vieh-Alm-Auf- und -Abtrieb. Wahrscheinlich stammte diese Tradition der Viehtrift durch den Strom noch aus alten  Zeiten, als es noch keine Brücken gab. Später jedenfalls ließ man den Schwimm-Brauch fallen und benutzte die Brücken, bzw. nach deren Zerstörung (vgl. Station 6), die Fähre. Das Volksfest der Weideweihe aber wird auch dann noch weiter bestanden haben. Die Vorstädter hatten ursprünglich auf dem Bürger-Thie keine Weideberechtigung. Erst als die Genossenschaft der Fischer auch gegenüber den Städtern einen gewissen sozialen Aufstieg schaffte, etwa zu Beginn der Neuzeit, durften die Vieh besitzenden Familien der Bernburger Vorstadt dieses auch  zahlenmäßig begrenzt (2 Kühe oder 20 Schafe) gegen Entrichtung eines Weidegeldes auf den Thie bringen. Seit dem 17. Jahrhundert ist das belegt (vgl. Hertel, S. 200).

 

Vier der sechs Fischermeister der Nicolai-Brüderschaft, von rechts nach links: David Kegel, Oertel, noch einmal Kegel, Sonntag (nach: Heimatstube-Archiv)

Nun war oben schon wiederholt von einer Brüder- oder Genossenschaft der Calber Fischer die Rede.

Was hatte es mit dieser auch für die Konsolidierung und Emanzipation der Vorstadt-Fischer so wichtigen Gemeinschaft auf sich?

Am 20. März 1439 schlossen sich 6 Fischer aus der Bernburger Vorstadt, die Fischer und Fischerknechte Claus Ristorp, Hans Scheffer, Hans und Heine Griptouw (Greifzu), Heine Sachse und Kersten Zimmermann zur "Brüderschaft St. Nicolai" zusammen. Diese bemerkenswerte Vereinigung verdient es, näher betrachtet zu werden, denn sie schaffte es, bis 1945 zu überdauern, obwohl alle älteren kirchlichen Vereinigungen, die noch aus der katholisch-päpstlichen Zeit stammten, während der in Calbe sonst konsequent durchgeführten Reformation geschlossen und verboten wurden. Und diese Brüderschaft war vordergründig eine religiöse Angelegenheit gewesen, die sich dem Patron der Seefahrer, Kaufleute, Apotheker, Bäcker und Kinder, dem heiligen Nicolaus  unterstellt hatte. Die St.-Nicolai-Kirche lag aber innerhalb der Stadt (vgl. Station 10) und war in der Zwischenzeit die Kirche des Heilig-Geist-Stiftes geworden. So nannte man sich denn auch die "S. Nicolai-Brüderschaft des armen heiligen Geistes", hatte aber in der Bernburger-Vorstadt-Kirche St. Laurentii einen eigenen geweihten Altar St. Nicolai. Es kann aber auch sein, dass die Fischer sich zuerst um die St.-Nicolai-Kirche von Hohendorf zusammengeschlossen hatten, die trotz der Wüstung des Dorfes noch 1472 mit einem Pfarrer ausgestattet war (vgl. Station 22). Diese Kirche wurde erst um 1650 abgetragen. Die Gründung einer religiösen Gemeinschaft der Fischer mit wirtschaftlichem Hintergrund in einer Zeit, in der nahezu alle Menschen in spirituellen Dimensionen dachten, war ein kluges Unterfangen, das auch in den nächsten Jahrhunderten seine Früchte tragen sollte (s. unten).

In der Urkunde heißt es, dass die Brüderschaftsmitglieder vierteljährlich für alle Menschen, insbesondere für ihre verstorbenen Brüder Seelenmessen lesen lassen wollten. Auch die Frauen der Brüder, Schwestern genannt, waren in diesen Bund einbezogen. Wer als Fischer oder Fischerknecht in die Gemeinschaft eintreten wolle, solle vor dem erzbischöflichen Vogt und den Vorstehern der Brüderschaft geloben, mindestens ein Jahr in der Bernburger Vorstadt zu wohnen. Alle "Mitgliedsbeiträge" bezogen sich auf religiöse Dinge, z. B. waren es Kerzen für die Kirche, Groschen für das Messe-Lesen u. ä. In jedem Jahr wurden zwei Vorsteher gewählt, die dem Pfarrer und den vorherigen Vorstehern Rechenschaft ablegen mussten. Überschüsse der Brüderschaft sollten für die Ausgestaltung der Gottesdienste verwandt werden. Zur Bekräftigung hatten die Urkunde mit ihren Siegeln versehen: Johann Kothdingk, Propst zu Gottesgnaden, Johann Gerdemann, Pfarrer zu Calbe, und der Vogt Dietrich Stupicz.

Siegel des Klosters "Gottes Gnade" mit dem Bild des Heiligen Victor (vgl. Station 12) und der Umschrift "Victor dux gloriosus" (Der ruhmreiche Führer Victor) aus der Lade der Nicolai-Brüderschaft, möglicherweise von der nicht mehr vorhandenen Gründungsurkunde von 1439 (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Gleich am nächsten Tag, dem 21. März, bestätigte der Magdeburger Erzbischof Günther II., Graf von Schwarzburg (Regierung 1403 - 1445, vgl. Station 11)), welcher sich gerade in Gottesgnaden aufhielt, die Fischer-Brüderschaft und verlieh ihnen ausdrücklich das Recht, andere Mitglieder nach eigener Wahl und mit Einverständnis des erzbischöflichen Vogtes in ihren Bund aufzunehmen (vgl. Reccius, S. 25f.). Dieser Erzbischof, der eher durch seine Realpolitik als durch seine Spiritualität auffiel, wusste wahrscheinlich, was es bedeutete, den hörigen Fischern aus einer Dorfgemeinde zu gestatten, eine geistlich verbrämte und durch den Landesherrn geschützte Fischer-Genossenschaft zu gründen. Und die Fischer hatten die günstige Gelegenheit genutzt, ausgerechnet Günther II., der sich auch gerade in Gottesgnaden aufhielt, ihr Gründungsanliegen zu übermitteln. Vom Rat der Stadt ist nach Urkundenlage wohl keine Unterstützung dazu gekommen, man sah in der Brüderschaft eher die Entstehung einer Vorstadt-Innung, und damit einer Konkurrenz. Tatsächlich lief das Ganze auch in diese Richtung. Da die Fischerbrüder das Lehen des Landesherren besaßen, durften sie logischerweise nur in erzbischöflichen Gewässern fischen. Das aber war bei den damaligen feudalen Besitzverhältnissen ein äußerst schwieriges Unterfangen, denn die Lehens-Landkarte war ein bunter Flicken-Teppich. So passierte es immer wieder, dass die Brüderschafts-Fischer in die Gewässer des Grafen von Mühlingen und Barby oder flussaufwärts in die askanischen Fanggebiete gerieten (vgl. Hertel, S. 248 f.).

Blick von der Kleinen Fischerei nach Südosten auf die Saale

Am 16. Juli 1455 gab es einen gerichtlichen Vergleich, der den Fischern des Erzbischofs gestattete, bis zur Elbe auch in Barbyer Gebiet zu fischen, aber schon in einer Bestimmung vom 18. Oktober 1483 wurde das wieder erheblich eingeschränkt. In einem neuen Vertrag vom Februar 1503, diesmal zwischen dem Erzbischof Ernst, Herzog von Sachsen (Regierung 1476-1513), seinem Bruder, dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen, und dem Grafen Burchard von Barby wurde festgelegt, dass die Fischer von Calbe mit großem Fanggerät bis zum Krummling (- wahrscheinlich zwischen Trabitz und Werkleitz -), mit kleinem Gerät bis zur Elbe fischen durften. Dafür sollten sie "Dienstfische" abliefern, wofür man sie im Schloss Rosenburg nach altem Brauch mit Brot und Bier bewirten wollte. Aber die Streitigkeiten zwischen der Calber und Barbyer Fischerei hielten weiter an, auch als das ehemalige Grafschaftsgebiet bereits unter kurfürstlich-sächsischer Herrschaft stand. Der Vertrag vom 7. Juni 1667, der die Grenze zwischen Tornitz und Trabitz an einem großen, nicht mehr vorhandenen Rüsterbaum festlegte, wurde von den sechs Calbeschen Fischermeistern Georg Dingel, Hans Zehlung, Martin Huffner, Peter Nedigke, Jacob Kohl und Christian Merck geschlossen. Dingel hatte für die anderen fünf Brüder unterschrieben, da diese nicht des Schreibens kundig waren. Auch saaleaufwärts gab es Zwistigkeiten mit der anhaltinisch-askanischen Herrschaft. In der Ordnung der Fischerbrüderschaft von 1669 wurde daher fixiert, dass die Calbeschen Fischer bis zur Wüstung von Jehser (- kurz vor Nienburg, also rund 1 km weiter südlich von der heutigen Siedlung "Jesar" -), die Nienburger Fischer im Gegenzug bis Wispitz fischen durften. Übertretung dieser Festlegung wurde mit Verlust des Kahnes und des Gerätes ("Zeugs") bestraft (vgl. ebenda, S. 250 ff.).

Seit dem 16. Jahrhundert ist von den "Garnherren" die Rede, womit wohl die sechs Fischermeister gemeint waren. Die geradezu peinliche Einhaltung der Zahl 6 hatte wohl mythisch-religiöse Hintergründe (- das Doppelte von 3 und die Hälfte von 12 -). Durch die Erblichkeit des Lehens blieben die Fischermeister-Familien über Jahrhunderte hinweg oft die gleichen. Die Gesellen hießen nicht mehr "Knechte" wie am Ausgang des Mittelalters, sondern wurden "Teilfahrer" genannt, weil sie für einen geringeren Teil des Ertrages mitfuhren. Jetzt wurde auch konsequent der Schritt von der Brüderschaft zur Innung getan. Am 13. Januar 1593 beschlossen die Garnherren, aus ihrer Mitte einen Obermeister zu wählen. (- Es soll aber einen noch älteren diesbezüglichen Beschluss gegeben haben -). Seit dem 26. 1. 1600 mischte auch schon der Rat der Stadt fleißig mit:

Die Fischermeister schlugen zwei Obermeister-Kandidaten vor, von denen der Rat einen auswählte, "jedoch, wenn sichs schicken will, nimmt man sie einen nach dem anderen". Wiederum schlugen die 6 Meister aus der Mitte der städtischen Ratsherren zwei Kandidaten für das Amt des Fischmeisters vor, von denen der Rat ebenfalls einen nach seinem Gutdünken auswählte. Der vorstädtische Obermeister galt dabei nur als Zugeordneter des patrizischen Fischmeisters (vgl. ebenda, S 252). Damit gab es zwei Aufsichtsführende, den Fischmeister (städtisch) und den Fischer-Obermeister (vorstädtisch). Und schon hatten die Ratsherren ein Standbein in einer Innung, die eigentlich Erbpächter des Schloss-Amtes als Rechtsnachfolger des Erzbischofs war. Andererseits handelte es sich ja um eine Innung, die als solche in den Kompetenzbereich der Stadt fiel. Nun wird auch klar, warum die Fischerbrüder unbedingt Vorstädter bleiben wollten: Nicht nur die günstigen Gegebenheiten in der Vorstadt-Fischerei waren es, sondern auch die Zugehörigkeit zum Schlossamt und damit zum Herrschaftsbereich des Landesherrn waren vorteilhaft. Man konnte die alten Rivalen Amt und Rat gegeneinander ausspielen und manchmal auch eigene Vorteile dabei erlangen (s. unten: "Fischerkrieg").

1593 wurde in vier Punkten festgelegt:

1. Der Herr Fischmeister Kämmerer Johann Rüde und sein Zugeordneter Fischer-Obermeister Thomas Raphun sollten mit Zutun der anderen Meister für allzeit gute Ordnung in der althergebrachten Brüderschaft sorgen, damit Einkommen, Recht und Gerechtigkeit vermehrt würden. Mitglieder, die Unfrieden säten, sollten sie bestrafen.

2. Der Zugeordnete sollte dafür sorgen, dass die Fischer bei großen Wasserfluten und Eisgang das Wehr, die Mühle und die Brücken beobachten und schützen sowie die Wassertore frei halten (vgl. oben).

3. Weiter sollte darauf geachtet werden, dass das Vieh bei der Trift sicher über die Saale gelangte (vgl. oben).

4. Nach Ablauf von drei Jahren musste Rechnung gelegt und die neuen Aufsichtsführenden bestimmt werden. Die Rechnungsprüfung geschah durch die Sechsmänner (vgl. Station 2).

Siegel des Administrators August von Sachsen-Weißenfels aus der Fischerei-Innungs-Lade (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

1647 hatten sich die 6 Meister ein Innungsstatut gegeben, dessen Urkunde aber Hertel um 1900 nicht mehr auffinden konnte. Die vom Administrator August, Herzog von Sachsen-Weißenfels (Regierung 1638 - 1680, vgl. Station 13), am 23. Oktober 1669 bestätigte "Ordnung und abgefasste Artikul der Fischer St Nicolai-Brüderschaft zu Calbe"  ging aber im wesentlichen auf diese zurück.

Das Siegel, welches sich die Innung anfertigen ließ, zeigte zwei gekreuzte Lachse, ein Ruder, daneben die Zahl 16 - 69 und in Umschrift: SI:[gillum] DER BRUDERS.[chaft] S. NICOL.[ai] VOR CALBE +   (vgl. Hertel, S.254 f.)

1672 legten die Innungs-Mitglieder darauf hin ein neues Meisterbuch an (s. Abb. weiter unten rechts).

Das "Unterschriften"-Siegel der Brüderschaft mit den Initialen der Mitglieder, wahrscheinlich aus dem 17. /18. Jahrhundert (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Die Innungsstatuten wurden am 4. Juni 1687 vom neuen brandenburgisch-preußischen Landesherrn, dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm, und am 1. August 1724 auch vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. bestätigt. Der knauserige Monarch hatte aber von den Fischern für diese Gefälligkeit 50 Taler in seine "Rekrutenkasse" gefordert. Die Fischer antworteten, dass sie zu arm seien, um eine solch hohe Summe aufzubringen, und boten dem "Soldatenkönig" stattdessen 25 Taler an. Und Friedrich Wilhelm gab sich nach einiger Zeit zufrieden (vgl. ebenda, S. 255).  Mit dieser Bestätigung war die Nicolai-Brüderschaft eine königlich-privilegierte Innung vor Calbe geworden, die ihren Sitz in einem Dorf hatte, in der aber die Ratsherren (Magistrat) aus der Stadt  mitbestimmten. Da waren Konflikte und Emanzipationskämpfe vorprogrammiert. Zuerst einmal wehrte sich die "Sechser-Riege" hartnäckig gegen das "Eindringen weiterer fremder Elemente" in ihren geheiligten und privilegierten Bund.

Die "Kleine Fischerei" führt vom hohen Ufer auf eine Landzunge hinab

Als 1755 der Fürst von Anhalt-Bernburg in absolutistischer Manier die gesamte Fischerei seines Territoriums den Fischern geraubt und seiner eigenen Herrschaft unterstellt hatte, baten die arbeitslosen Fischer Johann Martin Peau (bzw. Beau) und Jacob Frantz um Aufnahme bei den Nicolai-Brüdern. Die Sechser-Gemeinde der Fischermeister Valtin Zehling, Johann Tobias Dingel, Christian Kögel (bzw. Kegel), Paul Kuntze, Johann Michael Scheele und Johann Georg Hübner wehrte sich entschieden. Auch König Friedrich II. gab ihnen in einem Reskript vom 26. Mai 1756 Recht. Die Sechs pochten als Erbpächter auf ihr Privileg und das Statut mit der magischen Begrenzungszahl, außerdem, dass sie eine Hufe Ackerland zur gemeinsamen Nutzung erworben hätten u. a. mehr. Die zwei  anhaltinischen Bittsteller machten dagegen "geltend, daß sie die Fischerei vermöge ihrer besseren Einrichtungen mit besserem Erfolge betreiben würden und daß sie einen großen Fischhandel für die ganze umliegende Gegend, namentlich auch nach Anhalt und Sachsen, einrichten würden." Ihr Anliegen blieb jedoch erfolglos (vgl. ebenda, S. 255 f.). Dieser Vorgang ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, dass inzwischen das Innungs-Wesen zum Hemmschuh für die weitere ökonomisch-soziale Entwicklung geworden war. Was sich im Mittelalter als positive Errungenschaft der Städte herausgebildet hatte, war im beginnenden bürgerlich-kapitalistischen Zeitalter anachronistisch und reaktionär, weil freie Konkurrenz und Innovationen, wie sie beispielsweise die Bernburger Fischer in Aussicht stellten, rigide unterbunden wurden.

Nur einem Bernburger Fischer, Andreas Martin Sonntag, gelang 1780 das Kunststück, in die Nicolai-Brüderschafts-Riege einzudringen. Er hatte schon seit Jahren als Teilfahrer (Geselle) bei Fischermeister Hübner gearbeitet. Als sein Meister ohne Erben starb, erklärte sich Sonntag bereit, die Witwe Hübner zu heiraten, um in den Bund aufgenommen zu werden. Dabei hatte er Fürsprache vom Amtmann Starcke, und als er außer den üblichen Aufnahmegebühren noch ein "Geschenk" von 10 Talern in die Innungs-Kasse gegeben hatte, nahm man ihn auf. Die Sonntags blieben bis 1945 in der Erbpacht-Brüderschaft. 1790 tauchte ein weiteres neues Mitglied auf, Christian Oertel, dessen Nachkommen auch bis zum Ende der Brüderschaft im Bund waren (vgl. ebenda, S. 256). Es musste also inzwischen noch ein Fischermeister ohne Erben gestorben sein.

Nach der Innungs-Ordnung von 1669 neu angelegtes Meisterbuch (1672)mit den Meistern Martin Hübner, Jacob Kegel, Michael Neidhardt, dessen Sohn ... und ... Fabricius ... (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Siegel der kursächsischen Grafschaft Barby, bis zu deren Fluss-Grenzen die Calbeschen Nicolai-Fischer fischen durften (mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

Über die Fischerfamilie Kegel, die im 20. Jahrhundert, wahrscheinlich durch Sippenteilung, gleich mit zwei Fischermeistern im Sechser-Bund vertreten war, gibt es genealogische Unterlagen, die mir freundlicherweise von der Familie Steinhausen (vgl. Station 4) aus Schwerin zur Verfügung gestellt wurden. Diese Familie ist durch Heiraten im 19. Jahrhundert mit den Kegels verwandt. So ist es auch den überaus fleißigen genealogischen Forschungen der Familie Steinhausen in Verbindung mit der Familie Kegel sowie dem Sammler- und Forscherfleiß eines Kegel-Nachfahren, Herrn Steffen Held, zu verdanken, dass wir weitere Einblicke in die Ursprünge einiger Fischermeister der Nicolai-Brüderschaft erhalten können.

Fast so ähnlich wie in der Rahmenerzählung zu Theodor Storms "Schimmelreiter" hatte nach seinem eigenen Bericht Herr Herrmann Kegel eine Erzählung seines Urgroßonkels Simon Kegel in die Hände bekommen, die den Ursprung der Fischerfamilie in der Bernburger Vorstadt erhellen sollte. Danach war der erste Kegel hier ein flüchtiger Scharfrichter aus Rudolstadt, der eine Katharina (bzw. Katharine) von Heerstraße entführt hatte. Es ist aber möglich, dass das ein Lese-Fehler ist und mit "Heerstraße" der Fluchtweg gemeint war. Ein Bruder der Katharina soll auf der Suche nach der entführten Schwester auch bis Calbe gelangt sein, im Gasthof "Zum Goldenen Stern in der Schlossvorstadt abgestiegen, aber unverrichteter Dinge weiter gefahren sein. Katharina habe ihren Bruder vom Fenster aus sogar gesehen, sich aber nicht bemerkbar gemacht.  Auf alle Fälle sollen Nachkommen des jungen Ex-Scharfrichters Fischer in der Nicolai-Brüderschaft geworden sein. Ein Melchior Kegel (sen.), dessen Vater Mathes auch schon den Fischer-Beruf ausübte, muss um 1650 in den Sechser-Bund "eingedrungen" sein, denn er wird laut genealogischer Unterlagen als Fisch(er)meister bezeichnet. Er ist nur deshalb nicht in der Urkunde vom 18. Juni 1667 (s. oben) erwähnt, weil er schon am 24. September 1664 gestorben und sein Sohn Melchior (jun.), der 1713 urkundlich auftaucht (s. unten), noch nicht volljährig war. Es müssen also bei Minderjährigkeit von Erben durchaus Ersatzmänner bereit gestanden haben, um die geheiligte Zahl Sechs nicht zu unterschreiten. Melchior Kegel (jun.), der am 14. Juni 1725 starb, hatte es sogar mit dem "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. aufgenommen, als er diesem, zusammen mit Fischermeister Jürgen Kuntze, im Namen der Brüderschaft die Senkung der Erbpacht um 50% !!! von 200 auf 100 Taler abtrotzte. Beide hatten in einem Schreiben an den König erklärt, dass die Fischer-Brüder auf keinen Fall mehr als 100 Taler aufbringen zu könnten, und Friedrich Wilhelm I., weil niemand sonst das anstrengende Gewerbe übernehmen wollte, war schließlich am 28. März 1713 mit den 100 Talern Erbpacht-Gebühren einverstanden (vgl. Hertel, S. 257). Später ist die Pacht-Taxe sogar noch auf 60 Taler gesenkt worden. Der "Christian Kögel" in der Urkunde von 1756, der sich zusammen mit seinen Innungs-Brüdern weigerte, die zwei anhaltischen Fischer aufzunehmen, ist allem Anschein nach laut Unterlagen der Sohn Melchiors (jun.), George Christian (geboren am 13. 8. 1696 und getraut mit Marie Magdalena Breitschu am 11. 1. 1735). Dessen Sohn Christoph Friedrich (* 16. 2. 1742, verheiratet mit Dorothea Margaretha Uder) erbte den Fischermeister-Posten, und dessen Sohn Simon Kegel, verheiratet mit Dorothea Isensee, , Herrn Herrmann Kegels Urgroßonkel (vgl. oben), war wiederum Erbe des Lehens. Er bekam zu seiner Hochzeit 1797 das Haus Bernburger Straße 52 geschenkt. Es muss damals so ziemlich das letzte im unterwällischen Bereich gewesen sein. Der Sohn Ernst seines Bruders Jacob wurde auch Fischermeister. Verzweigte sich hier das Lehenserbe auf zwei Kegels, wie wir es dann im 20. Jahrhundert noch sehen?

 

Die Landzunge der Fischerei, wo früher auch Transportschiffe anlegten

Wie dem auch sei! Diesen arbeitsamen, wettergegerbten Männern der Fischerei-Brüderschaft vor  Calbe fiel auch die Stabilisierung ihrer Vereinigung unter den Bedingungen des Innungswesens nicht in den Schoß. Sie hatten im Kampf um ihre Unabhängigkeit und um wirtschaftliche  Prosperität mehrfach gerichtlichen Streit. Auch um die Rechte des Fischens bei der Mühle gab es ein Gerichts-Verfahren, das der Erbpacht-Müller 1711 gewann. Er durfte am Wehr, am später verbotenen "Lachsfang" (vgl. Station 3) und einem Teil des Mühlgrabens fischen. 1704/05 kam es sogar zum "Lachs-Krieg" mit dem Rat der Stadt (Magistrat).

Alles fing ganz gemäßigt an. Am 1. November 1664 hatte der Stadt- und Landrichter Fiedler befohlen, die Fische nicht mehr in der Stadt von Haustür zu Haustür anzubieten, sondern auf dem Markt in Kästen zum Verkauf auszustellen, dabei sollte das Schloss-Amt als Vertreter des Landesherrn das Vorkaufsrecht haben. Eine vernünftige Idee. Da meldete sich das Amt am 8. April 1695, die Fische sollten auf Amtsgebiet, also im Schloss verkauft werden. Der Rat (Magistrat) witterte sogleich die Möglichkeit der Preiswillkür durch die Amtsvertreter, sandte am 22. April eine Beschwerde an die Regierung - und bekam Recht. Nun betrieb der Rat selbst die Preiswillkür, aber zu Gunsten der Bürger, nicht der Fischer. Als Fischermeister Zehling für das Pfund Lachs sechs Groschen 6 Pfennige verlangte, während der Rat dafür nur 4 Groschen festgelegt hatte, wurden ihm zur Strafe 2 Lachse konfisziert, einer für das Hospital und einer, der gleich für die Stadt-Kasse verkauft wurde.

Eintrag im neuen Meisterbuch von 1672 auf Seite 2

(angepasste Diktion und heutige Rechtschreibung):

"Anno 1674, den 22. September, wurde Meister Melchior Kegel von der Brüderschaft St. Nicolai vor öffentlicher Lade zu einem Meister und Mitglied erklärt und angenommen. [Er] hat auch seine Meisterstücke ohne Tadel verfertigt [sowie] 3 Taler in die Lade nebst 3 Groschen Schreibgebühr und ein rechtmäßige[s] Meisteressen richtig abgestattet."

(Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Steffen Held aus Hamburg)

"Und als Zehling deswegen auf den Rat schimpfte, wurde er in den Hexenturm gesetzt und mußte Urfehde schwören (4. August 1702)." (Hertel, S. 258). Er kam also nicht, wie gewöhnlich, in den "Stock" (vgl. Station 2), sondern wie ein Schwerverbrecher in den Hexenturm. Anschließend wurde ihm die s. g. Urfehde abgepresst, das heißt, er musste schwören, sich nicht für die erlittene Schmach am Rat zu rächen. Am 12. Juni 1704 weigerten sich die Fischer, das Preisdiktat des Rates der Stadt anzuerkennen. Kompromissvorschläge seitens des Amtes und und der Stadt wechselten sich ab. Aber die Fischerei-Brüder pochten hartnäckig auf ihre königlichen Privilegien. Als der Rat der Stadt am 19. Juni 1704 ganz und gar gebot, alle Fische auf dem Markt anzubieten, kam es zur Verhandlung vor der königlichen Kammer in Halle, und die Fischer bekamen "den Bescheid, daß sie ihre Fische verkaufen könnten, wo und wie sie wollten." (Hertel, S. 259). Nun waren die Experten des Rates gefragt, und sie fanden, was sie brauchten: Im § 2 des Brüderschafts-Innungsstatutes von 1647, das die Fischermeister wahrscheinlich selbst nicht mehr kannten und wohl auch nicht lesen konnten, stand ganz eindeutig, dass sie verpflichtet waren, ihre Fische zuerst in Calbe auf dem Markt anzubieten. Außerdem gab es auch noch eine Bestimmung des "Großen Kurfürsten" vom 19. Februar 1698 ( am 26. 6. 1702 erneuert), dass auch die nach der "Herrenzeit" (Lichtmess 2.2. bis Walpurgis 30.4.) gefangenen Fische auf den Markt zu bringen und zu versteuern wären. Als die Fischer nach diesen klaren Beweisen noch nicht klein bei geben wollten, griff man zur Gewalt. Einige Fischermeister wurden ins Gefängnis geworfen, um sie zur Aufgabe ihrer starren Haltung zu zwingen. Am 25. April 1705  beschwerte sich das Amt, dass drei bewaffnete Exekutoren die Fischermeister ins Rathaus abgeführt hätten, obwohl diese doch Untertanen des Schloss-Amtes wären. Trotz Androhung schärferer Gewalt blieben die Fischer-Brüder standhaft. Am 11. Mai schickte der Rat einen Korporal mit drei Soldaten und einem Visitator, welche die Mitglieder der Fischerbrüderschaft mit geladenen Gewehren "per force" (mit Gewalt) aufs Rathaus schleppten. Kein Ergebnis. Als Schikane sollten die Soldaten, "die in den Behausungen der Fischer Fressen und Saufen verlangt hatten", so lange dort bleiben, bis die Brüder entnervt aufgaben. Nun rückte der Amtsdiener mit acht Vorstädtern an, welche die Soldaten mit Mistgabeln und Knüppeln vertrieben. Als die Exekutoren mit 30 Musketieren zurückzukehren drohten, kam es schließlich zum Kompromiss in einer Verhandlung am 23. Mai (Protokoll 25. 5. 1705): Der Rat wollte keine Preisvorgaben mehr machen, dagegen sollten "die Fischer die Lachse, ehe sie sie an Fremde verkaufen, zwei Stunden auf öffentlichem Markte feil halten." (Hertel, S. 260 f.).

 

Auf den gegenüber liegenden Bürger-Thie mussten die Fischer das schwimmende Vieh während der Viehtrift von ihren Kähnen aus dirigieren (s. Text oben)

Einen Einblick in die lokalen Gegebenheiten und die Tätigkeiten der Calbeschen Fischer im 19. Jahrhundert gewährt die Novelle "Hass" (s. unten) des in Calbe geborenen Schriftstellers Max Sidow (1897-1969):

"Friedrich hatte am Abend von seinem Vater den Auftrag erhalten, einige beschädigte Fischreusen, die flußabwärts bei dem Dorfe Gottesgnaden ausgelegt waren, zurückzubringen, damit sie ausgebessert werden konnten. Da niemand sonst verfügbar war, sollte er allein fahren.
Anderntags brach er vor Morgengrauen auf, ging in den schweren Stiefeln, die man mit Stroh ausstopfen musste und bis über die Oberschenkel ziehen konnte, die wenigen Schritte bis zur Saalmauer, kettete den ungefügen Kahn los und fuhr quer über den Fluß zum sogenannten Mönchsheger, einem vorspringenden Teile des gegenüberliegenden Ufers, auf dem die Fischer ihre Netze zu trocknen pflegten. Eintönig rauschten die Wasser über das große Wehr. Er kannte diese gleichförmige Melodie von Kind auf, man hörte das Brausen selbst im Hause noch, es war sein Wiegenlied gewesen, und auch jetzt noch lauschte er vor dem Einschlafen auf diesen schweren, unendlich beruhigenden Takt. Nachdem er eine Weile gestanden und gehorcht hatte, sprang er mit großen Sätzen, als gälte es die Versäumnis durch Eilfertigkeit wieder einzubringen, über die Halbinsel zu der unterhalb des Wehrdammes befindlichen Anlegestelle. Dort bestieg er einen zweiten Kahn und ruderte kräftig stromab bis zu den ruhigeren Gewässern und Buchten, wo die Reusen lagen. Mit dem langen Fischhaken suchte er den Grund ab, bis er das Seil gefunden hatte, das eine Anzahl der steinbeschwerten Fanggeräte miteinander verband, und begann darauf, die kunstvoll geflochtenen Weidenkörbe einen nach dem andern aufzuholen und zu leeren. Bald hatte er die beschädigten Reusen herausgefunden und losgeknüpft. Die andern legte er eine kurze Strecke stromab wieder aus, und während die starken Aale sich auf dem feuchten Boden des Kahnes sich schlängelten, ruderte er langsam zurück.
Er liebte diese stillen Fahrten, auf denen ihn niemand begleitete. Dann grübelte er, während sein Ruder in das nachtschwarze oder dämmerungsfahle Wasser tauchte, das mit kleinen Wirbeln dem Druck des hölzernen Blattes folgte, oder wenn er das Rohrseil durch die Hände gleiten ließ, die Reusen aus dem schlammigen Grunde heraufzog und sie eine Weile noch des anhaftenden Schmutzes wegen im Wasser schwenkte, bevor er sie in den Kahn hob. Trug er aber den gefüllten Fischkasten die wenigen Schritte über den knirschenden, von Muscheln durchsetzten Sand zum Mönchsheger hinauf, dann war es ihm stets, als müsste er nun erst im Nachsinnen verweilen und seine Gedanken zu noch tieferer Innerlichkeit und Versenkung sammeln. In seinem Rücken war die Sonne aufgegangen, bestrahlte die weißen Schäume der über den Damm brausenden Saale und durchglühte sie mit perlmutternden Schimmern, tauchte die Stadt am gegenüberliegenden Ufer in goldrotes Frühlicht und spiegelte sich in den blitzenden Fensterscheiben. Drüben in der Mühle war dann schon tätigstes Leben, stumm ragte daneben der grau verwitterte Hexenturm, und weiter nach Süden, fast schon dort, wo die hohe Saalmauer zum Ziegelbau des Stadttores aufstieg, lag das Haus, auf das Friedrich, wenn er allein vom Fischfang kam, lange zu schauen pflegte; war er aber in Gegenwart der andern, so wagte er nur, es mit einem scheuen Blicke, wie zufällig, zu streifen.
An diesem Morgen hatte er keine Zeit zum Grübeln und Verweilen. Als er, zurückkehrend, unterhalb des Wehres anlegte, stand da schon sein Vater, der ihn ungeduldig erwartet hatte. Ihm reichte er die beschädigten Reusen und das Netz mit den Fischen hinüber, sprang dann an Land und schloß den Kahn fest. Gemeinsam trugen sie die Geräte hinauf. Oben gab es noch andere Arbeit. Einige Netze und Garnsäcke, die dort zwischen Pappeln und Weiden zum Trocknen hingen, sollten abgenommen und verstaut werden…" (Sidow, a. a. o., S. 29 ff.)

 

1858 endete hier in Calbe und in Preußen die Hörigkeit der Fischer und damit ihr Erbpacht-Verhältnis. Obwohl sie nun juristisch freie "Handwerker" mit einem freien Besitz als Eigentum waren, blieben die Fischer bei ihrer alten Form der Sechser-Brüderschaft. 1945 nach Kriegsende wurde die "Fischer-Brüderschaft St. Nicolai zu Calbe" nach 506 Jahren ihres Bestehens aufgelöst und geschlossen. Ein wesentlicher Teil der Calber Geschichte und Tradition war zu Ende. Seit den 1920er und -30er Jahren war auch ohnehin die Saale-Fischerei immer schwieriger geworden, weil durch die Industrieabwasser von Leuna-Merseburg nicht nur die Fische starben, sondern der überlebende Rest auch noch vergiftet war. Derzeit erholt sich die uralte "Salawa" langsam wieder.

 

Der Hamburger Schriftsteller Max Sidow hat 1927 den Fischern von Calbe ein bleibendes literarisches Denkmal gesetzt.

 

Max Sidow (1897 – 1965), der in Calbe geboren wurde und später in Hamburg lebte, machte sich hauptsächlich als Lyriker und Essayist einen Namen, veröffentlichte aber auch Kurzprosa. 1927 erschien von ihm bei Reclam ein Band mit fünf Novellen, deren längste und auch eindrucksvollste den Titel „Hass“ trägt.
Das Hauptmotiv der nach der Diktion der Meister des 19. Jahrhunderts gestalteten Novelle ist das Scheitern zweier Liebender an der - mehr einseitigen - unversöhnlichen Zwietracht der beiden Herkunfts-Familien. Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ hatte wohl ein wenig im Hintergrund Pate gestanden.
Max Sidows Sprachgestaltung und der episch-dramatische Aufbau des Werkes erinnern an die Paradigmen der Stormschen und Kellerschen Novellen.
Als geschichtlich-soziale Szenerie wählte der Schriftsteller das Calbesche Fischermilieu des 19. Jahrhunderts, wobei er tatsächliche Ereignisse, und zwar aus dem eigenen Verwandtenkreis, in abgewandelter Form zu einer "unerhörten Begebenheit" verdichtete. Um die noch existierenden beteiligten Familien nicht zu brüskieren, benutzte er die urkundlich authentischen Namen bekannter Calbenser vergangener Jahrhunderte. Nur die Figur des Pastors Scheele (vgl. Stationen 5 und 9) als gütiger, weiser Schlichter wurde historisch-real übernommen. Nach einer schriftlichen Auskunft von Herrn Hermann Kegel (Celle) an Frau Elke Steinhausen aus Schwerin (Brief vom 12.4.2003) dienten für die drei Raphuhn-Brüder der Novelle der 1858 dreizehnjährig an Hirnhautentzündung verstorbene Heinrich Friedrich David, der 1850 im Alter von 16 Jahren ertrunkene Gottlieb Friedrich und der spätere Fischermeister Wilhelm August Daniel Kegel (1849-1917) als Vorbilder. Der Schriftsteller war ein Enkel des letztgenannten. Max Sidows Mutter, die 1875 geborene Martha Luise Kegel (gestorben 1946), heiratete – wahrscheinlich 1896 – Hans Sidow aus Zeitz.
Dass die Handlung jedoch zum großen Teil eine Fiktion des Schriftstellers ist, kann man schon an den völlig „unpassenden“ Lebens-Daten der Vorbilder zu denen der Novellen-Protagonisten ersehen.

 

Hier eine kleine Übersicht über den Inhalt der Novelle:

 

Das Werk beginnt mit der Vorstellung des Ereignisses, das den sich steigernden Hass auslöste.

„In C., einem an der Saale gelegenen Landstädtchen, kam im Jahre 1830 der dreizehnjährige Sohn des Fischermeisters Zacharias Raphuhn auf sehr merkwürdige Weise ums Leben. Melchior, so hieß der Junge, hatte sich in der Schule, während der Rechenstunde, ungebührlich laut mit seinen Nachbarn unterhalten, war daraufhin von dem Lehrer aufgerufen worden und hatte, als er auf die an ihn gestellte Frage keine Antwort wusste, vor die Klasse treten müssen, um an der Wandtafel die Aufgabe vorzurechnen. Doch auch hier vermochte er das keineswegs schwierige Exempel nicht zu bewältigen. Noch verwirrt von dem unerwarteten Anruf, nicht fähig seine Gedanken zu sammeln und seinen schwerfälligen Geist zu einer ihn überraschenden Wendung zu zwingen, schrieb er zwar mit ungelenker Hand die Zahlen der Aufgabe an das schwarze Brett, als es jedoch an die Lösung gehen sollte, begann er umständlich zu stottern und schwieg endlich verstört. Der Lehrer, Konrektor Kalow, über die Unaufmerksamkeit und, wie er meinte, Dummheit des Schülers aufgebracht, trat an ihn heran und versuchte durch unsanfte Rippenstöße den Unbeholfenen anzuspornen. Da aber die erwünschte Wirkung ausblieb, und der Junge plötzlich in trotziger Auflehnung das Kreidestück hinlegte und sich die von den aufmunternden Püffen misshandelte Seite rieb, verlor der leicht erregbare Pädagog die Beherrschung. In einem Anfall von Wut packte er Melchior am Kragen und stieß dessen Kopf mehrere Male sehr heftig gegen die Wandtafel. Diese Züchtigung begleitete er mit Worten wie etwa: >>Ich werde dir schon helfen … Mit deinen Nachbarn kannst du reden und hier vorn spielst du die dumme Jule! Da – dein Dummkopf muß erst durcheinander geschüttelt werden, damit die Dummheit herausfällt. Man muß dich mit der Nase daraufstoßen, eher begreifst du es nicht.<< Melchior ertrug diese strafende Gewalt ohne einen Laut auszustoßen, aber als ihn der Konrektor dann losließ, begann er zu taumeln, röchelte, als müsste seine Lunge sich mühsam den Atem erkämpfen, und sank schließlich um.“ (Sidow, Max, Haß, a. a. O., S. 7f.)
Der erschrockene Lehrer lässt den Jungen, als sich auch noch Erbrechen einstellt, nach Hause bringen. Ein herbei gerufener Arzt, der eine schwere Gehirnerschütterung feststellt, vermag keine Hilfe zu bringen. Als der schuldbewusste Konrektor den verunglückten Jungen besuchen will, ist dieser bereits tot, und der vor Zorn „völlig verwilderte Vater“ jagt den Lehrer davon.
„Dieser Vorfall, der in der kleinen Stadt beträchtliches Aufsehen hervorrief, begründete den Haß der Familie Raphuhn auf den Konrektor, einen Haß, der viele Jahre in unverminderter Heftigkeit anhielt und noch durch den Umstand vermehrt wurde, dass die Tat des unbeherrschten Erziehers keine entsprechende Sühne fand.“ (Ebenda, S. 9)
In der Folgezeit findet ein Kleinkrieg Zacharias Raphuhns gegen den Konrektor statt, der auch einer gewissen Komik nicht entbehrt. So verbietet der Fischermeister seinen Genossenschafts-Kollegen, dem Feind die begehrten Lachse zu verkaufen. Als sich Kalow die Fische vom Saalemüller beschafft, lacht die ganze Stadt über den verhinderten Boykottierer. Natürlich rächt sich die Fischergemeinschaft am Saalemüller, indem sie sich im Winter weigert, die Mühlengerinne vom Eis zu befreien.
Inzwischen wachsen die zwei verbliebenen Raphuhn-Söhne heran, „die sich in Charakter und Lebensauffassung außerordentlich voneinander unterschieden“, der starrsinnige, verschlossene, schwerfällige und unflexible Heinrich und der 5 Jahre jüngere Friedrich (Fritz), ein heiterer, freundlicher, empfindsamer und aufgeschlossener Bursche mit regem Geist. Nach dem Tod Melchiors wird der noch schulpflichtige Fritz aus der Schule Kalows genommen und zu Pfarrer Scheele geschickt, der einige Schüler auf das Gymnasium vorbereitet. Als der wendige Junge dort zu den besten Zöglingen gehört, wünscht Scheele, dass Fritz die „höhere Schule“ in Magdeburg besucht. Der Vater lehnt das jedoch schroff ab. Fritz muss bei dem Vorsteher der Fischereigenossenschaft „St. Nicolai“ Klaus Ristorp in die Lehre gehen und wird bei diesem Teilfahrer, später unter seinem Vater und Bruder Fischerknecht. Anfänglich sieht es so aus, als wäre der Hass des Vaters auf beide Söhne übergegangen, denn auch Fritz spielt dem Konrektor, der nicht mehr sein Lehrer ist, manchen bösen Streich. Aber mit zunehmender Reife lehnt er das fade Gefühl als primitiv ab. Dafür steigert sich Heinrich um so mehr in die Feindseligkeit und übertrifft darin bald sogar seinen Vater. Der ältere Bruder verlobt sich mit Marie Klein, der klugen, sensiblen und heiteren Tochter eines Ackerbürgers. Schon als Kinder haben die Fischerknaben Heinrich und Fritz mit zwei Stadtmädchen am Saalestrand auf dem so genannten Fischereianger gespielt, mit eben jener Marie und ihrer Freundin Luise, der Tochter des Konrektors. Als Sechsjähriger hat Fritz einmal der vierjährigen Lehrertochter das Leben gerettet.
Die Kalows haben ihr Haus an der Saalemauer innerhalb der Stadt, wo die wie Schwalbennester über der Saale hängenden Erker auch Klein Venedig genannt werden, unmittelbar am südlichen Stadttor. Das neu erbaute stattliche Haus der Raphuhns, das von dem bescheidenen Wohlstand des Fischermeisters zeugt, steht in der so genannten Bernburger Vorstadt an der Chaussee (heute: Bernburger Straße Nr. 19) fast gegenüber der schmalen Gasse „Kleine Fischerei“.
Zufällig sieht der 21jährige Friedrich nach mehr als einem Jahrzehnt die 19jährige Luise Kalow bei seiner künftigen Schwägerin wieder. Die „sanfte Schönheit“ und Fritz, der Liebling der Calbeschen Mädchen, verlieben sich ineinander. Natürlich müssen sie sich in der folgenden Zeit in aller Heimlichkeit treffen.
Als Vater Zacharias das Paar in der Kirchgasse beim heimlichen Plausch erwischt, ist er so schockiert, dass er Fritz beinahe erwürgt. Bald darauf sieht der alte Raphuhn beim Arbeitseinsatz der Fischer auf dem Mönchheger gegenüber Klein Venedig, wie Fritz die am Fenster stehende Luise zärtlich grüßt. Er hebt, außer sich vor Wut, das schwere Ruderblatt und ist drauf und dran, den Sohn zu erschlagen. Der Anblick des Sohnes, der ruhig und mit tief traurigem Blick den tödlichen Schlag erwartet, lässt den Vater erstarren.
Seitdem verfällt Zacharias Raphuhn zusehends, und die Mutter verkümmert vor Gram.
Nach dem Tod des alten Raphuhn übernimmt Heinrich seine Meister-Position in der Sechser-Gemeinschaft, und Fritz wird sein Knecht.
Ein Jahr später heiratet Heinrich seine Verlobte. Durch diese Ehe scheint der ältere Bruder etwas aufgeschlossener und heiterer zu werden. Seine Zwangsvorstellung, der Erbe und Bewahrer des alten Familien-Hasses zu sein, bleibt jedoch. Versöhnungsversuche Maries enden mit einem heftigen Wutausbruch des neuen Sippenoberhauptes. Als Heinrich, dem Gespött der Leute zum Trotz, seinem Bruder Fritz immer intensiver nachspioniert, wendet dieser sich in seiner Not an den alten verehrten Lehrer Scheele und erbittet Rat und Hilfe. Pfarrer Scheele versucht sowohl Heinrich Raphuhn als auch Lehrer Kalow in vertraulichen Gesprächen zu Versöhnungsschritten zu bewegen – vergeblich. Der 22jährige Fritz bittet sogar einseitig den Lehrer, der seinen Bruder auf dem Gewissen hat, um Verzeihung für den ihm von seiner Familie zugefügten Schaden. Kühl und „mit fast höhnischer Miene“, von oben herab nimmt Kalow die Entschuldigung entgegen.
Fritz erwägt, aus dem Machtbereich des älteren Bruders wegzukommen und woanders eine neue Existenz aufzubauen.
Schwägerin Marie, die sich aufopfernd für die beiden Liebenden einsetzt, kann ihre eigene immer stärker werdende Zuneigung zu Fritz kaum verheimlichen.

Der strenge und lange anhaltende Winter 1844/45 (s. Tabelle oben) bildet den historisch-realen Hintergrund für den zweiten Teil der Novelle, in dem sich die Handlung zuspitzt und auf die – allerdings katastrophale - Lösung des Konfliktes zu steuert.
Nach altem Brauch müssen die Calbeschen Fischer bei starkem Frost das Wehr und die Mühlengerinne (vgl. Station 3) eisfrei halten. Für die harte und lebensgefährliche Arbeit bedankt sich der Saale-Müller traditionell mit einem Festgelage. Bei diesem „Fastnachtschmaus“ behauptet ein angetrunkener Fischer, Friedrich Raphuhn und Luise Kalow am Mägdesprung, einem erhöhten Saaleufer im Norden vor der Stadt (s. Station 12), gesehen zu haben. Tatsächlich haben sich die beiden Liebenden schon seit einiger Zeit diesen ca. 2 Kilometer vor dem Stadtkern liegenden, verschwiegenen Platz für ihre heimlichen Treffen ausgewählt. Die Situation ist für Fritz äußerst bedrohlich; diesmal ist es nicht der Vater, sondern der berauschte Bruder, der ihn mit einem großen Bierseidel zu erschlagen droht. Erst die ruhige Bemerkung des alten Ristorp, das sei nicht Fritz, sondern der junge Lehrer Schröder gewesen, der um Luise seit einiger Zeit werbe, lässt die Lage sich entspannen.
Die beruhigenden Worte des Vorstehers haben zwar dem jungen Protagonisten das Leben gerettet, zugleich aber den Keim des Zweifels und der Eifersucht in seine Seele gepflanzt. Fieberhaft sucht er eine Unterredung mit Luise. Diese gesteht ihm, dass Lehrer Schröder ihr zwar den Hof mache und ihr Vater sie zu einer standesgemäßen Verlobung dränge, sie aber strikt abgelehnt habe. Luise versichert Fritz, dass sie nur ihn liebe, macht ihm aber auch klar, dass aus einer Ehe nur etwas werden könne, wenn er eine eigene wirtschaftliche Existenz gegründet habe, denn zur Zeit sei er nichts anderes als der Knecht seines Bruders. Es dauert einige Zeit, bis Friedrich erkennt, dass ihn, den einst Tatkräftigen und Unternehmungslustigen „ der Haß des Vaters und des Bruders… zur Schwermut, zur Untätigkeit und Mutlosigkeit verwandelt“ hat, „so daß er seiner selbst nicht mehr sicher war und an kein Gelingen glauben konnte. Endlich aber vermochte er die stummen Vorwürfe im Auge der Geliebten nicht mehr zu ertragen, er mußte sich aufraffen, zur Sicherung seiner Zukunft und seines Glückes Schritte unternehmen, so wenig er sich auch davon versprach.“ (Ebenda, S. 79)
In der ersten Märzwoche fährt also Fritz mit dem Schlitten nach Tornitz, einem Dörfchen ca. 6 km nordöstlich vor Calbe, wo sein sparsamer Onkel Thomas Waade mit seiner Frau auf einem kleinen, aber einträglichen Bauerngut lebt. Das Paar, das in der Verwandtschaft als etwas sonderbar gilt, entpuppt sich als warmherzig und aufgeschlossen. Als Fritz davon spricht, sich von seinem Bruder zu trennen und eine eigene Existenz zu gründen, findet er die Zustimmung des alternden Bauernpaares. Nach dem Mittagessen ziehen sich Onkel und Tante längere Zeit zurück. Danach eröffnen sie ihm umständlich mit ernsten, feierlich-bewegten Mienen, dass sie soeben beschlossen hätten, ihren Neffen, da sie kinderlos seien, zu sich zu nehmen. Später könne Fritz dann den Hof überschrieben bekommen. So könne auch ihre eigene Zukunft gesichert werden. Die beiden alten Leute sind stark berührt von der Freude ihres Patensohnes, „die ihn so augenscheinlich verwandelt hatte… Als Friedrich gegen Abend das Pferd anspannte und zurückfuhr, dünkte er sich der glücklichste Mensch auf der Erde zu sein.“ (Ebenda, S. 84 f.)
Nun stehen einem glücklichen Ausgang noch der auf eine gute Partie bedachte Vater Luises und der unberechenbare Hass Heinrichs im Wege. Fritz weiht zwar die Mutter ein, ein klärendes Gespräch mit dem jähzornigen Bruder verschiebt er aber auch weiterhin. Eine nächtliche Vision anlässlich eines seltenen Naturschauspiels, eines von Zirruswolken hervorgerufenen, szintillierenden dreifachen Mondes, lässt Friedrich die nahende Entscheidung in der nächsten Zeit erfühlen.
Gegen Ende des Monats März lässt der strenge Frost nach, Sturm und Regen setzen ein. „In der Nacht vom 26. zum 27. März 1845 (s. Tabelle oben) dröhnte die Saaleniederung wie von Kanoneschüssen. Das Eis barst, aber noch hielt es sich in der Fläche, nur da und dort klafften tiefe Risse in der durchsichtiger werdenden weißlich-grauen Decke, als hätten gewaltige Scheren sie wie Pergament durchschnitten, oder rasch zerstörende Blitze hätten ihre Bahn im Zickzack hinterlassen.“ (Ebenda, S. 90 f.)
Die Fischer haben in dieser gefährlichen Situation zur Rettung der Mühle und des Wehres Großeinsatz, die Arbeit soll aber bald darauf wegen der ständig wachsenden Gefahren für die Fischer eingestellt werden. Am Nachmittag des 27. März kommt Marie aufgeregt zu Fritz gelaufen, Luise sei ihr sehr blass und ernst begegnet und warte versteckt auf dem Friedhof, um dringend mit Fritz zu sprechen. Bei der Unterredung mit der Geliebten stellt sich heraus, dass Lehrer Schröder um ihre Hand angehalten hat und die Zeit in Richtung einer Entscheidung drängt. Fritz bittet Luise, noch einmal den Vater um ihres Glückes willen anzuflehen, einer Verlobung der beiden nicht im Wege zu stehen.
Unterdessen ist der Saalemüller verzweifelt dabei, noch einmal alle Fischer zum Einsatz zu bewegen, die Mühle und das Wehr sind in akuter Gefahr. Ristorp kommt zu Heinrich und bittet ihn, zusammen mit Fritz zu Hilfe zu eilen. Es drängt. Während der junge Meister seinen Bruder und Gehilfen sucht, ruft ihn mehrmals eine innere Stimme, die er für die warnende Stimme seines Vaters vom Friedhof hält und die ihn völlig verwirrt. Endlich erreicht er Fritz am Friedhofseingang, als dieser gefasst und zuversichtlich nach dem Gespräch zusammen mit Luise und Marie den Gottesacker verlässt, - aber die gefürchtete Katastrophe bleibt aus. Der ältere Bruder, noch verwirrt von der Stimme, reagiert wie in Trance und wirkt abwesend. Auch bei der gefährlichen Arbeit auf dem tauenden und sich spaltenden Eis wundern sich die Fischer über seine ungewöhnliche Teilnahmslosigkeit. Und als Heinrich sieht, wie Luise und Fritz sich zwischen Fenster und Eis heimlich zuwinken, bleibt er immer noch gefasst und hält sich wie in einem schweren inneren Kampf zurück. Fritz verspürt das dringende Bedürfnis, ihm dafür zu danken und ihm etwas Liebes zu sagen.
Mit dem immer stärker einsetzenden Eisbruch erklären die Fischermeister ihre Arbeit für beendet. Während sie schon ihre Geräte aufnehmen und in Richtung Fischerei-Ufer gehen wollen, kommt ein kleiner Junge von der Saalemauer über das Eis mit einem Zettel in der Hand auf Fritz Raphuhn zu gelaufen. Nach dem Überfliegen der Nachricht erhellt sich das Gesicht des jüngeren Bruders zu einem Strahlen. Auf dem Papier steht die Nachricht von Luise, dass ihr Vater schweren Herzens seiner Tochter zuliebe mit einer Heirat der beiden Liebenden einverstanden ist. Freudig will Fritz auf den Bruder mit ausgestreckter Hand zu gehen, „da stand schon Heinrich mit geschwungener Hacke vor seinem Bruder, wutroten Gesichts, brüllend wie ein verwundetes Tier, und schrie: >>Wer hat dir den Brief geschickt?<< Erblaßt wich Friedrich vor dem Rasenden bis zum äußersten Rande der Eisfläche zurück, aber furchtlos und mit blitzenden Augen sah er ihn an und erwiderte mit der leisen Stimme großer Erregtheit: >>Meine Braut, Luise Kalow.<< Einen Herzschlag war es, als wollte Heinrich die schwere Spitzhacke auf den Bruder niedersausen lassen, aber bevor noch der Schlag herabzucken konnte, waren ihm schon die umstehenden Fischer in den Arm gefallen, hielten den wild sich Wehrenden fest, so daß er sich nicht frei machen konnte, und redeten ihm zu wie einem Fieberkranken, der die Arznei verweigert.
Der alte Ristorp trat zwischen die Brüder, wie schon damals beim Fastnachtessen, versuchte Frieden zu stiften und bat den Jüngeren, nach Hause zu gehen, um für den Augenblick wenigstens dem peinlichen Auftritt ein Ende zu machen. Aber Friedrich hörte nicht auf ihn, streckte die Hand nach Heinrich aus, als könnte allein diese rührende Gebärde schon den vor Zorn toll Gewordenen versöhnen, und flehte mit Tränen in den Augen: >>Laß mich doch glücklich werden, wie du selbst glücklich bist. Ist denn Liebe ein Verbrechen? Ich bin doch dein Bruder!<<
Der Wütende schrie laut: >>Du bist nicht mein Bruder! Ich habe keinen Bruder!<< und wand und warf sich unter den Fäusten der ihn haltenden Fischer…Plötzlich fühlten die Kämpfenden, wie Wasser um ihre Knöchel rauschte, das Eis senkte sich unter ihnen und schnellte dann mit heftigem Ruck wie ein federndes Brett zurück… Da aber gellte ein furchtbarer Schrei aus Heinrichs Munde, und entsetzt sahen sie, wie eine große Scholle sich von der Fläche gelöst hatte, und von der Strömung bereits erfaßt, mit großer Geschwindigkeit dem Wehr zutrieb. Auf ihr stand Friedrich, noch immer bittend die Arme nach dem Bruder ausstreckend, als hätte er die Gefahr, in der er schwebte, noch nicht bemerkt“ (Ebenda, S. 116 ff.)
Zu spät entdeckt Fritz die tödliche Bedrohung. Als er von der Scholle abspringt, wird er in den nächsten Sekunden über die schon eisfreie Wehrkrone gespült und unter die sich stapelnden Eisstücke gedrückt. Luise, die von ihrem Fenster aus das Entsetzliche mit ansehen muss, hilft bei der sofort einsetzenden Suche nach dem Verunglückten mit.

Noch wochenlang, auch während des einsetzenden gewaltigen Hochwassers (s. Tabelle oben) und der nachfolgenden Frühjahrsbestellung, sucht Heinrich wie von Sinnen nach der Leiche seines Bruders. Luise stirbt zwar nicht an der schweren Lungenentzündung, die sie sich in der nasskalten, stürmischen Unglücksnacht zugezogen hat, sie verfällt aber sichtlich. Ihre einstige Schönheit ist dahin, ihr Gesicht von Krankheit und Trauer entstellt. Marie, die des geliebten Schwagers oft unter Tränen gedenkt, entfremdet sich von ihrem Mann. „Sie lebte erst wieder auf, als sie nach einem halben Jahre eines Knaben genas, der in der Taufe den Namen Friedrich empfing und der, je mehr er heranwuchs, seinem auf so unselige Art verunglückten Onkel immer ähnlicher wurde.“ (Ebenda, S. 123)
Am Tag nach Pfingsten wird einige Kilometer saaleabwärts von Kindern und auf dem Feld arbeitenden Bauern die entsetzlich entstellte Wasserleiche Friedrichs in einer mit Weiden bestandenen Bucht gefunden. Der apathisch und teilnahmslos wirkende Heinrich Raphuhn bringt die Überreste seines jüngeren Bruders unter Aufbringung seiner letzten seelischen Kräfte im Kahn nach Hause. Die Mutter wird beim Eintreffen ihres toten Sohnes ohnmächtig und muss fortan das Bett hüten. Nach einigen Monaten stirbt sie.
„Am selben Abend noch wurden die Überreste des Ertrunkenen neben den Gräbern seines Vaters und Bruders beigesetzt.
Konrektor Kalow war bei der Beerdigung zugegen. An der offenen Gruft reichte er dem Bruder des Toten die Hand zur Versöhnung, die dieser bewegt ergriff.“ (Ebenda, S. 125)


Wir schauen nun einmal in die "Kleine und Große Fischerei" hinein. Deutlich kann man den weit geschwungenen Saalebogen mit der hinein ragenden Landzunge erkennen, den oft überschwemmten Fischerei-Anger. Hier war bis ins 20. Jahrhundert hinein der Ladeplatz für Lastkähne und Eildampfer, wo sie mit Zwiebeln, Gurken und anderem Gemüse aus der Calbeschen Feldmark bzw. mit Konserven (vgl. Stationen 15 und 17) beladen oder wo Kohlenkähne entladen wurden. Hier standen auch zwei Gasometer der 1858 errichteten Gasanstalt, von wo aus die unterirdischen Gasrohre in die einzelnen Haushalte führten. Aus der frisch angelandeten und gereinigten Steinkohle wurde Leuchtgas erzeugt (vgl. Dietrich, Unsere Heimat, a. a. O., S. 29). Davor hatte es aber in Calbe schon eine Gaserzeugung für zunächst 36 Straßenlaternen gegeben. Als Rohstoff diente damals aus Bitumen-Schiefer gewonnenes Hydrokarbure-Öl (vgl. Reccius, S. 89). Seit der Gründung der Gasanstalt 1858 hatte Calbe dann eine echte Gas-Beleuchtung (vgl. ebenda, S. 90). Bei Einbruch der Dunkelheit musste ein "Laternen-Anzünder", mit einer Leiter und Zündhölzern ausgerüstet, von Gaslaterne zu Gaslaterne gehen, hinaufsteigen, den Deckel und den Gashahn öffnen und das Gas entzünden. Ein Bild in unserer Vorstellung zwischen Romantik und Technisierung.

 

Der Deutschbeinsche Gasthof "Zum Goldenen Engel", später "Zum Deutschen Kaiser" und "Zum Roland" (vgl. Text rechts)

Ebenso wie die Schloss-Vorstadt hatte auch die Bernburger ihren Gasthof, der aber nicht ganz so berühmt war, den Gasthof "Zum goldenen Engel". Auch dieser war wie der "Goldene Stern" nach dem Dreißigjährigen Krieg von dem cleveren "Geleitsmann" (Zoll-Inspektor des Schloss-Amtes) Christoph Deutschbein mit Unterstützung des Administrators August von Sachsen-Weißenfels "zum Nutzen der Reisenden" gebaut worden (vgl. Station 13). Beide Einrichtungen machten den Rats-Gasthöfen starke Konkurrenz (vgl. Station 4). Wo der "Goldene Engel" errichtet wurde, in der Gründerzeit "Zum Deutschen Kaiser" genannt, stand vorher schon ein alter Freihof (s. oben: "Sudenburg"), der während des Dreißigjährigen Krieges im Besitz eines Mannes namens Rüde gewesen war. Hier kann durchaus auch schon 1547 ein "Krug" (Gasthaus) existiert haben (vgl. Reccius, S. 35). Nachdem 1644 die Soldateska die Bernburger Vorstadt stark demoliert hatte (vgl. Station 6) und auch das Gelände des ehemaligen Freihofes wüst lag, hatte Deutschbein die Gunst der Stunde erkannt, den zerstörten Hof von Rüdes Erben gekauft und seinen zweiten Gasthof erbaut (vgl. Dietrich, Ein Gang..., a. a. O., S. 15). Er machte mit den beiden Gasthöfen das Geschäft seines Lebens und wurde sehr reich. Bis 1990 hieß diese Gaststätte "Zum Roland".

Eine andere schon zu Beginn der Neuzeit bekannte Gaststätte war die "Grüne Tanne", die gleich hinter dem Bernburger Tor auf der westlichen Seite lag, gegenüber dem heutigen "Saaleblick".

 

Damit wären wir schon auf dem Weg zurück zum Markt .

 

Wir können aber noch etwa 1,5 Kilometer weiter in südlicher Richtung die Nienburger Straße entlang gehen. Dabei werden wir nicht nur Denkmäler aus der Gründerzeit und vom Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern auch Plätze archaischer Vergangenheit besuchen. Wenn Sie das interessiert, klicken Sie bitte die Station 22 an.

 

Jugendstilelemente in der Bernburger Straße

An der Saalemauer hat man nochmals eine herrliche Aussicht auf den großen Flussbogen und das höher gelegene südöstliche Saaleufer. Deutlich sieht man auf der Anhöhe im  Saaleknick die ehemalige Wolldeckenfabrik stehen [- wo sich vielleicht einmal eine frühe Burganlage befunden hat -]. Man sieht auch Teile der Bernburger Vorstadt, die Kleine Fischerei, den mittelalterlichen Lebensraum der slawischen Bevölkerung bei Calbe.

Das Gebiet jenseits der Saale war im Frühmittelalter vor der deutschen feudalen Ostkolonisation slawisches Territorium (s. oben). Calbe war also direkte Grenzstadt des "Deutschen Reiches", und die "Sudenburg" hatte damit auch eine "außenpolitische" Funktion innerhalb des ottonischen Burgwardsystems. Die vielen slawischen Ortsnamen östlich der Saale erinnern noch an die Nachbarn: Trabitz, Tornitz, Colno, Wispitz, Patzetz, Rajoch, Diebzig, Lödderitz usw.; dazwischen finden wir aber auch Namen, die auf die deutsche Ostkolonisation hinweisen: Rodleben, Osternienburg, Sachsendorf u. a.
An der Saalemauer befindet sich das Ehrenmal zum Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege.

 

 

 

 

 

Blick auf das Wehr und Gottesgnaden

Ehrenmal an der Saalemauer

Das Ehrenmal um 1920 (nach: Heimatstube-Archiv)

In den beiden Kriegen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kamen einige hundert Soldaten aus Calbe, deren Namen in Tafeln eingraviert sind, ums Leben. Das sind allein diejenigen, die für unmenschliche imperiale Interessen auf den so genannten Schlachtfeldern geopfert wurden, in dieser Zahl enthalten sind nicht die durch Hunger, Seuchen und Repressalien getöteten Opfer unter der Zivilbevölkerung.

Auch in den Bismarckschen Kriegen zur Reichseinigung waren Calber Soldaten gefallen: 1866 (Preußisch-Österreichischer Krieg): August Brandt, Friedrich und Karl Brösel, Christoph Braune, Karl Thilo, Wilhelm Schöne, Karl Schmidt und Friedrich Rudolf Richter - 1870 (Deutsch-Französischer Krieg): Karl August Wilhelm Kramer, Friedrich Ernst, August Hölzke, Karl Brennecke, Friedrich Linkohr, August Christoph Heinrich Meißner, Karl Gustav Kindel, Martin Kuhne, Friedrich Wilhelm Koitsch, Heinrich Herrmann und Wilhelm Schneider (vgl. Reccius, S. 91 f.).

 

Das Bernburgische Tor um 1870 (nach: Hertel, Geschichte, a. a. O.)

Jugendstil-Café "Hohenzollern

Bürgerliche "Gemüthlichkeit" um die Wende zum 20. Jahrhundert im Café Hohenzollern (nach: Calbenser Blatt)

Gleich in der Nähe, wo die "Neustadt" in die Bernburger Straße einmündet, stand  das "Bernburgische Tor", es wurde auch "Burgtor" genannt, weil es nach der Seite einer verschwundenen "Sudenburg" (s. oben) ausgerichtet war. Durch dieses Tor kamen die Handelsreisenden aus Richtung Bernburg und Halle. 1876 wurde der letzte Torbogen mit dem Tortürmchen abgerissen. Am Bernburger Tor befand sich noch im 17. Jahrhundert ein Säule mit dem steinernen Stuhl für den Richter (Stargar) des noch aus germanischer oder frühmittelalterlicher Zeit stammenden Ältesten-Gerichtes (vgl. Station 13). Hier wurde noch Gericht "unterm freien Himmel vor Gott und seinen Heiligen gehalten, [wo] auch jeder frei zutreten durfte und Recht suchen, welches denn das Älteste Gericht genennet, und eine Kapelle vor dem Tore St. Jacob zu Ehren aufgerichtet. Die Stände wurden beschieden ad sedilia judicum publica [zum Sitz des öffentlichen Rechts - D. H. St.], und dieses bestunde aus einem Stargar, oder Richter, und elf Beisitzern, davon der Richter und fünf ältesten Edelleute, die übrigen aber Unbescholtene auf dem Lande sein mussten." (Hävecker, S. 33, angepasste Rechtschreibung). Im Klartext: Das Ältest-, Eldist- bzw. Ältesten-Gericht bestand aus 12 Männern, wovon 6, einschließlich dem Richter (Stargar), Adlige und 6 angesehene Ackerbürger waren. An alte germanische Zeiten könnte auch die mythische Zahl 12 erinnern.

Die südliche Stadtbefestigung, deren rekonstruierte Reste noch in der Straße "Neustadt" (- Innenmauer -) zu bestaunen sind (vgl. Station 18), bestand aus einer etwa 50 Meter weit auseinander liegenden Innen- und Außenmauer (vgl. Station 15). Demzufolge gab es auch Innen- und Außentore (- auch für Fußgänger -), die durch finstere Gänge verbunden waren und welche noch 1655 durch Maurermeister Nicolaus Eisenreich für 200 deutsche Reichstaler repariert wurden. Auch einen hohen Wach- und Verteidigungsturm gab es innen und außen. Der äußere war der oben erwähnte Feldhüterturm, den man noch 1745 als "Burgturm" (nach einer Kinderling-Abschrift, vgl. Reccius, S. 75) bezeichnete (s. oben). Vor dem Außentor führte ein westlicher Weg direkt zum 1551 eröffneten neuen Stadtfriedhof an der Lorenzkirche und zum daneben liegenden alten Friedhof der Vorstadtgemeinden. Auf einem zweiten Weg kam man in die "Fischerei" und auf einem dritten zur Unterwällischen Gemeinde. Dahinter war auch die Bernburger Vorstadt zu Ende. Als  der Verwalter der Bernburger Vorstadt, das Schlossamt, erlaubte, immer neue Häuser am Südende zu bauen, schob der Rat einen Riegel vor und gestattete nur noch drei zu bauen, weil sonst das gleich an die Vorstadt grenzende Bürger-Weideland immer mehr reduziert werde (vgl. ebenda, S. 66) .

Als im 18. Jahrhundert die Stadtmauern keinen wesentlichen militärischen Wert mehr hatten, wurde 1697, ähnlich wie an der Nordseite (Grabenstraße 1710 angelegt, vgl. Station 10), die freie Fläche zwischen den Mauern mit Häusern bebaut, wodurch die "Neustadt entstand (vgl. Dietrich, Gang, S. 14). Dabei wurde die Innenmauer oft gleich als eine der Hauswände genutzt. 1701 bekam der Maurermeister Hans Zehling vom Rate ein Bauplatz zwischen den beiden Südtoren gegenüber der "neuen Straße" (Straße "Neustadt") zugewiesen. Er durfte "2 Ellen [ca. 1,4 m - D. H. St.] über die Saale bauen und die Stadtmauer und die Pfeiler benutzen." (Reccius, S. 65). So entstanden die Häuser, die wie Schwalbennester am östlichen Stadtrand über der Saale "kleben", und deren Territorium später "Klein-Venedig" genannt wurde (s. Abbildungen unten).

 

Blick um 1910 von der Kleinen Fischerei auf Kleinvenedig (links), den Hexenturm und die Mühle (nach: Heimatstube-Archiv)

 

Klein-Venedig 2003

Klein-Venedig 1935 (Aufn.: W. O. Richter)

In der Nähe des Platzes, wo die Tore gestanden hatten, am Ausgang der "Neustadt", wurde das repräsentative "Café Hohenzollern" (s. Abb. oben) zu Beginn der 1890er Jahre im Jugendstil errichtet und 1894 eröffnet (vgl. "Stadt- und Landbote (Amtliches Calbesches Kreisblatt)" vom 6. 3. 1894). In der Nähe des "Hohenzollern" soll schon seit 1853 eine von dem aus Magdeburg stammenden Bäckermeister Schock als "Café und Konditorei" betriebene Lokalität, also ein bescheidenerer Vorläufer des "Hohenzollern", existiert haben. In der Nähe stand im 19. Jahrhundert die Zigarrenfabrik von Eduard Johann Wilhelm Marowsky (09.07.1830 in Zeitz geboren, verheiratet mit Karoline Schwalenberg - * 05.02.1942 in Calbe und + 27.12.1907 in Calbe, Heirat am 16.09.1860 in St. Stephani in Calbe - nach Informationen von einer Nachfahrin, Frau Karin Klostereit aus Wülfrath. Die Familie Marowsky brachte in der Folgezeit einige Bäckermeister in Calbe und Umgebung hervor. Der Sohn von Eduard Marowsky, Bäckermeister Karl M., kam 1912 als Feuerwehrhauptmann bei einem Großbrand in Altenweddingen ums Leben. Die Zigarrenfabrik war zu dieser Zeit schon an Robert Mohl verpachtet (nach Informationen von Herrn Günter Steffenhagen aus Calbe).

 

Renaissance-Portal Bernburger Straße 7

Nun ist es nicht mehr weit bis zu unserem Ausgangspunkt, dem Markt. Wir gehen auf der ehemaligen "Neumarktstraße" zurück, denn so nannte man den kurzen Abschnitt vom Markt bis zur Südmauer. Adäquat hieß früher die Schlossstraße bis zur Nordmauer die Altmarktstraße (vgl. Stationen 9 und 10).

 

Bernburger Straße 5

Auf der Westseite dieses Straßenabschnittes sollen im Mittelalter große Häuser mit dem Giebel zur Straße und mit Dachreitern gestanden haben, die mit ihren großen Räumen an Klöster oder Hospitäler erinnerten. Hier wurden "Elende" aufgenommen, also Leute ohne Unterkunft und Einkommen. Das waren damals Heimatlose oder Pilger, wobei es sich bei den Pilgern um Menschen handelte, die ihr Los freiwillig, um Gott zu gefallen oder um Buße zu tun, auf sich genommen hatten. Sie bekamen in diesen Häusern eine fromme Herberge. Auf der östlichen Seite der Neumarktstraße waren an der Saalemauer Gärten, die zu diesen "Hospitälern" gehörten, angelegt. Erst später baute man hier auch Wohnhäuser (vgl. Dietrich, Gang, S. 14). Beachtlich ist auf dem Weg zum Markt ein Sitznischenportal aus der Renaissancezeit am Haus Nr. 7. Leider wurden  diese Sitze, wie wir sie noch in der Breite Nr. 43 (vgl. Station 18) sehen können, mit Putz ausgefüllt (vgl. Heiber, Kultur- und Naturdenkmale..., S. 25).

 

Damit ist unser virtueller Spaziergang auf den Spuren der Calbeschen Geschichte zu Ende.

 

Ich hoffe, dass Ihnen unser Stadtrundgang zu den historischen Plätzen Calbes gefallen hat. Empfehlen Sie diese Site bitte weiter! Über andere Sehenswürdigkeiten, besonders im Außenbereich der Stadt, könnte es vielleicht später eine neue Website geben. Denken Sie bitte auch an die Site über die schöne Tochter der Stadt, Anna Margareta von Haugwitz.

 

Erste Ausgabe der vorliegenden Seiten: 5. Mai 2002

 

Letzte Veränderungen des Layouts und des Textes: 12. Juni 2004 (siehe auch Homepage)